Eine verratene Generation
Die Familie war im Nazi-Staat kein geschützter Innenraum mehr, sondern eine „Leistungsgemeinschaft“, die der totalen staatlichen Kontrolle unterlag. Dies galt insbesonders für die Erziehung von Mädchen und Frauen, die im BDM organisiert waren.
Im Jahre 1933 wird Bella Fromm, Dame der Berliner Gesellschaft und Journalistin mit exzellentem politischen Hintergrund, ins Propagandaministerium gerufen. Goebbels wünschte sie zu sprechen. Bella Fromm, die gerade eine kleine Modenschau auf dem Gelände der Rennbahn organisiert, erhält von dem frisch ernannten Minister die Instruktion, in Zukunft nur deutsche Modelle und keine französische Mode mehr zu zeigen. Sie notierte damals in ihr Tagebuch: „Ich konnte mich eines Lächelns nicht enthalten. Es war zu köstlich, sich das elegante Publikum auf der Rennbahn vorzustellen, aber statt der neuesten Mode Hitlermädel mit Gretchenzöpfen, flachen Absätzen und blankgeschrubbten Gesichtern. Schwarze Röcke bis zu den Knöcheln, braune Jacke mit Hakenkreuz, keine Schminke, kein Lippenstift mehr..!“
So wie von Frau Fromm beschrieben sahen sie damals tatsächlich aus, Mädchen des Bundes Deutscher Mädel, der Nazi-Organisation, die bereits 1930 ihren Namen erhalten hatte und Mitte 1932 zur einzigen nationalsozialistischen Mädchenorganisation erklärt worden war. Zwar gab es auch „Kükengruppen“ für die jüngeren Mädchen, doch blieben diese unbedeutend. Alle Jugendorganisationen erlebten Anfang der 1930er Jahre eine politische Radikalisierung. Marschierende und uniformierte weibliche und männliche Jugend gab es folglich nicht nur am rechten Rand, aber eine Jugenddemonstration mit 80.000 Teilnehmern, wie sie Potsdam 1932 mit dem „Reichsjugendtag der HJ“ erlebte, hob die Hitlerjugend bereits vor der Machtübernahme aus dem Spektrum konkurrierender Jugendorganisationen heraus.
Unter denen, die auf oft abenteuerliche Weise nach Potsdam gereist waren, um über lange Stunden hinweg an Adolf Hitler und Baldur von Schirach vorbeizumarschieren, waren auch Mädchen. Aber solche Fahrten waren waren nur wenigen und meist älteren Mädchen erlaubt. Elternhäuser warenn vor 1933 nicht bereit, ihre heranwachsenden Töchter einer Organisation anzuvertrauen, die in den politischen Straßenkampf involviert war, die 1932 sogar dem Verbot unterlag und den „Heldentod“ propagierte, dem auch ein Mädchen zum Opfer fiel. Mädchen und junge Frauen, die vor der „Machtergreifung“ im BDM organisiert waren, unterschieden sich deutlich von denen, die später Mitglied wurden. Sie bildeten eine kleine politische Gruppe und demonstrierten ihre Gesinnung mit einer Uniform, die entweder aus einem braunen Kleid bestand, das an die SA erinnerte, oder aus einem schwarzen Rock und einer braunen Jacke. Und natürlich kannten diese BDM-Mädchen keine Schminke. Bereits 1933 wurde begonnen, die HJ in eine Staatsjugend zu verwandeln. Der letzte Schritt hierzu war der Erlass der Durchführungsverordnung zum Gesetz der Hitlerjugend 1939. Der größte Teil des Zuwachses kam freiwillig. Vor allem der Strom von Mädchen in den BDM war beeindruckend und anhaltend. Gegenüber dem Wunsch der Mädchen, dabei zu sein, musste der Wille sehr vieler Eltern zurücktreten.
Fortan standen die Mädchen im „Dienst der Bewegung“ und taten ihre „Pflicht“. Dazu gehörte die Teilnahme am Heimatabend, der Sport – der zwei Drittel des Mädeldienstes ausmachen sollte – Wochenendfahrten, Feiern, Sammlungen und später Kriegseinsätze. Inhalte des Dienstes wurden vorgegeben in „Heimabendmappen“. Sie dienten der Kontrolle und waren erforderlich, weil die riesenhafte Organisation in ihren unteren Einheiten auf einem Heer von ehrenamtlichen Führerinnen beruhte. Sie waren kaum älter als die ihnen untergebenen Mädchen und benötigten Vorgaben, was sie zu tun und zu lassen hatten. Eine systematische ideologische Schulung dieser Kinder und Jugendlichen war nicht möglich. Aber als junge Führerinnen lernten sie die „Pflichtlieder“, die Biografie des „Führers“, die wichtigsten Daten der „Bewegung“, den Aufbau der Organisation oder die Grußpflicht. Sie ordneten sich ein in die hierarchische Struktur der Hitlerjugend, gaben die von oben erhaltenen Befehle nach unten weiter und übernahmen eine Verantwortung, die ihr Alter himmelweit überstieg. Wer als einfaches Mitglied ein paar Jahre im BDM verbrachte, erinnerte sich oft später an wenig mehr als an eine unspektakuläre Freizeitorganisation. Auch gab es, vor allen in den Großstädten, durchaus Mädchen, die dem Bund nichts abgewinnen konnten und sich erfolgreich „drückten“.
Wer der Organisation jedoch als Führerin angehörte – und das waren in den zwölf Jahren der Nazi-Diktatur Hunderttausende – hat ihre rigriden Strukturen tief verinnerlicht. Im Alter von vierzehn Jahren wurde das Mädchen Mitglied im BDM, und im Jahre 1933 wurde entschieden, dass die Mitgliedschaft bei den Mädchen nicht mit 18, sondern erst mit 21 Jahren enden sollte. In Wirklichkeit hatte die Hitlerjugend Schwierigkeiten, überhaupt ältere Mädel zu gewinnen. Der Erfassung der älteren Mädchen galt die Einführung des BDM-Werkes „Glaube und Schönheit“ im Jahe 1938, das freiwillig blieb und in das ein Mädchen mit Vollendung des 17. Lebensjahres überwechseln konnte. Statt Heimatabende und Sport gab es hier Arbeitsgemeinschaften. Die zu Haushalts- und Gesundheitsführung waren die häufigsten. Sie dienten nicht vorrangig der Vorbereitung auf die späteren Familienaufgaben, wie oft angenommen, sondern waren, in einem Land mit einem hohen Prozentsatz an weiblicher Berufstätigkeit, ein Arbeitsmarktinstrument, das weibliche Arbeitskräfte in die schlecht bezahlten hauswirtschaftlichen, sozialen und pflegerischen Bereiche des Arbeitsmarktes lenken sollte. Begeht waren auch die Arbeitsgemeinschaften für Gymnastik, in denen rythmische Gymnastik betrieben wurde, mit Keulen, Reifen und Bällen.
In Köln am Rhein, und vermutlich nur dort, gab es eine Arbeitsgemeinschaft für das Reiten, in Hamburg eine für Presse-Film-Photo. Auch erhielt der BDM ein neues Image: Innerhalb weniger Jahre hatte sich nach 1933 das Bild der nationalsozialistischen Mädchenorganisation gewandelt. Aus den engagierten Kämpferinnen mit knöchellangen Röcken entstand eine riesige Organisation, nicht nur eine der größten in der deutschen Geschichte, sondern auch weltweit. Das braune Kleid war 1933 verbannt und gegen einen braven dunkelblauen Rock, eine weiße Bluse und eine braune Jacke eingetauscht worden. Für das BDM-Werk „Glaube und Schönheit“ wurde gar ein Tanzkleid entworfen und hergestellt. Auch die höhere Führerinnenschaft erhielt im Jahre 1938 eine eigene Uniform, die „Führerinnen-Dienstkleidung“ – entworfen von einem der führenden Berliner Modesalons -, und konnte damit auf den zahlreichen offiziellen Auslandsreisen der Hitlerjugend in jenen Jahren Furore machen. Keine „deutschen Gretchen“ mehr, sondern elegante junge Frauen, die selbstbewusst eine Führerinnenrolle unter den faschistischen Partnerorganisationen beanspruchten.
Im Dritten Reich war der BDM Ende der 1930er Jahre in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber nur aus dieser Mitte heraus konnte es gelingen, dass auch Mädchen – körperlich abgehärtet, pflichtbewusst und einsatzbereit – sich für die imperialistischen und rassischen Ziele dieses brutalen Regimes einsetzten. Als Wehrmachtshelferinnen, Nachrichtenhelferinnen, Schulhelferinnen oder „Osthelferinnen“ setzte man sie in ganz Europa ein. Ein weibliches Heer, das im Ausland in Uniform auftrat, die es im „Tausendjährigen Reich“ nicht tragen durfte, um hier den politischen Rückhalt in der Zivilbevölkerung nicht zu gefährden, die mit den Umbrüchen ihrer weiblichen Jugend kaum mehr ganz Schritt halten konnte.
Auch hier hat man eine Generation verraten und verkauft!
Von Rolf von Ameln
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