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Deutschlandradio Kultur über Antisemitismus: Ein Missverständnis und betont schmale Augen

Im Nachgang zur SZ-Karikatur, die Mark Zuckerberg als Krake mit Hakennase darstellt, hat Deutschlandradio Kultur ein Gespräch mit dem renommierten Karikaturisten Heiko Sakurai geführt und am 27.2. um 9.09 h gesendet.

Das Gespräch dauert 11 Minuten, es kann hier gehört und nachgelesen werden unter dem Titel „Satire & Missverständnis – Reizvolle Doppelbödigkeit“.

Als ein „Missverständnis“ hatte der Zeichner der Zuckerberg-Karikatur bekanntlich den Ärger um seine Zeichnung bezeichnet, ohne dabei allerdings zu erklären, was an dieser Zeichnung missverstanden worden wäre und wie es dazu gekommen ist. Dass daraufhin ein bekannter Karikaturist zum Gespräch “über die Herausforderungen seiner Zunft” eingeladen wird, bietet die Gelegenheit, Missverständnisse aufzuklären und auszuräumen, und ist daher sehr zu begrüßen  – aber dann wird leider gar nichts aufgeklärt. Stattdessen bekommen Leser und Hörer geradezu beispielhaft vorgeführt, auf welch erschreckend niedrigem Niveau hierzulande diskutiert wird, wenn über Antisemitismus diskutiert wird, genauer: diskutiert werden müsste.

„Wenn man Pech hat, gibt es Proteste“
Die Proteste gegen die Zuckerberg-Karikatur seines Kollegen wundern Sakurai nicht, sie liegen für ihn vielmehr in der Natur der Sache:

 ”Eine Karikatur und ein Karikaturist sind immer in der Gefahr, missverstanden zu werden, eben weil sie mit Andeutungen und Doppelbödigkeiten spielt. Wenn man natürlich das Pech hat, dass man in einem sehr brisanten Feld missverstanden wird, dann gibt es halt auch ­­Proteste.“

Ein Karikaturist verwende Klischees und Stereotype, man sei bei der Arbeit sogar bis zu einem gewissen Grad darauf angewiesen. Er passe – schon aus Qualitätsgründen – auf, welche Klischees er verwende, aber besonders originell sei er da auch wieder nicht: den Großkapitalisten, den zeichne er immer noch  mit Anzug und Zigarre. Auch Äußerlichkeiten können thematisiert werden:

„Ich denke, wenn ein Politiker dick ist, hat man auch das Recht, ihn dick zu zeichnen… Also – Obama hat große Ohren, also darf man ihn auch mit großen Ohren zeichnen, denke ich, ohne dass dann gesagt wird, man ist Rassist.“

Bei Körpermerkmalen werde es ja schnell rassistisch, wirft die Moderatorin ein. Ja, sagt Sakurai, das sei tatsächlich eine Gefahr. Sein Vater sei Japaner, er selbst sei halb asiatisch, habe schmalere Augen als seine Umgebung und sei hin und wieder auch als „Schlitzauge“ beschimpft worden. Trotzdem zeichne er Asiaten mit schmalen Augen,

 „weil sie zum großen Teil so aussehen. Und weil ich auch nicht schlimm finde, dass sie so aussehen. Also bin ich bei Asiaten relativ – da fühle ich mich relativ sicher. Ich weiß aber auch, wenn ich Afrikaner zum Beispiel zeichne, dass die natürlich ausgeprägte Lippen haben, und das mache ich auch, aber ich überzeichne es nicht total extrem, weil ich da natürlich auch Angst habe, an bestimmte rassistische Grenzen zu stoßen.“

Kraken habe er übrigens auch schon gemalt, und damit kommt das Gespräch auf die Zielgerade:

 Sakurai:  „Ja, ich habe es mal mit Google gemacht. Das ist ein Konzern, der wirklich alles umklammert.

Moderatorin: Da hätten sie aber wahrscheinlich oder haben Sie eben keine Hakennase dran gemalt, das ist ja der Punkt. Der Antisemitismus-Vorwurf speist sich ja daraus.

Sakurai: Genau, speist sich aus dem Porträt, klar. Und in gewisser Weise ist es auch nachvollziehbar, dass es zu solchen Vorwürfen kommt. Ich weiß andererseits, auf der anderen Seite auch ganz genau, weil ich den Kollegen gut kenne, dass es niemals seine Absicht war. Und ich weiß auch, wie man tatsächlich in solche Situationen gerät. Wenn man nämlich wirklich mit keinem Gedanken an eine solche Verwicklung denkt. Das hört sich jetzt naiv an, aber ich bin selber schon in Situationen gekommen, wo ich etwas gezeichnet habe, was von den Leuten vollkommen anders aufgefasst wurde. Ich hatte bisher das Glück, dass es nicht in diesem speziell brisanten Feld passiert ist. Und da bin ich auch sehr vorsichtig. Aber es kann jedem Zeichner passieren. Und das macht auch den Reiz der Karikatur aus, dass eben diese Doppelbödigkeit immer da ist. Deswegen würde ich da wirklich gerne eine Lanze für den Kollegen brechen, in dem Wissen auch, weil ich mit ihm lange Jahre befreundet bin, dass er ganz fern davon steht.“

Schön, und was wollte der Kollege denn wohl ausdrücken? Was wurde stattdessen verstanden? Worin liegt die „Doppelbödigkeit“ der Hakennase?

Das hätte man gerne erfahren, aber man erfährt es nicht, denn danach wird nicht gefragt.

Antisemitismus – Ist das ein Vorwurf oder nur ein Missverständnis?

Beide Gesprächspartner machen sich die Auffassung, an irgendeiner Stelle müsse ein schlimmes und folgenreiches Missverständnis passiert sein, mit solch großer Selbstverständlichkeit zu eigen, dass sie gar nicht thematisieren, was bei Missverständnissen normalerweise als allererstes angesprochen wird.

Das Gespräch dreht sich an keinem Punkt darum, was an der  Karikatur antisemitisch ist oder fälschlicherweise so verstanden worden ist, sondern ausschließlich um den Antisemitismus-Vorwurf, der sich gegen den Kollegen richtet – und der zwar angesichts der Zeichnung „nachvollziehbar“ ist, aber, so muss man die gebrochene Lanze wohl verstehen, irgendwie auch ungerechtfertigt ist und als erledigt betrachtet werden kann.

Wie immer in solchen Fällen kann man auch hier dem Kritisierten nicht in den Kopf schauen. Das ist aber auch nicht nötig, um den antisemitischen Gehalt der Karikatur zu erkennen, der ihr ja auch dann innewohnen würde, wenn – solche Zeiten hat es ja gegeben – der Zeichner für so etwas gelobt statt kritisiert werden würde.

Nur indem man den antisemitischen Gehalt aus der Betrachtung ausblendet, kann man überhaupt auf die Idee kommen, das Problem am Antisemitismus sei der Vorwurf, der daraus resultieren kann. Nur dann kann man den Eindruck gewinnen, man bewege sich auf einem „speziell brisanten Feld“, wo man “Glück” braucht, damit „es“ einem nicht „passiert“.

Hakennasen – so was wie Schlitzaugen?

Wer das Deutschlandradio-Gespräch in voller Länge hört oder liest, wird bemerken, dass Antisemitismus nur am Rande und sehr unscharf vorkommt – „dieses speziell brisante Feld“ -, dass die Grenzen zu persönlichen und rassistischen Diffamierungen dagegen recht ausführlich besprochen, konkret benannt und bewusst gezogen werden, so dass man nur zustimmen kann:

Ja, wenn ein Politiker dick ist, darf man ihn dick zeichnen. Man muss dann aber andere dicke Politiker auch so zeichnen. Ja, ein Kapitalist mit Zigarre und Anzug ist nicht originell, aber als Kapitalist erkennbar. Ja, wenn Obama große Ohren hat, dann darf man ihn auch mit großen Ohren zeichnen. Ja, wenn Asiaten schmale Augen haben, darf man sie auch mit schmalen Augen zeichnen. Ja, wenn man die ausgeprägten Lippen von Afrikanern überzeichnet, dann überschreitet man eine Grenze. Ja, Google ist ein Konzern, der wirklich alles umklammert, den kann man dann schon mal als Krake malen.

Ja, das ist alles richtig. Es ist aber zugleich so kreuzbrav, dass sich – jedenfalls bei mir – die Vorstellung von etwas „reizvoll Doppelbödigem“ nicht so recht einstellen will. Außerdem ist nicht ganz klar, was diese Beispiele in diesem Zusammenhang aussagen sollen.

Denn ein Asiat bleibt ja auch dann noch als Asiat erkennbar, wenn seine schmalen Augen nicht überzeichnet werden. Ein Afrikaner bleibt als Afrikaner erkennbar, auch wenn seine vollen Lippen nicht überbetont werden. Aber ein Jude, bei dem nichts überzeichnet und überbetont wird, ist – wenn er nicht gerade ein orthodoxer Jude ist – nicht mehr als Jude erkennbar. Denn Juden haben nichts an sich, woran man ihr Jüdisch-Sein erkennen kann, unter anderem haben sie auch keine besondere Nase – wäre es anders, hätte man sie nicht zwingen müssen, einen gelben Stern zu tragen.

Wie zeichnet man einen Juden korrekt?

Wenn man also einen Juden zeichnen möchte, „wie er nun mal aussieht“, dann zeichnet man ihn am besten als normalen Menschen. Zum Beispiel mit schmalen Augen, wenn er ein asiatischer Jude ist, oder mit vollen Lippen, wenn er ein afrikanischer Jude ist.

Wenn man aber – warum eigentlich?- einen Juden so zeichnen möchte, dass er als Jude erkennbar ist, dann bleibt einem nicht viel übrig, als ihn so zu zeichnen, wie Juden seit jeher gezeichnet werden, nämlich so, dass es “schlimm” ist, Jude zu sein. Unterschiede zwischen Juden und Nicht-Juden wird man in der Realität nicht finden, also muss man sich an die Projektionen halten, die es von Juden gibt,  und die sind, was sie sind: antisemitisch.

Falls Sakurais Beispiele also bedeuten sollen, zur Vermeidung des Antisemitismus-Vorwurfs solle man Juden so darstellen, dass das spezifisch Jüdische nicht überbetont wird, dann müsste man das – in Abwandlung des bekannten Spruchs, “Antisemitismus heißt, die Juden mehr zu hassen, als es an sich nötig ist” – ungefähr so formulieren:

Einen Juden muss man so malen, dass man seine Hässlichkeit nicht überzeichnet.

Aber das hat Heiko Sakurai natürlich nicht gesagt. Was andererseits schade ist, denn das wäre nun wirklich wunderbar doppelbödig.

Fazit: Ein Trauerspiel

Wie stark und selbstverständlich antisemitische Projektionen auch heute noch gegenwärtig sind im deutschen Alltagsbewusstsein, zeigt sich zum einen darin, dass die Zuckerberg-Karikatur es bis in die Printausgabe der SZ geschafft hat.

In diesem Deutschlandradio-Gespräch zeigt es sich aber fast noch deutlicher. Denn das Gespräch, das ja immerhin durch diese Karikatur veranlasst worden ist, wäre die passende Gelegenheit gewesen, den antisemitischen Gehalt der Karikatur bloßzulegen und die Hörer schlauer zurück zu lassen, als es sie vorgefunden hat. Dazu wäre kaum mehr nötig gewesen, als die Dinge beim Namen zu nennen. Stattdessen wird ein Gespräch geführt, von dem der Einblick zurückbleiben kann, ganz so falsch, unlogisch und widersinnig sei Antisemitismus vielleicht doch nicht – solange man ihn nicht überspitzt.

Ein Trauerspiel.

Von Pavel Elver

für Israel-Nachrichten.org

Der Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung vom Blog des Autors mit dem Titel,  Israelreflex  übernommen.

 

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Von am 19/03/2014. Abgelegt unter Featured. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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