Vor Hitler lebte in Europa die Hälfte der jüdischen Weltbevölkerung. Heute versuchen die europäischen Juden erneut, unsichtbar zu sein.
„Während einer Reise nach Berlin gab mir ein Freund eine Wegbeschreibung zu einer abgelegenen Synagoge“, schrieb die Historikerin Deborah Lipstadt in The Atlantic. Nach einigen komplizierten Erklärungen fügte er hinzu, dass ich auf der Straße nach Polizisten mit Maschinenpistolen suchen sollte, wenn ich mich verlaufen hätte. Wenn ich sie sehen würde, wäre „das ein Hinweis dafür, dass ich vor dem Eingang zur Synagoge wäre“, bemerkte er.
„Aber ich sollte auch nach Männern in Baseballmützen Ausschau halten und ihnen folgen. Sie werden dich zur Synagoge führen. Ich habe mich verlaufen und bin einigen Männern in Baseballmützen nach Anweisung gefolgt. Ich war erleichtert, als ich die Polizei sah. Ich hatte es gefunden. Seit vielen Jahren wissen Juden, dass sie beim Besuch einer europäischen Synagoge ihren Reisepass mitbringen müssen und erwarten, von Wachen vor der Tür verhört zu werden. Ich rufe jetzt vorher an um eine Synagoge wissen zu lassen, dass ich komme. Und das garantiert nicht immer den Eintritt. Vor ein paar Jahren wurde ich von einer Synagoge in Rom abgewiesen.“
Lipstadt verwendet dann dieses schreckliche Wort aus der jüdischen Vergangenheit: „Marranos“, der abfällige Begriff, den die Inquisitoren für spanische Juden verwendeten, die zum Christentum konvertierten, um eine Verfolgung durch die Inquisition zu vermeiden. „Ich benutze den Begriff jedoch nur ungern, weil er das einfängt, was ich heute sehe.“
Eine Überlebensstrategie, ein geheimes Judentum ohne öffentliche Identität. Heute erleben wir eine neue Form des „Marranoismus“ in der liquiden europäischen Gesellschaft. Jetzt ohne offizielle und staatliche antijüdische Verfolgung, aber ihren inoffiziellen und täglichen Äußerungen zufolge, ist das Leben für Juden hier sehr gefährlich geworden.
Die jüdische Gemeinde in Groningen, Niederlande, veröffentlicht keine Gebetspläne mehr. Eine Gruppe von Freiwilligen sendet über WhatsApp Nachrichten an Freunde.
Der Davidstern und „9/11“ wurden in der Synagoge in South Hampstead, London, aufgemalt.
„Ich würde niemandem raten, hier mit einem Yarmulke [Kippa]vorbeizukommen“, sagte Max Privorozki, Leiter der jüdischen Gemeinde in Halle, wo ein Neonazi kürzlich während Jom Kippur ein Massaker an den Gläubigen versuchte. Es war der Antisemitismus-Delegierte der Bundesregierung, Felix Klein, der vorschlug, Juden sollten in der Öffentlichkeit keine Yarmulkes mehr tragen.
In einem Artikel in Sydsvenskan sprachen einige jüdische Lehrer, Kinder von Holocaust-Überlebenden, darüber, was es bedeutet, in Malmö, Schwedens drittgrößter Stadt, zu unterrichten. Das Paar wagt es nicht, den Schülern ihre jüdische Identität preiszugeben. „Viele von ihnen kommen aus dem Nahen Osten und die Atmosphäre ist so, dass ich mich unwohl fühle, wenn ich sage, dass ich Jude bin“, sagten sie.
In vielen französischen Städten dürfen Juden kein jüdisches Symbol tragen. In vielen belgischen Städten gilt das Gleiche wie in Dänemark oder in Berlin. Vor einigen Jahren forderte der Leiter der jüdischen Gemeinde von Marseille, Zvi Ammar, seine Gemeinde auf, das Tragen einer Kippa in der Öffentlichkeit zu vermeiden.
In Europa, in dem bis vor 80 Jahren die Hälfte der jüdischen Bevölkerung der Welt lebte, ist es heute schwer, einen Juden auf der Straße zu erkennen. Der Westen schrumpft und verschlechtert sich sehr schnell und Juden verschwinden aus seiner Landschaft.
Von Giulio Meotti
Giulio Meotti ist ein italienischer Journalist bei Il Foglio, er schreibt zweimal wöchentlich eine Kolumne für Arutz Sheva. Er ist Autor des Buches „A New Shoah“, das die persönlichen Geschichten der Opfer der Shoah in Israels untersuchte.
In englischer Sprache erschienen bei Arutz Sheva.
Übersetzung: Dr. Dean Grunwald
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