Der Freiheitskampf, den südslawische Partisanen in den Bergen von Montenegro, Bosnien, Westserbien und Dalmatien gegen deutsche und italienische Besatzungstruppen führen, wird nicht nur vom Explodieren der Bomben und vom Rattern der Maschinengewehre begleitet. Die Melodien der alten und neuen „Heldenlieder“ sind heute überall zu hören, wo auf südslawischem Boden gegen Hitler, Mussolini und die serbischen und kroatischen Nazianhängern gekämpft wird. Kenntnis der alten serbischen Literatur erleichtert in einem so außerordentlichen Maße wie vielleicht nirgendwo anders das Verständnis des hartnäckigen Widerstandes g e g e n Hitlers „Neue Ordnung.“
Als in den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts die Welle der türkischen Eroberungsheere von Anatolien her westwärts vorstießen, über die Dardanellen und über die Halbinsel, die damals den Namen Balkan erhielt (balkan heißt auf Türkische Berg, Anm.d.Verf.), verloren die südslawischen Völker nicht nur ihre Unabhängigkeit, sondern auch ihre nationale Existenz. Für Jahrhunderte verschwanden die Balkanslawen vom Schuaplatz der Geschichte. Sie wurden geschichtslose Nationen. Der Türke nannte sie „Rajah“ – das Vieh. Es gab nur einen einzigen Fleck auf der Landkarte, wo die Türken ihre Herrschaft nicht zu behaupten vermochten – Crna Cora, oder wie die Venetianer die schwer aussprechlichen Worte übersetzten: Montenegro, damals wie heute die Wiege der Freiheitsbewegung des südslawischen Volkes. Unter türkischer Oberherrschaft verkam und verrottete das ganze wirtschaftliche und kulturelle Leben der Balkanländer. Bis in das 20. Jahrhundert blieben Reste des Feudalismus bestehen. Als das Türkenreich zerfiel, waren es die Einflüsse der Großmächte, die den Balkan in einen Zustand von Armut, Unkultur und Elend hielten. Aus den unterdrückten verelendeten Massen der „Rajah“ kam der „Rächer“ und Held in einem. Die Geschichte aller Balkanvölker ist voller „Räuber-Gestalten“. Sie sind die Vorväter der Partisanen von heute.
Die rumänischen Haiduken, die bulgarischen Haidutina, die mazedonischen Komitadschina, die serbischen Kämpfer, die griechischen Klephten – sie alle verbanden den Kampf gegen die Türken mit dem Kampf gegen den Tobradai, den reichen Vertreter im eigenen Volke. Sie züchtigten die Janitscharen; sie nahmen den Reichen und gaben den Armen. Unzählige Volkslieder preisen die „Helden und Haiduken“. Die Volkslieder retteten die Sprache während der Herrschaft der Türken, als Türkisch die Staatssprache war. Die Volkslieder hielten den Geist der freiheit wach, während die Paschas herrschten. Als Vuk Stefanowitsch Karadzic, der große Lehrer des serbischen Volkes, die erste Sammlung serbischer Volkslieder veröffentlichte, waren Herder und Goethe überwältigt vom Reichtum dieser Poesie. Und es ist gerade in dieser Zeit der Besatzung angebracht, eine deutsche Stimme über die erste Übersetzung serbischer Volkslieder zu zitieren: „Eine Durchsicht dieser Lieder, ja, ihre bloße Existenz, muss dem unparteiischen Leser die Überzeugung einflößen, dass ein Volk, welches so singt, denkt und handelt wie das serbische, nicht weiter den Namen einer unterdrückten Nation führen dürfte.“ (Göttinger Gelehrte Anzeigen aus dem Jahre 1823).
Fünf Jahrhunderte lang wurden die Balladen von der Schlacht auf dem Amselfeld gesungen. Fünf Jahrhunderte lang gab eine Generation an die andere diese Balladen weiter. Kameltreiber, Hirten, Bauern, Kinder, Haiduken sangen die Lieder von Serbiens Größe und Fall. Mit den Liedern auf den Lippen erhoben sich die „Rajah“ wieder und wieder gegen die Fremdherrschaft. Als im Jahre 1804 die erste große revolutionäre Bewegung das ganze serbische Land erfasste – jene Revolution, von der man sagte, dass sie die Nationswerdung der „Rajah“ bewirkte – kam ein blinder Cuslar, Philipp Vesnic aus Bosnien nach dem Aufstandsgebiet und spielte in den Feldlagern der Partisanenarmee, die unter dem Haiduken Kara Georg Fuehrung die türkischen Besatzungsheere schlug. Als im Winter des Jahres 1915 die serbische Armee unter der Wucht des deutsch-bulgarisch-österreichischen Angriffs zurückwich und das Land räumte, berichteten Augenzeugen der tragischen Flucht ins Exil, dass ein alter Cuslar am Straßenrand der Nischer Chaussee gesessen und das Lied von der Schlacht auf dem Amselfeld gespielt hatte.
Von ähnlichen Szenen wird jetzt in den Berichten über die Partisanen in Serbien berichtet. Vor wenige Wochen veröffentlichte die „Zeitung der Partisanen“ in Montenegro den Brief einer Mutter, deren dritter Sohn im Kampf gegen die Nazis und italienischen Faschisten gefallen war. Sie schrieb: „Ich weine nicht, denn er ist für die Freiheit gefallen.“ Dieser Satz ist vergleichbar mit der „Klage der Jugovitischen Mutter, neun Söhne hatte sie auf dem Schlachtfeld vom Kossovo verloren, und da sie die Toten suchen geht, trifft sie neun weinende Pferde, neun weinende Falken, neun weinende Löwen…, doch sie selbst weinte nicht.“
Wie schrieb doch der Befehlshaber einer deutschen Naziarmee, die Serbien überrannt hatte, in einem Brief an seinen Brigadier? – „Ein Cannae ist nicht erzielt, und diese Serben, dieses dumme Bauernvolk mit seiner fanatischen Liebe zur Freiheit, werden uns noch verteufelt zu schaffen machen.“ Geschrieben hat dies Mackensen an Gallwitz.
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
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