Auschwitz veränderte sich mit dem Beginn der Shoa und der Lagerkomplex wuchs, zumal die Zahlen der Inhaftierten sprunghaft anstiegen: von etwa 12.000 Anfang Januar 1942 auf über 21.400 Anfang Mai, darunter Tausende Frauen. Auschwitz verwandelte sich jedoch nicht über Nacht, denn „Massentod“ hatte das KZ bereits zuvor gekennzeichnet, vor allem seit dem Herbst des Jahres 1941, als die russischen Kriegsgefangenen eintrafen und die Erweiterung in Birkenau in Planung war. Und: Auschwitz war im Frühling 1942 für den Holocaust immer noch eine Nebensache.
Sein Weg in den Mord an dem jüdischen Volk und anderen den Nazis nicht genehmen Volksgruppen dauerte mehrere Monate und vollzog sich in drei entscheidenden Schritten: Der erste war der Beginn der Reichssicherheitshauptamtes-Massendeportationen mit der Reichsbahn Ende März 1942, der nächste folgte nur einige Wochen später. Im Mai 1942 wurde Auschwitz zu einem regionalen Todeslager für die systematische Tötung schlesischer Juden. So wie nicht arbeitende Juden aus dem Warthegau in Chelmno umgebracht wurden, brachte die SS als arbeitsunfähig eingestufte aus Schlesien stammende Juden in Auschwitz um.
Die Auschwitzer SS-Schergen benutzte nun beide Elemente der „Endlösung“ – sofortige Vernichtung und mörderische Zwangsarbeit -, je nachdem, woher die Transporte mit Häftlingen kamen: „Arbeitsunfähige“ schlesische Juden wurden sofort nach ihrer Ankunft ermordet, während man andere Juden als „reguläre Häftlinge“ registrierte und sie sich zu Tode arbeiten ließ. Wieder einmal hatte solche parallele Politik Vorläufer und spiegelte den tödlichen Umgang der Auschwitzer SS mit den sowjetischen Kriegsgefangenen im Herbst 1941.
Die Einzelheiten der Entwicklung von Auschwitz zu einem regionalen Tötungszentrum bleiben bis in heutigen Tagen im Ungewissen; denn Originaldokumente sind nicht vorhanden, und Aussagen nach Ende des Zweiten Weltkrieges von Schlüsselfiguren wie Rudolf Höß und Adolf Eichmann sind widersprüchlich und zu ungenau. Bekannt ist, dass Eichmann Auschwitz wiederholt besuchte, um die „Endlösung“ zu koordinieren. Er baute eine enge Beziehung zu seinem „liebenswerten Kamerad und Freund“ Höß auf, den er für seine „Akuratesse und Bescheidenheit“ sowie sein „vorbildliches Familienleben“ bewunderte.
Aber auch der wortkarge Höß erkannte in Adolf Eichmann einen verwandten Geist, den er duzte, und nach einem langen „Arbeitstag“, wenn sie das Lager kontrolliert hatten oder zu einem der neuen Gebäude gefahren waren, leisteten diese beiden Organisatoren des Massenmords einander beim Entspannen Gesellschaft, rauchten und tranken kräftig, gefolgt von einem opulenten Frühstück am nächsten Morgen. Man kann davon ausgehen, dass Adolf Eichmann Auschwitz zum ersten Mal im Frühjahr 1942 besuchte; – vermutlich im März oder April. Die Deportationen des Reichssicherheitshauptamtes aus Frankreich und der Slowakei – die er federführend leitete – fingen damals gerade an, und im Anschluss daran reiste er ins Lager, um mit Kommandant Höß diese Transporte und die nächsten „Aktionen“ zu besprechen!
Eichmann musste Höß wohl mitgeteilt haben, dass bald Transporte mit zur sofortigen Vernichtung selektierten Juden aus Oberschlesien eintreffen würden. Dies wiederum war nur eines von vielen folgenden Treffen der beiden Massenmörder. In den folgenden Monaten konferierte Eichmann vor Massendeportationen häufig mit Höß und höheren Lager-SS-Funktionären, um die „Kapazität von Auschwitz“ sicherzustellen, „denn die Leute mussten dergestalt wissen, wieviel ich ihnen nun an Menschenmaterial zuzuführen gedenke..“, wie Eichmann später selbst erklärte. Die wachsende Bedeutung von Auschwitz für die NS-Endlösung stand sicher auch bei einem Besuch von Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt-Chef Oswald Pohl in den ersten Apriltagen 1942 auf der Tagesordnung, seinem ersten Dienstbesuch hier, seit er die Leitung des Konzentrationslager-Systems übernommen hatte.
Zu jener Zeit stand Pohl in enger Verbindung mit Heinrich Himmler, den er Mitte April mehrfach traf, und zwar ohne jedweden Zweifel über die allgemeinen Nazi-Pläne der Regime-Führung im Bilde, die damals die Grundzüge ihrer gesamteuropäischen Vernichtungspolitik festlegte. Die Todestransporte schlesischer Juden begannen kurz nach Pohls Besuch in Auschwitz, und im Mai 1942 trafen etwa 65.000 Juden – als arbeitsunfähig selektiert – aus verschiedenen Städten und Dörfern Oberschlesiens ein. Viele von ihnen kamen aus Bedzin, das nur etwa 40 Kilometer von Auschwitz entfernt war, wo die ersten Opfer in einer großen „Aktion“ von deutschen Polizeikräften (!!!) und jüdischer Ghetto-Polizei am 12. Mai im überfüllten jüdischen Viertel der Kleinstadt zusammengetrieben wurden, die ehemals ein bedeutendes Zentrum jüdischen Kultur- und Wirtschaftslebens der Region gewesen war.
Im folgenden Monat wurden weitere – den Schätzungen zufolge – 16.000 Juden aus Schlesien nach Auschwitz deportiert, was Nazi-Verbrecher aus der Führungsebene in verschiedenen Ortschaften dazu veranlasste, sich voller „Stolz als judenfrei“ zu erklären.
Wie es weitergeht erfährt die Leserschaft der Israel Nachrichten in der nächsten Folge, in der es um „Das Rote Haus“ geht und dessen Bewandtnis in der Shoa.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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