ZUSAMMENFASSUNG: Viele Millionen Europäer haben eine dämonische Ansicht über Israel. Dies zeigt sich auf verschiedene Weise, von denen die schwerwiegendste darin besteht, Israels Aktionen gegen die Palästinenser mit denen der Nazis gegen die Juden zu vergleichen. Die Dämonisierung Israels führt zu antisemitischen Beleidigungen gegen Juden im Allgemeinen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten, aber auch die israelische Regierung haben dieses Problem sehr fahrlässig angegangen.
Dank einer zunehmenden Anzahl quantitativer Studien zeichnet sich endlich ein Bild des enormen Ausmaßes der europäischen Dämonisierung Israels ab. Eine der detailliertesten dieser Studien ist ein kürzlich von der ungarischen Aktions- und Schutzliga in Auftrag gegebener Bericht, der von der ungarischen Meinungsforschungsfirma Inspira Ltd. erstellt wurde.
Inspira befragte in repräsentativen Stichproben die erwachsene Bevölkerung zwischen 18 und 75 Jahren nach Geschlecht, Altersgruppe, Siedlungsgröße und Bildung in 16 europäischen Ländern. 25 Prozent der Befragten stimmen nicht zu, dass Israel in legitimer Selbstverteidigung gegen seine Feinde handelt. 27 Prozent stimmen nicht zu, dass Israel das einzige demokratische Land im Nahen Osten ist. Wenn 25% an Israels Politik denken, haben sie das Gefühl zu verstehen, warum manche Menschen Juden hassen. 24 Prozent glauben, dass die israelische Politik gegenüber den Palästinensern einen internationalen Boykott Israels rechtfertigt. Der gleiche Prozentsatz glaubt, dass sich Israelis gegenüber den Palästinensern wie Nazis verhalten.
In den heutigen westlichen Gesellschaften wird der Ausdruck „Verhalten wie Nazis“ verwendet, um das absolute Böse zu vermitteln, weil er bedeutet, entweder Völkermord begehen zu wollen oder tatsächlich zu versuchen. Diejenigen, die mit der Geschichte des Antisemitismus vertraut sind, erkennen das alte antisemitische Hassmotiv in der Verwendung dieses Ausdrucks zur Verleumdung von Juden. Es ist ein Motiv, das im Laufe der Geschichte eine entscheidende Rolle bei der Verfolgung von Juden gespielt hat: die Idee, dass der Jude das absolute Böse verkörpert.
Im christlichen Antisemitismus wurde dieses Hassmotiv als die falsche Behauptung ausgedrückt, dass Juden aller Generationen für die Hinrichtung von Gottes angeblichem Sohn Jesus verantwortlich sind. Der nationale / ethnische Antisemitismus erreichte mit dem Nationalsozialismus seinen tiefsten Punkt. Im nationalsozialistischen Deutschland mutierte das absolut böse Motiv zur Förderung des Hasskonzepts, dass Juden untermenschlich sind und ausgerottet werden sollten.
In der heutigen Welt sind Israel und Juden mit einer neuen Mutation der absolut bösen Idee konfrontiert: dass Israel, der jüdische Staat, ein NS-Regime ist, das die Palästinenser auslöschen will. Die Inspira-Umfrage lieferte neue Daten dazu, um frühere Studien zu ergänzen. Während die Zahlen zwischen den Studien erheblich variieren, führen sie alle zu vielen Millionen Europäern, die glauben, dass Israel zu dieser zeitgenössischen Definition des absoluten Bösen passt.
Vor Inspira wurde die wichtigste repräsentative Studie 2011 von der Universität Bielefeld im Auftrag der Sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht. Die Forschung wurde in sieben europäischen Ländern durchgeführt. Die Interviewer befragten im Herbst 2008 über 1.000 Menschen pro Mitgliedsland im Alter über 16 Jahre. Eine Frage war, ob sie der Behauptung zustimmten, dass Israel einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser führt. Der niedrigste Prozentsatz derjenigen, die zustimmten, war in Italien und den Niederlanden mit 38% bzw. 39%. Weitere Zahlen waren: Ungarn 41%, Großbritannien 42%, Deutschland 48% und Portugal 49%. In Polen waren es erstaunliche 63 Prozent.
Im Jahr 2004 führte die Universität Bielefeld eine ähnliche Studie durch, die nur Deutschland betraf. Mehr als 2.500 deutsche Erwachsene wurden gefragt, ob sie der Aussage zustimmen: „Was der Staat Israel heute den Palästinensern antut, unterscheidet sich im Prinzip nicht von dem, was die Nazis den Juden im Dritten Reich angetan haben.“ Einundfünfzig Prozent der Befragten bejahten dies. Achtundsechzig Prozent stimmten der Aussage zu, dass „Israel einen Zerstörungskrieg gegen die Palästinenser führt“.
Die Studie kam zu dem Schluss, dass Kritik an Israel bis zu einem gewissen Grad als Deckmantel für antisemitische Einstellungen und Meinungen dient. In ihrer Definition von Antisemitismus erklärte die Studiengruppe der Universität Bielefeld, es sei antisemitisch, „Israels Politik gegenüber den Palästinensern und die Verfolgung der Juden im Dritten Reich“ zu vergleichen. „Vergleiche der zeitgenössischen israelischen Politik mit der der Nazis ziehen“ ist eines der Beispiele für zeitgenössischen Antisemitismus in der weithin akzeptierten Definition dieses Hasses durch die International Holocaust Remembrance Alliance.
Nach dieser Definition vertrat die Mehrheit der damals befragten Deutschen extreme antisemitische Ansichten. 35 Prozent stimmten voll und ganz zu und 33 Prozent waren sich einig, dass Israel daran arbeitet, die Palästinenser zu zerstören. 27% stimmten voll und ganz zu und 24% waren sich einig, dass das Verhalten Israels gegenüber den Palästinensern im Wesentlichen das gleiche ist wie das der Nazis gegenüber den Juden. Nur 19% stimmten überhaupt nicht zu und 30% neigten dazu, nicht zuzustimmen. Die Ergebnisse dieser 2004 veröffentlichten Umfrage bestätigten die Ergebnisse früherer Umfragen zum deutschen Antisemitismus.
Eine von Paola Merulla im Herbst 2003 durchgeführte italienische Umfrage ergab, dass 17% der Italiener sagten, es wäre besser, wenn Israel nicht existieren würde. Eine 2007 in der Schweiz von gfs.bern veröffentlichte Studie ergab, dass 50% der Schweizer Bevölkerung Israel als „den Goliath im Vernichtungskrieg der Palästinenser“ betrachten. Im Jahr 2012 wurde in einer Studie des Zentrums für Holocaust-Studien und religiöse Minderheiten in Norwegen eine Stichprobengruppe gefragt: „Ist das, was Israel den Palästinensern antut, identisch mit dem, was die Nazis den Juden angetan haben?“ Achtunddreißig Prozent gaben eine positive Antwort.
Eine 2013 von der Bertelsmann-Stiftung durchgeführte Umfrage ergab, dass die deutsche Bevölkerung zu 41% mit der Aussage übereinstimmt, dass sich Israel bei der Behandlung von Palästinensern wie Nazis verhält. Im Jahr 2007 waren es 30%. Die Zahl von 2013 entspricht mehr als 25 Millionen deutschen Erwachsenen, die glauben, dass Israel absolut böse ist.
Es scheint Anzeichen für eine Verbesserung der Einstellungen zu geben, obwohl die Prozentsätze immer noch alarmierend sind. Im September 2014 haben die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Universität Bielefeld eine weitere Studie in Deutschland durchgeführt. Sie fragten erneut, ob die Menschen der Aussage zustimmen: „Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser.“ Vierzig Prozent der befragten Deutschen stimmten zu. Wie oben erwähnt, lag die Zahl, die dieser Aussage im Jahr 2004 zustimmte, bei 68%. Die Aussage wurde auch anders formuliert: „Was der Staat Israel heute den Palästinensern antut, unterscheidet sich im Prinzip nicht von dem, was die Nazis den Juden im Dritten Reich angetan haben.“ Im Jahr 2014 antworteten 27% positiv, verglichen mit 51% im Jahr 2004.
Eine britische Studie aus dem Jahr 2017 ergab, dass 23% der britischen Bevölkerung der Meinung sind, Israel versuche absichtlich, das palästinensische Volk auszulöschen. Vierundzwanzig Prozent dachten, Israel begeht einen Massenmord in Palästina. Einundzwanzig Prozent betrachteten Israel als Apartheidstaat. Achtzehn Prozent waren der Meinung, dass die Interessen der Israelis im Widerspruch zu den Interessen der übrigen Welt stehen. Zehn Prozent meinten, Israel sei die Ursache aller Probleme im Nahen Osten, und neun Prozent meinten, die Menschen sollten israelische Waren und Produkte boykottieren. Die Studie ergab auch, dass die Haltung der Muslime gegen Israel in Großbritannien höher ist als die der allgemeinen Bevölkerung.
In einer Eurobarometer-Studie wurde 2003 gefragt, ob verschiedene Länder eine Bedrohung für den Weltfrieden darstellen. Neunundfünfzig Prozent der Europäer sagten, Israel sei eine solche Bedrohung. Kein anderes Land auf der Liste wurde von einem so hohen Prozentsatz als ähnliche Bedrohung eingestuft. Iran und Nordkorea belegten mit 53% den zweiten Platz. Am Ende der Liste stand die EU, die nur 8% der Europäer als Gefahr für den Weltfrieden betrachteten. Unter den damals fünfzehn EU-Ländern waren die Niederlande mit 74% der Staat mit dem höchsten Prozentsatz, der Israel als Bedrohung für den Weltfrieden ansah. Als nächstes folgten die Österreicher mit 69%. Im Nachhinein verstehen wir, dass diese Wahrnehmungen die Dämonisierung Israels in Europa widerspiegeln.
Die EU-Agentur für Grundrechte führte 2018 eine nicht zufällige Studie unter europäischen Juden durch. Sie stellte fest, dass die häufigsten antisemitischen Aussagen, mit denen Juden regelmäßig konfrontiert werden, die sind, dass sich Israelis gegenüber Palästinensern wie Nazis verhalten. Dies wurde von 51% der Befragten erwähnt. Dies ist eine von mehreren Möglichkeiten, wie die Dämonisierung Israels europäische Juden betrifft.
Die Dämonisierung Israels durch zig Millionen Europäer fördert unweigerlich den Antisemitismus gegen Juden im Allgemeinen. Daraus sollten zwei wichtige operative Schlussfolgerungen gezogen werden:
Erstens: Sind die EU und ihre Mitgliedstaaten gesetzlich verpflichtet, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den Antisemitismus wirksam zu bekämpfen und die Würde des jüdischen Volkes zu wahren. Da der europäische Antisemitismus weitgehend von der weit verbreiteten Dämonisierung Israels getrieben wird, ist die EU verpflichtet, etwas dagegen zu unternehmen. Bisher ist dies der EU überhaupt nicht gelungen.
Zweitens: Aufeinanderfolgende israelische Regierungen sind im Kampf gegen den weltweiten Antisemitismus weitgehend gescheitert, indem sie der weit verbreiteten Dämonisierung Israels im Ausland und insbesondere in Europa viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben. Die Knesset hat auch keinen Druck auf die Regierung ausgeübt, damit die sich um die Lösung dieses Problems bemühen. Die Haltung Israels muss sich radikal ändern, um die Dämonisierung ihres Landes zu bekämpfen.
Von Dr. Manfred Gerstenfeld (BESA)
Dr. Manfred Gerstenfeld ist Senior Research Associate am BESA-Zentrum und ehemaliger Vorsitzender des Lenkungsausschusses des Jerusalemer Zentrums für öffentliche Angelegenheiten. Er ist spezialisiert auf israelisch-westeuropäische Beziehungen, Antisemitismus und Antizionismus und Autor des Buches „The War of a Million Cuts“.
BESA Center Perspectives Paper No. 1,494, March 20, 2020
Begin-Sadat Center for Strategic Studies
Bar-Ilan University, Ramat Gan, Israel.
Übersetzung: Dr. Dean Grunwald,
für Israel-Nachrichten.ORG
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