Am 21. Februar 1937 schrieb die „Deutsche Volkszeitung“ auf Seite drei nachfolgenden Artikel:
Tollhaus der Kriegswirtschaft; – Hitlers Generalstab okkupiert die gesamte Produktion – Die Volksfront fordert: Friedenswaren! Wer die politische Binsenweisheit, dass der Hitlerfaschismus bewusst zum Kriege treibt, bisher noch immer nicht annehmen wollte, konnte sie dieser Tage aus erster Hand vernehmen, aus dem Vortrag des Leiters des „Wehrwirtschaftsstabes des Reichskriegsministerium“, Oberst Thomas, vor der wehrwissenschaftlichen Gesellschaft („Frankfurter Zeitung“, 9. Februar): „Die Ursache fast aller Volkskriege ist“, so führte Thomas aus, „die wirtschaftliche Not eines Volkes, der Kampf um den Lebensraum, das Ringen um die Existenz im Großen gesehen“.
Nach dieser ganz in der Sprache des Imperialisten verfassten geschichtlichen Feststellung deklariert Thomas weiter: „Wenn wir, von diesem Gedanken ausgehend, unsere heutige Lage betrachten, so können wir unumstritten feststellen, dass sich das deutsche Volk in einer solchen Notlage (!) befindet.“ Dieser Satz ist nicht zufällig ausgesprochen, er ist vielmehr der sorgfältige ausgewogene Ausgangspunkt für diesen Vortrag eines der wichtigsten Männer des deutschen Generalstabs. „Volkskrieg“, gibt Thomas die Parole aus, wiederum nicht zufällig und ebenso wenig unbedacht; – denn – denken wir immer daran – hier sprach einer mit dem ganzen Gewicht und der ganzen Verantwortung seines Amtes.
Damit aber gar kein Zweifel möglich ist, dass „Volkskrieg“ die aktuelle Kriegsparole Deutschlands ist, widmet er ihr zahlreiche Parallelen aus der Geschichte, zurück bis zu den Römern, Griechen und Germanen. Das ist die Parole, mit der der Faschismus bestrebt ist, die „geistige Umstellung“ des deutschen Volkes für den Krieg vorwärts zu treiben. Das vor allem war die sorgfältig überdachte Zweckbestimmung dieses Vortrages. „Volkskrieg!“ Thomas entwickelt diese Parole konsequent bis in alle Einzelheiten, den ganzen Mobilmachungsplan, nach dem alle wirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland geregelt wird, nach welchem jetzt die Maschinen der Industrie laufen, die Arbeiterarmeen organisiert und eingesetzt werden, der Bauer seinen Pflug führt, der Handwerker seinen Hammer schwingt, der Wissenschaftler seine Forschungen treibt und sogar die Hausfrau ihre Suppe kocht.
Den Rhythmus des gesamten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens dirigiert der große Generalstab der Armee, der Wirtschaftsgeneralstab im Reichskriegsministerium, deren Chef der Oberst Thomas ist; denn so sagt er: „Die Wirtschaft und mit ihr der ganze Menschenapparat der Heimat wird zu einem Ozean der Kriegführung wie irgend einer der Teile der Wehrmacht; und jede Organisation der Heimat, mag sie herkommen, wo sie will, wird nur einen Zweck haben, den Dienst am Volk zur Erringung des Sieges..!“ Das ist das Wirtschaftsgesetz im Dritten Reich. Folgen wir Thomas in seinen weiteren Ausführungen: „So lange die Militärbehörden nicht die Möglichkeit haben, die Industrie ähnlich wie die Wehrmacht zu organisieren, ist das Land nicht kriegsbereit.“
Das Dritte Reich kriegsbereit zu machen, das ist der Sinn alles dessen, was in Deutschland politisch und wirtschaftlich geschieht. Die Wirtschaft des Dritten Reiches hat nichts mehr zu tun mit der Warenproduktion im üblichen kapitalistischen Sinne, die zwar widerspruchsvoll ist und im Profitinteresse der Wareninteressenten liegt, aber doch einem volkswirtschaftlichen Bedürfnis nach Waren dient, sondern, so sag Thomas, „wir treiben Wehrwirtschaft“. In der Wehrwirtschaft aber sind Kanonen wichtiger als Butter und Kasernen wichtiger als Wohnungen. Ihr inneres Gesetz ist: „Die geistige Umstellung unseres ganzen wirtschaftlichen Denkens und Handelns auf den Gedanken, wie kann ich meine ganze Arbeit gestalten, um meinem Vaterlande im Interesse seiner Sicherheit zu dienen und seine wehrwirtschaftliche Kraft zu stärken? Wehrwirtschaft ist also die Richtung weisende Bezeichnung für die wirtschaftliche Tätigkeit aller Staatsbürger.“
Die Wirtschaft wird militärisch organisiert. Und wenn der Bauer unter der Zwangswirtschaft des Reichsnährstandes gepresst wird, dann ist das „wehrwirtschaftliche Organisierung der Rohstoffversorgung“. – „So ist auch der Vierjahresplan zu betrachten … die Ordnung auf den Rohstoffmärkten um eine planvolle Wirtschaft in den Schlüssel-Industrien ist der Ausgangspunkt für die Wirtschaft. Planmäßige Steuerung dieser Gebiete ist daher eine der Grundforderungen der Wehrwirtschaft.“ So enthüllt Thomas den Sinn und das Geheimnis des Vierjahresplanes als den Generalmobilisierungsplan für den kommenden Krieg.
Die Mobilmachung des gesamten Volkes, aller wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte, ist im vollen Gang und nicht nur für irgendeinen fernen Zeitpunkt, denn Thomas weist sehr nachdrücklich an verschiedenen Stellen seines Vortrages einmal auf die „Kriegspsychose“ in den letzten Wochen, und zum anderen auf die Verknappung der Weltmärkte in den „politischen Spannungen der letzten Wochen“, die ein typisches Zeichen für den „Ernstfall“ seien. Die Kriegsmaschine läuft auf vollen Touren. Thomas enthüllte ihre Wirksamkeit und den kalten und nüchtern überlegten Kriegsplan, der unser Volk in ungeheure Not und Elend stürzt und ihm noch größeres Unheil bringen wird. Aber ebenso klar enthüllt er auch die schwachen Stellen, er zeit die Waffen selbst, mit denen er bekämpft werden kann. Wenn heute die deutschen Arbeiter für höheren Lohn und die Freiheit des Arbeitsplatzes, wenn die Bauern für die freie Wirtschaft ihres Hofes, die Handwerker für ausreichende Rohstoffversorgung, das ganze Volk gegen die Schuldenwirtschaft und die Steuerausplünderung kämpft, dann ist das der Weg, auf dem den Kriegstreibern Halt geboten, der Mobilmachungsplan gestört und schließlich ganz vernichtet werden kann.
(Nach etwas mehr als zwei Jahren sollte sich dieser Beitrag zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges entwickeln. Anm.d.Verf.)
Satirisch geht es auf der letzten Seite des Blattes weiter; – es titelt: „Gespensterflugzeuge?“ Generalprobe der braunen Kriegslüge in Wien. Alles schon dagewesen, nämlich das mit den geheimnisvollen bolschewistischen Fliegern. Jetzt tauchen sie plötzlich über Wien auf, um – Bomben werfen ging es nicht, das hätten ja alle gehört, Vergiftung von Brunnen durch Pestbazillen ging auch nicht, man hätte es gemerkt – um mit Rauchschrift Hammer und Sichel an den Himmel zu malen. Selbstverständlich können sie von nirgendwo anders herkommen als von dem „Flugzeugmutterschiff der Sowjets“, aus der Tschechoslowakei.
Dazu gibt es eine Zeichnung mit dem Titel: „Sowjetflieger über Berlin“. Und unter den abgebildeten Flugzeugen, die Butter, Wurst und Käse an Fallschirmen abwerfen, steht geschrieben: „Wie wäre es mit dieser Sensation, Dr. Goebbels? „Grauenvoller bolschewistischer Luftangriff auf das deutsche Winter-Hilfswerk!“
Eine Fortsetzung aus dieser „kommunistischen Zeitung“, die noch frei berichten konnte, gibt es in einer der nächsten Ausgaben der Israel Nachrichten.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie uns bitte mit einer Spende, oder werden Sie Mitglied der Israel-Nachrichten.
Durch einen technischen Fehler, ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet!
Leserkommentare geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wie in einer Demokratie ueblich achten wir die Freiheit der Rede behalten uns aber vor, Kommentare nicht, gekuerzt oder in Auszuegen zu veroeffentlichen. Anonyme Zuschriften werden nicht beruecksichtigt.