Seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist Auschwitz das Symbol der Shoah. Das Nazi-Verbrecherregime ermordete hier fast eine Million Juden, mehr als an irgendeinem anderen einzelnen Ort. Und nur in Auschwitz töteten sie mit System Juden von überall auf dem europäischen Kontinent, deportiert in den Tod aus Polen, Ungarn, Frankreich, Holland, Griechenland, der Tschechoslowakei, Belgien, Österreich, Kroatien, Norwegen, Italien und Nazi-Deutschland. Auschwitz war deshalb so tödlich, weil es wesentlich länger als andere Stätten der Tötung in mörderischem Betrieb war. Im Jahre 1944, im späten Frühjahr, als die drei Todeslager im Generalgouvernement längst schon geschlossen waren, begann Auschwitz gerade erst, seinen mörderischen Scheitelpunkt zu erreichen.
Nachdem die Rote Armee schließlich im Januar 1945 das Lager befreit hatten, blieb ein großer Teil der Infrastruktur des Mordens vor Ort erhalten, im Gegensatz zu Belcec, Sobibor und Treblinka, wo die Spuren des Völkermordes mit Sorgfalt beseitigt worden waren. Das ist wohl auch ein Grund, warum wir so viel mehr über Auschwitz als über die anderen Todeslager wissen. Mehrere Zehntausend Auschwitz-Häftlinge überlebten den Krieg, und gar manche unter ihnen erzählte seine Geschichte. Dagegen verließ fast kein Häftling die anderen Todeslager lebend, da sie als reine Vernichtungsfabriken dienten; bekannt ist, dass nur drei Überlebende nach Ende des Zweiten Weltkrieges über Belcec Zeugnis abgelegt haben.
Im Angesicht der Sonderstellung von Auschwitz im Gedenken an den Holocaust lohnt es sich auch in heutiger Zeit noch, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, dass das Lager nicht nur zur Vernichtung von Juden geschaffen wurde, und es war auch niemals seine einzige Grundlage. Anders als die reinen Todes- und Vernichtungslager im Generalgouvernement war Auschwitz immer eine Stätte mit den verschiedensten Aufgaben. Außerdem wurde es erst spät in den Völkermord einbezogen. Entgegen mancher historischen Auffassungen wurde Auschwitz nicht bereits im Jahre 1941 zu einem Vernichtungslager für die europäischen Juden. Diese „Funktion“ ergab sich allmählich im Laufe des Jahres 1942, und erst seit dem Sommer jenes Jahres spielte das Lager eine bedeutende Rolle.
Im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges bewegte sich die von den Nazis geplante „Endlösung“ von immer tödlicheren Plänen für ein „Judenterritorium“ hin zur direkten Vernichtung. Und es gab mehrere entscheidende Phasen der Radikalisierung. Der deutsche Einmarsch in die Sowjetunion im Sommer des Jahre 1941 markierte einen solchen Schlüsselmoment, als Massenerschießungen jüdischer Männer im militärtauglichen Alter sich rasch zu breit angelegten ethnischen Säuberungen auswuchsen, mit täglich verübten Blutbädern auch an Frauen, Kindern und alten Menschen. Bis Ende des Jahre 1941 waren quer durch die neu von der Großdeutschen Wehrmacht eroberten Ostgebiete mehr als 600.000 Juden ermordet worden.
Inzwischen war das Regime der Nazis bereits auf dem Weg zur Vernichtung der europäischen Judenheit insgesamt. Der Herbst 1941 sah die ersten systematischen Massendeportationen aus Deutschland in den Osten, eine Folge von Hitlers Entscheidung, alle Juden aus dem „Dritten Reich“ zu entfernen. Auch wenn viele der Opfer nicht gleich nach der Ankunft in Auschwitz ermordet wurden, stand doch fest, dass sie nicht mehr lange zu leben hatten. Zur gleichen Zeit weitete sich die Ermordung von Juden über die UDSSR hinaus auf Serbien und Teile Polens aus. Währenddessen wurden Pläne für mehrere regionale Vergasungseinrichtungen auf auf besetztem sowjetischen und polnischen Gebiet gemacht, die auf osteuropäische Juden zielten, vor allem auf die als „arbeitsunfähig“ eingestuften.
Chelmno (auf Deutsch Kulmhof) war das erste solche Todeslager, das am 8. Dezember 1941 seinen Mordbetrieb aufnahm. Innerhalb von nur vier Monaten wurden dort mehr als 50.000 Menschen in sogenannten Gaswagen ermordet, in der Hauptsache polnische Juden aus dem knapp 70 Kilometer entfernten Ghetto Lodz; – und weiter östlich, im Generalgouvernement, begann Anfang 1941 der Bau des ersten stationären Vernichtungslager in Belcec – Bezirk Lublin – , gefolgt von der Einrichtung eines zweiten Todeslagers in Sobibor – ebenfalls Bezirk Lublin – ab Februar 1942. Es war dies auch der Zeitpunkt, dass das Völkermord-Programm seine endgültige Form annahm.
Seit Ende März 1942 nahmen Deportationen aus West- und Mitteleuropa langsam zu, beginnend mit den ersten Transporten in Viehwaggons ausgesonderter slowakischer und französischer Juden in das besetzte Polen. Die Verantwortlichen der SS begannen mit der Vorbereitung eines umfassenden Planes für europaweite Deportationen, der seit dem Juli 1942 grausam umgesetzt wurde. Aber auch das Morden in Osteuropa nahm weiter zu. In den besetzten Gebieten der Sowjetunion wurden „Ghettoräumungen“ und Massaker forciert, und auch im besetzten Polen wurden immer mehr Regionen in das Inferno hinein gerissen. Die Täter gingen mit großer Schnelligkeit vor und leerten ein Ghetto nach dem anderen. Laut den Zahlen, welche die Nazis selbst bekannt gaben, waren von den zwei Millionen Juden, die dereinst im Generalgouvernement gewohnt hatten, Ende des Jahres 1942 nur noch 300.000 am Leben.
Die meisten der im Generalgouvernement ermordeten Juden starben in den drei neuen Todeslagern. Die Massenvernichtung in Belcec begann im März, gefolgt von Sobibor Anfang Mai; etwa zur gleichen Zeit begann der Bau eines dritten Lagers, Treblinka im Bezirk Warschau, im Norden des Generalgouvernements, das vor allem für die Tötung von Juden aus dem Warschauer Ghetto gedacht war und Ende Juli in Betrieb ging. Man bezeichnete die Vernichtung der Juden im Generalgouvernement im Allgemeinen als „Aktion Reinhard“ und diese drei Todeslager als „Reinhard-Lager“, nach einem Nazi-Code-Wort in Erinnerung an die Ermordung von Reinhard Heydrich.
Aber die Behörden der Nazis beschränkten den Tarnnamen „Aktion Reinhard“ nämlich nicht nur auf Belcec, Sobibor und Treblinka, sondern verwendeten ihn auch für Judenvernichtung und Raub ihres Besitzes in den SS-Konzentrationslagern Auschwitz und Majdanek. Doch trotz ihrer verknüpften Geschichte bestanden die drei neuen Todeslager im Generalgouvernement unabhängig von Auschwitz und Majdanek und dem übrigen Konzentrationslager-System, und um diese Verschiedenheit kenntlich zu machen, werden Belcec, Sobibor und Treblinka immer als „Globocnik-Todeslager“ bezeichnet, nach dem SS- und Polizeiführer des Bezirks Lublin, Odilo Globocnik.
Wie es weitergeht erfährt die Leserschaft der Israel Nachrichten im dritten Teil über die Nazis und die Konzentrationslager.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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