Ein Kriegsberichterstatter berichtet vom Schicksal der polnischen Hauptstadt:
Ans Unwirkliche grenzt die Präzision, mit der sich der deutsche Vormarsch in Polen vollzieht. Marsch, Kampf, Umzingelung und Vernichtung – wie an mathematischen Tabellen errechnet geht dies alles vor sich, logisch und zwangsläufig löst sich jedes taktische und strategische Problem. Es ist kein Kraut gewachsen gegen die deutsche Kriegführung.
Zwei Tage nach Kriegsausbruch am 3. September (1939) klopft der Krieg mit hartem Knöchel an die Pforte der Hauptstadt Polens – die deutsche Luftwaffe, welche schon nach 48 Stunden Krieg Beherrscher des Luftraumes über Polen geworden ist, greift Flugplätze und Flugzeugwerke von Okecie in unmittelbarer Nähe von Warschau an. Weitere fünf Tage dauert es, bis die Hauptstadt Polens aus allernächster Nähe den Kanonendonner hört und den heißen Atem des Krieges spürt. Es ist der 8. September, als die ersten deutschen Soldaten, Panzerkampfwagen, in die Vorstädte Warschaus eindringen. Um diese Zeit ist die Sche Polens bereits verloren.
Im Nordwesten Warschaus wird der Feind geworfen, und im Osten verriegeln deutsche Sturzkampfflugzeuge die Ausgänge aus der Stadt; die ersten Häuser Warschaus sinken in Trümmer und begraben unter sich Frauen und Kinder – Opfer der ponischen Artillerie, die vom Osten her die westlichen Viertel der Stadt beschießt. Der von vornherein für Polen verlorene Kampf um Warschau beginnt. Auf Polens Schuldkonto gehen die ersten Opfer, die ersten Wolken brennender Häuser und Stadtteile. Auf Polens Konto; denn es ist klar, daß Polen in diesem schon verlorenen Krieg nie seine Hauptstadt wird halten können. Aber mit dem Kleinkrieg, mit dem Heckenschützenkrieg glaubt Polen, das heranreifende Ende verzögern zu können. Das polnische Oberkommando meldet über den Kurzwellensender London GSB am 9. September: „Wir erwarten, daß der Kampf um Warschau schwer sein wird, aber wir haben hinter uns nicht nur die Armee, sondern alle Bürger der Stadt, die ein Gewehr tragen können.“
Und am gleichen Abend, 20:30 Uhr, verbreitet der Londoner Kurzwellensender GSA über die Welt und namentlich nach Amerika: „Die vielen Tausende von Männern aus der Zivilbevölkerung halten noch immer dem deutschen Angriff stand.“ Die ersten Rauchschwaden ziehen über die polnische Hauptstadt und verdunkeln den Himmel. Die ersten Straßen sind durch zertrümmerte Mauern versperrt. Das Volk von Warschau weiß genau, was ihm bevorsteht. Trotzdem berichten der Sender Warschau II am 11. September um 20:41 Uhr: „Beim Angriff auf Warschau Stadt erlitt ein deutscher Tank ein schreckliches Ende. Die Zivilbevölkerung machte ihn kampfunfähig.“
Zivilbevölkerung – noch ahnt Warschau nicht, daß dieses Wort einmal das Schicksal seiner Stadt entscheiden wird. Der deutsche Sender: „Achtung, Warschau! Achtung, Warschau! Das Oberkommando der Wehrmacht gibt folgendes zur Kenntnis: Das deutsche Verbot der Beschießung offener Städte, Dörfer und Ortschaften durch die deutsche Artillerie und die deutsche Luftwaffe ist von der Bedingung abhängig, daß die Gegenseite bereit ist, die Erklärung abzugeben, daß sie aus ihnen keinen Kriegsschauplatz zu machen beabsichtigt. Da die polnische Regierung ohne Rücksicht auf die Bevölkerung ihres Landes sich an diese Bedingung nicht hielt, wird die deutsche Armee von heute an mit allen Mitteln den Widerstand in diesen Ortschaften brechen.“
Das ist die letzte Warnung. Es ist der 16. September, der letzte Tag, die letzte Stunde zur Einsicht und Umkehr. Über zwei Millionen Einwohner zählt die Stadt; mehr als hunderttausend Soldaten befinden sich in ihren Mauern. Warschau ist von jeder Verbindung mit dem Hinterland abgeschlossen. Es hat nichts, kein Wasser, kein Gas, keine Zufahrtstraße, es hat nur eine Zukunft, Vernunft zu zeigen oder vernichtet zu werden. Die Hauptstadt Polens wäre eine leichte Beute. Sie ist so gut wie völlig umzingelt, unsere Luftwaffe hat alle militärisch wichtigen Ziele unter das Feuer ihrer Bomben genommen, leichte, schwere und schwerste Artillerie ist aufgefahren. Warschau muß fallen, wenn dieser militärische Apparat zu arbeiten beginnt. Aber zwei Millionen Menschen!
Das Oberkommando der Wehrmacht versucht das letzte Mittel, den offenbar zum Wahnsinn entschlossenen Kommandanten zur Vernuft zu bringen: Am 17. September, morgens um 8 Uhr, erscheint beim Stab eines ponischen Infanterieregimentes in einer Vorstadt Warschaus ein deutscher Parlamentär. Er verlangt, zum Kommandanten der Stadt geführt zu werden. In seiner Tasche hat er ein Schreiben seines Korpskommandeurs an den Kommandanten der Stadt Warschau, in dem der deutsche General noch einmal schriftlich unter Darlegung aller Gründe und Möglichkeiten den Polen auffordert, die Stadt zu übergeben. Der deutsche Offizier wird gebeten zu warten. Er sitzt in einer polnischen Unterkunft und wartet, wartet, wartet. Nach anderthalb Stunden kommt der Meldegänger zurück: „Der Herr General bedauert, den deutschen Offizier nicht empfangen zu können.“ Der Deutsche versucht, den Brief, den er in der Tasche trägt, durch einen polnischen Offizier dem Stadtkommandanten zukommen zu lassen, aber jeder Pole lehnt die Übernahme des Auftrages ab. Der deutsche Parlamentär grüßt, dreht sich auf dem Absatz um, steigt in den Wagen und verschwindet, zunächst von den Polen begleitet, dann von den deutschen Gefechtsposten in Empfang genommen. Gut, der polnische Stadtkommandant will den Kampf. Will ihn die Bevölkerung Warschaus?
„An die Zivilbevölkerung der Stadt Warschau!“ So beginnt ein Flugblatt, das in Tausenden von Exemplaren an diesem Tage über Warschau abgeworfen wird. „Eure Regierung hat Warschau zum Kampfgebiet gemacht und es der Eigenschaften einer offenen Stadt beraubt. Eure militärische Führung hat nicht nur Warschau beschießen lassen, sondern Euch außerdem aufgefordert, mit Waffen in der Hand den deutschen Truppen Widerstand zu leisten, und mit dieser Aufforderung zum Heckenschützenkrieg hat die polnische Regierung das internationale Recht gebrochen. Da einige Teile der Warschauer Bevölkerung dieser Aufforderung Folge geleistet haben, ist Warschau Kriegsgebiet geworden.
Heute richtet man an den Kommandanten der Stadt Warschau folgende Aufforderung:
1. Die Stadt soll als Ganzes im Laufe von zwölf Stunden ohne Kampf den deutschen Truppen, die von allen Seiten Warschau umzingelt haben, übergeben werden.
2. Die in Warschau befindlichen Truppen haben in der gleichen Zeit sich der deutschen Armeeführung zu ergeben.
3. Wenn diese Aufforderung angenommen wird, muß dem deutschen Kommandeur davon Mitteilung gemacht werden.
4. Wenn dieser Aufforderung nicht Folge geleistet wird, bleiben der Warschauer Zivilbevölkerung zwölf Stunden Zeit zum Verlassen des Stadtgebietes. Nach Ablauf dieser zwölf Stunden wird Warschau als Kampfgebiet betrachtet werden.
Aber Warschau hört nichts, hört nichts – als daß es nun ernst wird, und der Kommandeur der Stadt richtet an das Oberkommando der deutschen Wehrmacht die Bitte, einen Parlamentär für die Verhandlungen über den Abzug der Warschauer Zivilbevölkerung und des diplomatischen Korps am 17. September zu empfangen.
„Uwaga Warszawa! Uwaga WarszawaY Czy slyszycie nas! Achtung Warschau! Achtung, Warschau! Hört uns!“ Der deutsche Sender antwortet auf das polnische Ansuchen und erklärt die deutsche Bereitschaft, polnische Zivilbevölkerung und Mitglieder des diplomatischen Korps auf dem Weg Warschau-Praga-Minsk auf der Höhe der deutschen Vorposten durchzulassen.“Der Erhalt dieser wichtigen Meldung muß umgehend durch Warschau auf Welle 7.190 kHz bestätigt werden.“ 7.190 kHz meldet sich nicht. Was geht in Warschau vor? Auf der deutschen Front weiß man es nicht. Ist die Warschauer Zivilverwaltung wirklich bereit, auf Befehl des militärischen Kommandanten mit der gesamten Bevölkerung den Deutschen Widerstand zu leisten? Gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen Militär- und Zivilbehörden? Vielleicht innerhalb des Stabes des Kommandanten selbst?
Seit Tagen ist die deutsche Wehrmacht vorbereitet, Warschau mit allen militärischen Mitteln zur Ergebung zu zwingen. Unsere Stukas und Kampfflugzeuge, bisher nur gegen militärische Ziele eingesetzt, unsere Artillerie und Sturmkompanien sind bereit und warten. Der Kommandant Warschaus rührt sich nicht. Aber am 17. September kommt plötzlich durch den Äther eine Bitte an das Oberkommando der Wehrmacht, einen polnischen Parlamentär zu empfangen. Die deutschen Sender antworten: Der polnische Parlamentär habe sich dort und dort zu der und der Zeit im beleuchteten Auto mit weißer Flagge einzufinden. Die deutsche Antwort wird wiederholt, doch um Mitternacht muß das OKW feststellen, daß sich kein Parlamentär bei den Gefechtsposten unserer Truppen eingefunden hat. Wer hat die Bitte in den Äther gesandt? Warum ist die deutsche Bereitwilligkeit unbeantwortet geblieben? Warschau will den Kampf, und es wird ihn bekommen.
Die ausländischen Diplomaten sind, und das ist das bislang das einzige Zugeständnis des Warschauer Stadtkommandanten, durch die deutschen Linien in Sicherheit gebracht worden. „Bürger Warschaus! In den Straßen der Stadt hört man das Schießen der Artillerie. Frauen und Kinder laufen durch die Straßen Eurer Stadt und sterben im Feuer jener, die unverantwortlich und blind von den Dächern der Stadt schießen. Die Nacht der Schrecken ist für Warschau gekommen. Wir wollen nicht den Untergang Eurer Hauptstadt. Wir wollen nicht Eure Not und Euren Tod! Frauen Warschaus! Wenn Ihr nicht die Bevölkerung Eurer Stadt in den Tod stürzen wollt, dann sorgt dafür, daß alle Männer sofort die Waffen niederlegen. Wer morgen ohne Waffe in seinem Haus bleiben wird, hat nichts zu befürchten!“
Das war der letzte Appell an die Vernunft der Bevölkerung Warschaus. – Deutsche Artillerie hat den Kampf aufgenommen, deutsche Sturz-Kampfflugzeuge vernichten mit hundertprozentigem Erfolg alle militärischen Objekte der Stadt. Eine schwere Wolke legt sich über Warschau. Deutsche Stoßtrupps gehen gegen die Außenbefestigungen vor. Das Fort Mokotowski wird genommen, und am 27. September 1939 kapituliert die Hauptstadt Polens bedingungslos.
Die polnischen Truppen marschieren ab, am 2. Oktober 1939 rücken die ersten deutschen Truppen in Warschau ein.
Verlogener, brutaler und perfider konnte man den Überfall auf Polen wohl nicht kommentieren; – und: bei der Siegesparade in Berlin, die alle deutschen Sender übertrugen, haben Millionen Deutsche „Sieg Heil“ gebrüllt und Hitler zugejubelt. Davon will man heute natürlich nichts mehr wissen.
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
PS.: Das Foto zeigt einen deutschen Stuka-Piloten nach dem Einsatz.
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