ZUSAMMENFASSUNG: Der gescheiterte Angriff auf die Synagoge in der deutschen Stadt Halle am heiligsten Tag des jüdischen Jahres, Jom Kippur, deckte erneut die Funktionsstörungen in den Gesetzen in der deutschen liberalen Demokratie auf. Man bemühte sich, die Aufmerksamkeit von den Unzulänglichkeiten der Polizei und der Behörden abzuwenden, indem man die deutsche rechte Partei AfD beschuldigte. Dies schlug fehl, als ein AfD-Abgeordneter große Mängel der Regierung im Kampf gegen Extremisten sowie gegen den Anti-Israelismus in der deutschen Mainstream-Gesellschaft aufdeckte.
Der Antisemitismus in der westlichen Welt – und in der muslimischen Welt – kann nicht beseitigt werden. Er ist viel zu tief verwurzelt. Im Westen kann es jedoch zu einer gewissen Eindämmung kommen, wenn entsprechende Anstrengungen unternommen werden.
Nach dem gescheiterten Massaker in einer Synagoge in Halle durch einen Rechtsextremisten an Jom Kippur muss noch einmal die Frage gestellt werden: Inwieweit versucht die Bundesregierung, antisemitische Gewalt und Hass in Schach zu halten?
Nicht einmal am heiligsten Tag des jüdischen Jahres bewachte die örtliche Polizei die Synagoge in Halle und es dauerte einige Zeit, bis sie am Tatort ankamen, nachdem die Gemeinde um Hilfe gebeten hatte. Die Behörden unternahmen kaum Anstrengungen, um einen Massenmord an Juden zu verhindern. Stattdessen wurden zwei nichtjüdische Menschen, die sich zufällig in der Gegend aufhielten, von dem Terroristen auf tragische Weise ermordet.
Die Prioritäten für die unterbesetzte Polizei werden von der Regierung von Sachsen-Anhalt festgelegt. Sein Innenminister Holger Stahlknecht, ein Christdemokrat (CDU), behauptete, es gebe trotz der offensichtlichen Falschheit dieser Aussage keinen Misserfolg. Er sagte, die Polizei sei regelmäßig an der Synagoge vorbeigekommen und fügte hinzu, dass enge Kontakte zwischen der Polizei und der jüdischen Gemeinde bestünden. Allen Anträgen auf Schutz wurde stattgegeben. Nach Angaben des Ministers gab es an Jom Kippur keine Anträge auf Schutz der Synagoge.
Stahlknecht sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die Polizei habe gute Arbeit geleistet und brauche sich keine Vorwürfe zu machen. Die Polizei handelte nach der Risikobeurteilung des Staatssicherheitsamtes (BKA).
Die Aussage von Stahlknecht wurde von Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, kritisiert. Er sagte, es sei nicht wahr, dass die Polizei den Forderungen der Gemeinde stets nachgekommen sei. Er fügte hinzu, dass man sich bei einer solch unkritischen Bewertung fragen sollte, ob überhaupt die Bereitschaft bestehe, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.
Weitere Einblicke in die polizeiliche Nachlässigkeit gegenüber jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt, bietet ein Interview in der Tageszeitung Die Welt mit Vadim Laiter, dem Leiter der jüdischen Gemeinde in der Landeshauptstadt Magdeburg. Als er von dem Anschlag auf die Synagoge in Halle hörte, rief er die örtliche Polizei zum Schutz an, da er befürchtete, auch seine Synagoge könnte angegriffen werden. Ihm wurde gesagt, dass sich alle Polizisten in Halle befänden. Er sagte: „Wir waren zutiefst geschockt, als wir völlig ohne Schutz waren. Drei Stunden später kam die Polizei, um unsere Synagoge zu bewachen. Dies geschah erst, nachdem Minister Stahlknecht dies persönlich angeordnet hatte.“
Das Versäumnis der Polizei, Juden zu schützen, ist nur ein Bereich, der Anlass zur Sorge gibt. Schlüsselpersonen der beiden deutschen Regierungsparteien nutzten den Angriff auf die Synagoge, um sich der populistischen AfD-Partei zu stellen. Annegret Kramp-Karrenbauer, Vorsitzende der CDU, sagte: „Die AfD ist der politische Arm des Rechtsradikalismus. Gleiches gilt für die AfD im Deutschen Bundestag und in den Landtagen, dort sitzt der politische Arm des rechten Terrorismus.“
Wenn dies die Meinung beider Regierungsparteien ist, fragt man sich, warum die deutsche liberale Demokratie nicht in der Lage war, die AfD zu verbieten. Es wäre interessant zu hören, ob das deutsche Verfassungsgericht dazu bereit wäre.
Die AfD ist keine homogene Partei. Sie hat sowohl einen Mainstream als auch einen höchst problematischen „ethnischen“ Flügel. Dies wurde durch die Reaktionen der letzteren auf den Angriff in Halle gezeigt.
Die politischen Angriffe auf die AfD schlugen fehl. Die Sprecherin der AfD für Antisemitismus ist die stellvertretende Vorsitzende Beatrix von Storch, die zum Mainstream der Partei gehört. Im Deutschen Bundestag hat sie eine Reihe unerwünschter Tatsachen für die etablierten Parteien und insbesondere für die SPD zur Sprache gebracht.
Von Storch wies darauf hin, dass es in Deutschland seit Jahrzehnten gewalttätige Neonazi-Gruppen gibt. Ihre Fähigkeit, sich zu etablieren, zeige das völlige Versagen der etablierten Parteien in der Innen- und Sicherheitspolitik. Gleiches galt für Islamisten, Linksextremisten und kriminelle Clans. Ihre Äußerungen waren zutreffend und sind ein weiterer Hinweis auf den funktionsgestörten Rechtsstaat in der liberalen deutschen Demokratie.
Von Storch erinnerte daran, dass Linksextremisten 1969 im jüdischen Gemeindezentrum in Berlin eine Bombe gelegt hatten. Sie waren auch für den Terroranschlag auf den Flug von Air France verantwortlich, der 1976 nach Entebbe, Uganda, entführt wurde. Sie erwähnte auch die Ermordung israelischer Athleten durch arabische Terroristen bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München.
Von Storch stellte fest, dass Antisemitismus in Deutschland kein Randphänomen ist, das von gewalttätigen Extremisten verursacht wird. Es kommt auch aus der Mitte des Linksliberalismus, führenden linksliberalen Medien und dem linken kulturellen Umfeld. Diese Einstellungen vergiften das Klima der gesamten Gesellschaft. Sie warf einer großen Tageszeitung, der Süddeutschen Zeitung, vor, Karikaturen im Stil des extremsten NS-Papiers, Der Stürmer, zu veröffentlichen und fügte hinzu, diese würden zu Veröffentlichungen der NPD-Neonazi-Partei passen.
Von Storch griff daraufhin die SPD an und erklärte, dass Kritik am Islam ein Grund sei, jemanden aus der Partei auszuschließen, Antisemitismus jedoch nicht. Sie wies darauf hin, dass der frühere SPD-Vorsitzende und Außenminister Sigmar Gabriel, Israel als Apartheidstaat diffamiert habe. Von Storch griff den ehemaligen SPD-Führer Martin Schulz an, der vor der Knesset die Lüge wiederholte, Israel habe die Palästinenser verdursten lassen. Sie merkte an, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), dem Iran zum Jahrestag der islamischen Revolution gratulierte und erinnerte ihre Zuhörer daran, dass diese Revolution der Zerstörung Israels gewidmet sei.
Die AfD wird von den anderen Parteien boykottiert. Dies deutet darauf hin, dass die AfD in ihren Augen schwarz und sie weiß sind. Aber alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien haben unterschiedliche Grautöne. Kein deutsch-jüdischer Führer hätte es gewagt, die im Bundestag erwähnten Tatsachen von Storch öffentlich zu vertreten, geschweige denn ein israelischer Diplomat.
Inmitten all dessen hat sich ein weiterer Polizeiskandal ereignet. Ein Syrer, der am 4. Oktober den Zaun einer Berliner Synagoge erklomm und Passanten und Polizei mit einem Messer bedrohte, während er „Allahu Akbar“ rief, wurde von der Polizei freigelassen. Niemand weiß, wo er abgeblieben ist.
Es gibt noch viel mehr Anzeichen dafür, dass der deutsche Rechtsstaat nicht ordnungsgemäß funktioniert. Im Oktober gab BKA-Chef Holger Münch ein Zeitungsinterview, das dies untermauerte. Die Welt fasste das Interview mit einem besorgniserregenden Blick auf die Schwächen der deutschen Sicherheitsdienste zusammen. Er fügte hinzu, dass Teile davon als „Insolvenzerklärung eines viel zu langsamen, viel zu fragmentierten, oft auch sehr naiven Rechtsstaats“ gesehen wurden. Münch gab bekannt, dass seit 2016 sieben islamistische Terroranschläge verhindert wurden, was er ein Wunder nannte.
Der nationale Antisemitismus-Kommissar Felix Klein kritisierte die deutschen Staatsanwälte mit den Worten: „Es ist ein Skandal, dass die Staatsanwälte viele Aktionen in Bezug auf antisemitische Verbrechen einstellen. Gerichte müssen mehr antisemitische Taten bestrafen.“ Klein sagte dies als Reaktion auf eine Studie des Jüdischen Weltkongresses, in der festgestellt wurde, dass 27% der Deutschen eine latente antisemitische Einstellung haben. Er fügte hinzu, dass vor der Veröffentlichung der Studie angenommen wurde, dass 15-20% der Deutschen solche Überzeugungen vertreten.
Klein bemerkte auch, dass der Antisemitismus gegen Israel mit 40% sogar noch höher ist. Als Beispiel erwähnte er, dass Handlungen der gegenwärtigen israelischen Regierung als gleichwertig mit dem angesehen werden, was die Nazis den Juden in Europa angetan haben.
Zu den positiven Reaktionen nach dem Anschlag in Halle, gehörten mehrere öffentliche Solidaritätsversammlungen mit der jüdischen Gemeinde im Land. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm an einer großen Veranstaltung in Berlin teil.
Die Sicherheit für jüdische Institutionen wird verbessert, aber das wird die zahlreichen Angriffe auf erkennbare Juden im öffentlichen Bereich durch Deutsche und Araber nicht verhindern. Sie wird auch wichtige Elemente der deutschen antiisraelischen Politik wie die freundschaftlichen Beziehungen zum Iran, oder die Unterstützung antisemitischer Abstimmungen gegen Israel bei den Vereinten Nationen nicht ändern.
Die herrschende Stimmung in der Regierung scheint zu sein, dass Deutschland jetzt ein „normaler“ Staat ist. Was während des Holocaust geschah, gehört der Geschichte an. Eine detaillierte Studie würde wahrscheinlich zeigen, dass sich die Auswirkungen der NS-Zeit in der deutschen Gesellschaft weitaus stärker manifestieren, als unmittelbar erkennbar ist.
Von Dr. Manfred Gerstenfeld (BESA)
Dr. Manfred Gerstenfeld ist Senior Research Associate am BESA Center und ehemaliger Vorsitzender des Lenkungsausschusses des Jerusalem Center for Public Affairs. Er ist auf israelisch-westeuropäische Beziehungen, Antisemitismus und Antizionismus spezialisiert und Autor des Buches „The War of a Million Cuts“.
BESA Center Perspectives Paper No. 1,338, November 7, 2019
Begin-Sadat Center for Strategic Studies
Bar-Ilan University, Ramat Gan, Israel.
Übersetzung: Dr. Dean Grunwald
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