Der Arbeitsdienst, den die ganze deutsche männliche Jugend ein halbes Jahr ableisten muss, wird von den Nazis als „Dienst am Volk“, als „ein Stück verwirklichter Sozialismus“ bezeichnet. In Wirklichkeit ist der Arbeitsdienst nichts anderes als ein wichtiger Teil der Kriegserziehung der deutschen Jugend, die der unmittelbaren Vorbereitung auf dem Dienst in der „Großdeutschen Wehrmacht“ dient.
Bei den täglichen militärischen Übungen und im so genannten staatspolitischen Unterricht versucht man der Jugend das Rückgrat zu brechen, sie zur willenlosen Masse zu erziehen, die beim Eintritt ins Heer bereits daran gewöhnt ist, keine eigene Meinung zu haben und ohne Überlegung widerspruchslos alle Befehle auszuführen. Außerdem stellt der Arbeitsdienst billige Arbeitskräfte, die heute vorwiegend für den Bau von Festungsanlagen und kriegswichtigen Straßen eingesetzt werden. Der „Dienst am Volk“ beginnt damit, dass der 18jährige Jugendliche nach Beendigung der Lehrjahre, wo er endlich einmal die Gelegenheit hätte, als Geselle etwas mehr Geld zu verdienen, aus dem Berufsleben herausgerissen wird und erst 2 1/2 Jahre später nach Beendigung der anschließenden zweijährigen Militärdienstpflicht die Möglichkeit hat, in ein normales Berufsleben zurückzukehren.
Wie das im Arbeitsdienst „verwirklichte Stück Sozialismus“ aussieht, zeigen Dutzende von Briefen der Arbeitsdienstler, aus den verschiedensten Teilen des Reiches: Der einfache Arbeitsdienstler erhält pro Tag 25 Pfennig für eine acht-zehnstündige schwere Erdarbeit, zu der noch einige Stunden militärischer Übungen kommen. Und selbst davon wird noch der Beitrag für die „Deutsche Arbeitsfront (DAF), für Spenden usw. abgezogen und von dem Rest müssen Seife, Zahnpasta, Stiefelfett und manches mehr gekauft werden. Dagegen erhalten die Truppführer 150 Reichsmark, die Obertruppführer 320 Reichsmark und die Lagerkommandanten sogar 600 Reichsmark im Monat.
Trotz der körperlich schweren Arbeit gibt es eine unzureichende und vor allem kraftlose Verpflegung, über die allgemein geklagt wird. „Für zwei Tage bekommen wir 1/4 Pfund Margarine und 1/4 Pfund Wurst. Statt Margarine gibt es in letzter Zeit oft Marmelade. Fleisch gibt es überhaupt nur am Sonntag.
Der Lagerleiter hat uns einmal einen goßen Vortrag über das ungesunde Fleischessen gehalten. Die Essensreste werden die ganze Woche über gesammelt und dann gibt es am Samstag Labschau, ein zusammengemischtes Essen aus allen Resten der Woche“. Die von den Nazis propagierte „Erziehung zur Anspruchslosigkeit“ und zum „Verzicht auf die gewohnte Bequemlichkeit“ bringt schwere gesundheitliche Schäden für die Arbeitsdienstler. So schreibt ein Arbeitsdienstler: „Das Lager ist für 230 Mann eingerichtet, aber die Baracken sind dauernd überfüllt, oft bis zu 260 Mann. Die Waschgelegenheiten sind außerordentlich schlecht. Auch bei schlechtem Wetter können wir uns nur im Freien waschen. Das Klosett besteht nur aus einem Bretterzaun und einem einfachen Balken dahinter. Der Gestank aus dem Loch ist fürchterlich. Im Durchschnnitt liegen immer 30 Mann krank, die Krankenbaracke wird niemals leer. Zum Teil kommt das auch von der schlechten Bekleidung. Unsere Stiefel haben oft große Löcher und damit müssen wir in den Wassergraben steigen.“
Zu diesem „Stück Sozialismus“ kommt noch der Drill, wohl die menschenunwürdigste Seite des so genannten Arbeitsdienstes: „Die Rohheit und Niedertracht unserer Vorgesetzten, die sich in unglaublichen Schikanen äußert, sind kaum wiederzugeben. Hier nur ein Beispiel:“ Vor kurzem kamen wir von anstrengender Arbeit, um nach dem Lager zurückzukehren. Die Arbeitsstelle befindet sich mehrere Kilometer vom Lager entfernt. Unterwegs bekamen wir Durst, durften aber nicht trinken. Da viele Kameraden schlapp zu machen drohten, wurde kurzerhand befohlen, zu singen. Infolge der Überanstrengung und der ausgedörrten Kehlen fiel jedoch der Gesang kläglich aus und verstummte bald ganz. Bei einem der nächsten größeren Gehöfte ließ uns ein Vorgesetzter plötzlich halt machen und mehrere Eimer Wasser herbeischaffen. Wir mussten nun Frontstellung zu den Wassereimern nehmen und unser Führer forderte uns auf, gut acht zu geben, wie getrunken wird. Als er seinen Durst gelöscht hatte, stieß er die Wassereimer mit dem Fuß um und brüllte dabei: `Euch Schweinen werde ich das Singen beibringen´.
„Er ließ uns dann, ohne dass wir trinken konnten, zum Lager marschieren. In zwei anderen Briefen heißt es: „Wir bekommen jeden Tag ein Quantum Arbeit zugeteilt und müssen es schaffen, eher kommen wir nicht weg. Einmal hat ein Kamerad sein Arbeitspensum nicht geschafft. Er musste deshalb die 15 Kilometer, die wir sonst mit dem Rad fahren, zu Fuß zurücklaufen. Man hatte ihm nämlich zur Strafe für sein `langsames Arbeiten´ das Rad weggenommen. Nach der Arbeit ist noch ungefähr zwei Stunden militärische Ausbildung. Der Drill ist sehr schlimm. Ich habe nie gedacht, dass solche Schikanen möglich sind.“
„Strafen werden sehr oft berhängt und wegen jeder Kleinigkeit. Zum Beispiel bekommen als Strafe die betreffenden Kameraden kein Frühstück. Wenn zu wenig gearbeitet wurde, gibt es keinen Urlaub. Wenn einer sein Bett nicht vorschriftsmäßig gemacht hat, wird er die ganze Nacht über jede zwei Stunden geweckt und muss sein Bett nach Vorschrift machen. Dann muss er sich komplett anziehen und Meldung machen. Dann darf er sich wieder ausziehen und ins Bett gehen und wird dann wieder geweckt und das Theater geht von vorne los.“
Diese Stimmen, die man beliebig vermehren könnte, besagen genügend, was es mit dem von den Nazis verkündeten „neuen Arbeitsethos“ im Arbeitsdienst auf sich hat. Und wie steht es mit den so genannten „sittlichen Werten“, die der Arbeitsdienst angeblich den jungen Menschen vermitteln soll? Zitieren wir einen Brief von zwei Kameraden eines Lagers bei Berlin: „Ebenso werden alle Kameraden dienstlich zum Diebstahl angehalten. Das Stehlen von Bestecken, Gläsern usw. aus Restaurants ist nicht etwa was Ehrenrühriges, sondern wird als eine verdienstvolle Handlung bewertet. Fast den ganzen Lattenzaun unseres Lagers mussten wir auf Neubauten der Umgebung zusammenstehlen. Die Bevölkerung sieht diesem Treiben mit ohnmächtiger Wut zu.“
Wenn der Arbeitsdienstler diese „Schule der Nation“ durchgemacht hat, dann ist seine Aussicht auf eine Arbeitsstelle im Betrieb (soweit er nicht direkt zum Militärdienst einrücken muss) auch nur sehr gering. Die Führer des „Arbeitsdank“, „Organisation ehemaliger Arbeitsdienstler“ mussten erklären, dass sie den entlassenen Arbeitsdienstlern keinen Arbeitsplatz sichern können. Fünfzig Prozent der Mitglieder des „Arbeitsdank“ sind heute noch ohne Arbeit!
Wie schnell sich alles am 1. September 1939 änderte, war man sich zu dieser Zeit nicht bewusst. Anm.d.Verf.
Der Artikel beinhaltet Auszüge aus „Freie Deutsche Jugend“, Diskussionsblatt für eine deutsche Jugendbewegung, abgedruckt in der Juni-Juli-Ausgabe 1937; – erschienen in Paris 146, Herausgeber: R. Leiboltz.
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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