TEIL 1
Ein „Schriftleiter“ des „Oberkommandos der Wehrmacht“ gab nachstehenden Text zu Papier:
Streift uns auch jetzt, in diesen letzten Tagen des August 1939, wieder nur der Krieg mit der Spitze seines Flügels, wie damals, als die Ostmark sich dem Reich anschloss, als die Sudetendeutschen an die Pforten des Reiches klopften, als die damalige Tschechei das Reich um seinen Schutz bat? Monate ist die deutsch-polnische Spannung alt. Seit Monaten haben jenseits unserer östlichen Grenzen die Fanatiker „eines größeren Polens“ die Oder als polnische Grenze verlangt, seit Monaten haben sie bekämpft, mißhandelt, verschleppt, erniedrigt, gefoltert, getötet jene Deutschen, die das Diktat von Versailles vor zwanzig Jahren den Polen in die Arme jagte, seit Monaten zieht man drüben, jenseits der Grenze, einen Jahrgang nach dem anderen ein, denn – man hat ja die Garantien Englands und Frankreichs gegen Deutschland in der Tasche, und was ist schon Deutschland gegen ein Polen, das England und Frankreich – „die Welt“ – zu seinen Verbündeten zählen darf? Zwischenfälle in Danzig, Verfrachtung polnischer Soldaten, Beamter, sogenannter Zivilpersonen auf die den Polen vorbehaltenen Gelände und Gebäude der Freien Stadt, Mißhandlung von Volksdeutschen. 38 Fälle sadistischer Rohheit zeichnet ein Beamter des Auswärtigen Amtes allein am 20. August auf – , „Erntefest mit blanken Messern“ als polnische Parole für den 28. August, Transporte von Infanterie aus Graudenz, Thorn und anderen Garnisonen nach Dirschau, in Zivil natürlich, damit wir nicht zu früh bemerken, was sich drüben abspielt.
Das ist die Situation im August, und sie nimmt schroffste Formen an, als polnische Flugzeuge die Grenze überfliegen, polnische Flak auf Hela und in Gdingen deutsche Verkehrsmaschinen unter Feuer nimmt, 70.000 Volksdeutsche über die Grenzen Polens in das Reich fliehen. So sieht es aus, als Wehrmacht und Volk des großdeutschen Reiches sich anschicken, auf Ostpreußens Schicksalsboden die 25jährige Wiederkehr der Schlacht von Tannenberg zu feiern. Diese Feier findet nicht statt, verlassen bleiben die Lager und die Tribünen, die für den Gedenktag errichtet wurden; Deutschland hat andere Sorgen, die feierlich geschmückten Felder und das Ehrenmal von Tannenberg warten vergeblich auf ihre Gäste; man begegnet nur feldgrauen Soldaten, jungen und alten.
Die Bewährungsprobe für Wehrmacht und Volk beginnt. „Seit einer Stunde ist in Polen durch Anschlag die allgemeine Mobilmachung befohlen worden. Erster Mobilmachungstag ist der 31. August“, telefoniert am 30. August, nachmittags um 17 Uhr 30, der deutsche Geschäftsträger in Warschau seiner Regierung. Sechseinhalb Stunden später überreicht der britische Botschafter Henderson dem Reichsminister des Äußeren ein Memorandum der britischen Regierung. Darin heißt es, die Heuchelei wird hinter allen Rissen der diplomatischen Tünche sichtbar, daß es Englands Wunsch sei, den Frieden zu bewahren: „[…] die Regierung seiner Britischen Majestät erkennt voll an, daß bei der Aufnahme der Verhandlungen (zwischen Deutschland und Polen) Eile geboten ist, und teilt die Befürchtungen des Herrn Reichsministers, die sich aus dem Umstand ergeben, daß zwei zivilisierte Armeen sich in allernächster Nähe gegenüberstehen.“
Deutschland hat nicht mobilisiert, sondern durch Verstärkung seiner jungen Wehrmacht lediglich dafür gesorgt, daß der polnische Größenwahn nicht ungestraft an die deutsche Grenze rühren kann. Die deutsche Regierung wünscht den Frieden. Sie hat sich trotz der wachsenden Spannung des deutsch-polnischen Verhältnisses bereit erklärt, bis zum Abend des 30. August einen bevollmächtigten Beauftragten der polnischen Regierung zu empfangen. In der Wilhelmstraße wartet man vergeblich, der polnische Vertreter bleibt aus. Dafür trifft um diese Zeit die Nachricht der polnischen Mobilmachung ein. Die Würfel sind gefallen.
Es ist der 31. August, abends 21 Uhr. Der Wagen des Botschafters Seiner Britischen Majestät fährt in den Ehrenhof der Reichskanzlei ein. Die Regierung des Deutschen Reiches hat keine Veranlassung mehr, dem Vertreter der Britischen Regierung irgendwelche Mitteilungen zu machen, da Verhandlungsgrundlagen zwischen Deutschland und Polen nicht mehr vorhanden sind. Trotzdem wird zu später Stunde dem britischen Botschafter noch einmal Gelegenheit gegeben, die Vorschläge kennen zu lernen, die Deutschland Polen zu machen gedacht hat. Sir Neville Henderson nimmt sie zur Kenntnis und erfährt, daß sich bis zum vorletzten Abend vor dem Beginn des Krieges kein polnischer Unterhändler gemeldet hat. Die Unterredung ist zu Ende. Sein Wagen setzt sich in Bewegung und rollt der britischen Botschaft an der Ecke Wilhelmstraße und Unter den Linden zu. Noch hat der Botschafter die Möglichkeit, den Frieden zu retten und eine Minute vor zwölf Polen zur Umkehr zu bewegen. Er tut es nicht, weil „ihm die deutschen Vorschläge zu schnell vorgelesen seien, als daß er sie ganz hätte verstehen können“. Drei Tage später wird er Berlin verlassen haben und in London um schweres Geld seine Erlebnisse in Deutschland an einen englisch-amerikanischen Verlag verkufen, und darin wird man lesen können, daß er sehr wohl verstanden hat, was Deutschland damals, am Vorabend des Krieges, Polen vorschlug. Es ist das letzte Mal, daß der Vertreter des Hauptschuldigen am Krieg sich mit einem Mitglied der Deutschen Reichsregierung im letzten Atemhauch des Friedens unterhalten konnte. Eine Woche zuvor, am 23. August 1939, durfte dieser selbe Sir Neville Henderson auf dem Obersalzberg vor dem Führer des Großdeutschen Reiches stehen. Er durfte hören, daß der Führer, bei dem geringsten polnischen Versuch, noch weiterhin gegen Deutsche oder gegen Danzig vorzugehen, sofort eingreifen werde und daß eine Mobilmachung im Westen mit einer deutschen Mobilmachung beantwortet werden würde.
Henderson: „Ist das eine Drohung?“
Der Führer: „Nein, eine Schutzmaßnahme!“
In dieser Schicksalswoche Europas also wußte Henderson, worum es ging, und ebenso wußte es Polen. Aber Henderson reiste aus Deutschland ab, um seine Memoiren zu schreiben, statt den Frieden zu retten. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Unter stillschweigenden Duldung Englands und Frankreichs gibt die Führung der polnischen Soldateska die letzten Hemmungen auf – die deutsche Grenze wird verletzt. In der Nacht zum 1. September schießen polnische Soldaten zum ersten Mal auf deutschem Boden gegen deutsche Soldaten. Vor dem deutschen Reichstag vom 1. September 1939 spricht der Führer. Er schildert die Entwicklung der letzten Monate, er erinnert an die Warnungen, die er immer und immer wieder an die Adresse Polens und dessen „garantierende Freunde“, an die Kriegshetzer und Einkreiser gerichtet hat. Er erinnert an die Friedensvorschläge, die am Tag zuvor durch eine amtliche deutsche Mitteilung dem deutschen Volk bekannt geworden sind:
Eine Abstimmung im sogenannten Korridor unter der Aufsicht der vier Mächte, England, Frankreich, Italien und der Sowjetunion, Anschluß Danzigs an das Reich, Belassung Gdingens bei Polen ohne Rücksicht auf die Abstimmung, Schaffung exterritorialer Straßen und Bahnen nach Ostpreußen oder Gdingen je nach Ausfall der Volksabstimmung. Es sind Vorschläge, großzügig genug, um dem deutschen Volk den Atem zu nehmen. Polen hat nicht gewollt, England und Frankreich haben nicht gewollt – sie haben den Krieg gewählt. Ganz Deutschland, das Volk und seine Wehrmacht, ganz Europa, die Welt sitzen an diesem geschichtlichen 1. September am Lautsprecher und hören die Rede des Führers und seine Worte: „Seit 5.45 h wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten.“ Der Krieg beginnt. Unser Heerlager im Osten setzt sich in Bewegung.
Ein neues Zeitalter fängt an!
So legitimierte die Nazi-Führung mit perfiden Täuschungen den brutalen Überfall auf Polen und den Beginn des Zweiten Weltkrieges.
Von Rolf von Ameln
Redaktion Israel-Nachrichten.org
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie uns bitte mit einer Spende, oder werden Sie Mitglied der Israel-Nachrichten.
Durch einen technischen Fehler, ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet!
Leserkommentare geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wie in einer Demokratie ueblich achten wir die Freiheit der Rede behalten uns aber vor, Kommentare nicht, gekuerzt oder in Auszuegen zu veroeffentlichen. Anonyme Zuschriften werden nicht beruecksichtigt.