„Wie aus dem Nichts erschien plötzlich eine schwarze Silhouette am Horizont, die sich gegen das flackernde Nordlicht abzeichnete. Je näher ich kam, desto deutlicher nahm sie die Form eines Flugzeuges an, der dicke Rumpf und das hoch angesetzte Seitenleitwerk – ein Wellington-Bomber! Das Herz schlug mir bis zum Hals und ich hoffte inständig, dass er mich im Dunkel der Nacht noch nicht gesehen hatte. Ich ging bis knapp 100 Meter auf Schussposition an ihn heran. Jetzt konnte ich seine glühenden Auspuffrohre klar erkennen. Gerade als ich seinen linken Flügel ins Visier bekommen hatte, brach er weg. Er musste mich gesehen haben. Aber jetzt bot er mir den Rumpf als Ziel, und die Salven aus meinen Maschinengewehren durchbohrten seine Zelle. Die Maschine explodierte in der Luft und ein Haufen brennender Trümmer fiel als Feuerregen ins Meer. Der Gedanke an das Los der Besatzung jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich kreiste über der Absturzstelle und rief meine Bodenstation, sie solle den Luft-/See-Rettungsdienst benachrichtigen. Ich war zwar ziemlich sicher, dass es für die Besatzung der Wellington keine Rettung mehr gab, doch soll man nichts unversucht lassen.“
Oberleutnant Hans Fenzke flog einen Messerschmitt Bf-110-Nachtjäger, als er in den frühen Morgenstunden des 26. Juni 1941 auf seinem Stützpunkt in Schleswig landete und über den Abschuss eines RAF-Bombers Bericht erstattete. Zu jener Zeit gab es noch kein Bordradar, und so war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Abfangjäger in der Nacht ein feindliches Flugzeug sichten konnte, sehr gering. Man konnte nur auf sein Glück vertrauen und darauf spekulieren, dass man sich, wie Oberleutnant Fenzke direkt unter dem Bomber befand und ihn als Silhouette gegen das Nordlicht erkennen konnte. Bei dieser Gelegenheit schoss die Nazi-Luftwaffe aus einer Formation von zwanzig Flugzeugen zwei ab, verlor dabei aber selbst auch eine Maschine.
Eine solche „Trefferquote“ war jedoch eine echte Seltenheit. Oft flogen gar Maschinen der Royal Air Force und der deutschen Luftwaffe in einer Entfernung von knapp einer Meile aneinander vorbei, ohne es zu bemerken. Da die Nachtabfangjäger bei der Zielausmachung fast ohne technische Hilfsmittel auskommen mussten, waren sie wohl noch weniger effektiver als die Flugabwehrkanonen, auch kurz 8,8 genannt. Die Flak war um ein angriffgefährdetes Gebiet herum oder entlang den Luftkorridoren der RAF aufgestellt und konte so die anfliegenden feindlichen Bomber bekämpfen. Der Pilot eines Abfangjägers wusste in der Nacht noch nicht einmal genau seine Position.
Es war kaum ein Jahr seit dem ersten nächtlichen Abschuss durch einen Abfangjäger vergangen, als am 20. Juli 1940 Oberleutnant Streib seine Bf-110 bestieg und in Richtung holländische Küste flog, wo er den Luftkorridor der RAF zum Ruhrgebiet überwachen sollte. Im Licht der Scheinwerfer sah er einen Whitley-Bomber und erzählte später: „Ich flog mit Vollgas auf ihn zu, und vor lauter Aufregung waren die ersten Salven recht weit gestreut. Ich zog scharf weg, kurvte hinter ihm ein und wartete, bis ich ihn genau im Visier hatte, dann feuerte ich los. Eine lange Salve traf seinen Benzintank, und die Maschine explodierte.“
Bis zum Sommer des Jahres 1941 hatte Görings Luftwaffe ihre Taktik aufgrund neuer Entwicklungen etwas verändert. Die großen Würzburg-Radaranlagen hatten bewiesen, dass sie ein Flugzeug vom Boden aus orten konnten, und so hatte sich Oberst Kammhuber, der für die nächtlichen Einsätze verantwortlich war, ein neues System ausgedacht, das er „Himmelbett“ nannte. Es bestand aus einer Kette von Würzburg-Radarstationen, die sich von der dänischen bis zur Schweizer Grenze erstreckten. Jede Station hatte zwei Radaranlagen: eine diente zur Ortung des Abfangjägers, die andere zur Verfolgung des feindlichen Flugzeuges. Eine gute Funkverbindung vorausgesetzt, konnte nun ein deutscher Abfangjäger von seiner Bodenstation genau zu einem feindlichen Eindringling dirigiert werden.
Leutnant Wilhelm Johnen flog seinen ersten Einsatz als Nacht-Abfangjäger am 11. Juli 1941 und berichtete später: „Ich war wie der Blitz auf den Beinen, als der Alarm losging, und schon auf dem Weg zum Flugzeug, noch bevor ich wusste, was eigentlich los war. Die Bodenstation sagte uns, dass wir den Sektor Westerland übernehmen sollten. Als ich nach dem Start durch die Wolken hoch stieg, zeigte das Variometer eine stete Steiggeschwindigkeit von neun Fuß pro Sekunde: der Fahrtmesser stand auf etwa 340 km/h. Der Regen prasselte gegen den Rumpf, und das Wasser lief in Strömen über das Cockpitdach. Die Bodenstation war nur noch schwach zu hören, und der Gegenwind hatte unsere Flugzeit zum Abfangpunkt fast verdoppelt. Dazu kam, dass die Engländer den Wind im Rücken hatten und sehr schnell vorwärts kamen. Die Lage sah ziemlich hoffnungslos aus. Die Bodenstation hatte uns einen Kurs von 130 Grad zugewiesen, und ich hatte auf einmal das Gefühl, dass wir direkt über ihnen waren. Plötzlich wurde das Flugzeug heftig zur Seite gerissen. Wir waren, ohne es zu bemerken, direkt hinter den Briten in ihre Wirbelschleppen geraten. `Da ist einer´ rief Risop, mein Funker, `direkt vor uns, auf gleicher Höhe!´ Ich entsicherte die sechs Bordkanonen, aber in diesem Augenblick scherte der Bomber nach rechts aus.“
Selbst mit gut funktionierenden Radaranlagen am Boden war das Abfangen von feindlichen Bombern immer noch ein Glücksspiel. Bis zum 26. März 1942 hatten sich die Abfangjäger der Nazi-Luftwaffe nicht in das Ruhrgebiet gewagt, aus Angst, sie würden von der eigenen Flak abgeschossen. Doch nun sollte sich die Taktik ändern.
Leutnant Johnen griff als einer der ersten die Bomber über ihrem Zielgebiet an, also in dem Augenblick, in dem sie im geraden Zielanflug am verwundbarsten sind. Johnen: „Je näher ich an das Ziel herankam, desto heller wurde es um mich herum. Das Feuer der Flak hüllte mich ein, und es kam mir vor, als würde ich durch die Hölle fliegen. Ein Geschoss explodierte keine fünfzig Meter vor mir, und im nächsten Moment wurde meine Bf-110 von der Faust eines unsichtbaren Riesen geschüttelt. Risop schoss, so schnell er konnte, Identifikationskugeln ab. `Diese verdammten Idioten wollen uns wohl abschießen!´ rief er außer sich und lud erneut die Leuchtkugelpistole. Ich ging in eine starke Linkskurve, und plötzlich war im Scheinwerferlicht ein englischer Bomber schräg unter mir sichtbar. Ich ging im Sturzflug auf ihn los, und das Flugzeug rüttelte schwer, während der Fahrtmesser auf 530 km/h kletterte. Ich feuerte einige Salven auf den Rumpf ab und sah, wie sie Fetzen aus der Verkleidung rissen, bis die Maschine schließlich explodierte. Drei, vier, fünf weitere Flugzeuge waren ebenfalls getroffen und stürzten als Feuerbälle zu Boden. Plötzlich rief Risop: `Da ist einer über uns! Das ist eine viermotorige Maschine. Den Typ habe ich noch nie gesehen!´“
Es handelte sich in der Tat um eine neue Short Stirlings, der größte und langsamste Typ der neuen britischen Generation schwerer Bomber. Trotz ihrer Schwerfälligkeit hatte die Stirling einen großen Vorteil, der Johnen zum Verhängnis werden sollte: ein Maschinengewehr im Rumpf.
Johnen später: „Ich war jetzt nahe an ihm dran und holte noch einmal tief Luft. Ich wähnte uns im toten Winkel des Bombers in Sicherheit, aber das war ein großer Irrtum. Ich reduzierte die Triebwerksleistung, damit der Abstand etwas größer wurde. `Du musst jetzt schießen´, sagte Risop, `sonst sieht uns sein Schütze hinten. Mache drei Kreuze und greife an!´ Das waren Risops letzte Worte. Als ich das Feuer eröffnete, schoss der Brite ebenfalls. Er erwischte mein Cockpit und den Rumpf, und im Bruchteil einer Sekunde hatte sich mein Jäger in eine brennende Fackel verwandelt. Risop brach tödlich getroffen über seinem Funkgerät zusammen. Um mich war ein einziges Flammenmeer. Ich versuchte, mit einem Bein über die Cockpit-Seite zu kommen, doch die Fliehkraft hielt mich fest. Ich gab jede Hoffnung auf, lebend aus dem Flugzeug zu kommen und verbarg mein Gesicht in den Händen. Wir waren etwa 9.000 Fuß gefallen, als mein Jäger explodierte und ich herausgeschleudert wurde. Ich hatte bereits selber Feuer gefangen und bangte um meinen Fallschirm, doch die stabile Segelleinwand hatte mich vor den Flammen geschützt. So landete ich in einer überschwemmten Wiese, bis zum Hals im Schlamm. Gerettet! Dann verlor ich das Bewusstsein.“
Nachdem sich Leutnant Johnen von seinen Verletzungen erholt und einen neuen Funker zugeteilt bekommen hatte, stieß er gerade rechtzeitig zu seiner alten Staffel, um eine neue Erfindung auszuprobieren: das Bordradar. Der Lichtenstein-Apparat, wie er bezeichnet wurde, war für damalige Verhältnisse ein sehr komplexes Gerät, in seiner Anwendung jedoch sehr einfach. Der Navigator beobachtete auf dem Radarschirm ein Feld von je 30 Grad ober- und unterhalb, sowie 60 Grad links und rechts zur Flugzeuglängsachse. Ein sich in diesem Bereich befindliches Flugzeug war als Punkt auf dem Schirm erkennbar. Durch Kursänderung musste dieser Punkt in der Mitte des Radarschirms manövriert werden. Man hatte dann das Ziel direkt vor sich. Das Bordradar war jedoch das letzte Puzzle-Stück der Deutschen im Kampf um die „Luftherrschaft.“
Es ließ die Nacht zum Tage werden, zuerst nur für die Abfangjäger, dann aber auch für ihre Ziele. Leutnant Johnen war einer der ersten, welche die Antworten der Wissenschaftler auf das Bordradar erlebten. In der Nacht vom 28. Juli 1943 befanden sie sich über Amsterdam, als sein Navigator mehrmals Kontakte auf dem Radarschirm meldete, die aber sogleich wieder verschwanden. „Lang´sam spinnst du aber Fazius“, sagte Johnen scherzend nach dem zweiten Mal. „Nachdem das aber weiter so ging“, fuhr Johnen fort, „riss mir irgendwann der Geduldsfaden und ich verpasste Fazius einen solchen Anpfiff, dass er schwer beleidigt war.“
Johnen konnte nicht wissen, dass sie auf eine geradezu lächerlich einfache Erfindung hereingefallen waren: Stanniolstreifen, die auf der Länge der UHF-Funkwellen des Lichtenstein-Radars zugeschnitten waren. Für den Funker in den deutschen Maschinen sahen die Reflektionen dieser Streifen – damals „Fenster, heute „Düppel“ genannt – genau so aus, wie die eines Flugzeuges. Die Technologie hatte ein für alle Mal ihren Platz in der Kriegsführung gefunden, der Kampf wurde von Wissenschaftlern ebenso wie von Soldaten ausgefochten.
Und: Verblendet, wie die deutschen Flieger waren, kämpften sie für „Führer, Volk und Vaterland“ und merkten viel zu spät, dass sie nur vom Nazi-Regime verheizt wurden, wo ein Menschenleben noch keinen Pfennig wert war.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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