Die Tatsache, dass Adolf Hitler, der sich zwischen den Monaten August bis Dezember des Jahres 1909 dem Zugriff der Behörden durch kurzfristigen Wechsel seiner Wohnung entzogen und selbst einen vorübergehenden Aufenthalt in einem Asyl für Obdachlose in Kauf genommen hatte, dass er Österreich im Frühling 1912 aus „politischen Gründen“ verlassen habe, deckt sich nur zu einem Teil mit dem tatsächlichen Sachverhalt. Was jedoch überhaupt nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt, ist seine Behauptung, dass er bereits 1912 nach München gegangen sei; – denn er traf erst im Monat Mai des Jahres 1913 dort ein, wo die Behörden Österreichs ihn im Dezember des gleichen Jahres dort aufspürten.
Am 29. Dezember 1913 wandten sie sich an die Polizeidirektion zu München mit der Bitte, „dienstfreundlichst“ festzustellen, ob Hitler in München ansässig wäre: „Der im Jahre 1889 in Braunau am Inn…zuständige Kunstmaler Adolf Hitler ist“, teilte die österreichische Polizei mit, „am 24. Mai 1913 von Wien nach München übersiedelt. – Es wird dienstfreundlichst ersucht, bekannt zu geben, ob Genannter dort gemeldet ist.“ Die Münchner Polizei spürte Hitler auf, und am 10. Januar 1914 teilte sie ihren Linzer Kollegen mit: „Der Gesuchte ist seit 26. 5. 1913 Schleißheimer Straße 34/III. bei Popp gemeldet.“ Schon acht Tage danach erfuhr der junge Adolf von der Münchener Kriminalpolizei, dass er sich am 20. Januar in Linz zur Musterung einzufinden habe.
Und am 19. Januar führten ihn die Münchner Kriminalbeamten dem österreichischen Konsulat in München vor, wo Hitler die für ihn sehr heikle Angelegenheit so geschickt zu arrangieren verstand, dass sowohl die Polizei als auch das Konsulat darauf verzichteten, ihn nach Österreich auszuliefern. Ihm wurde in Aussicht gestellt, sich am 5. Februar 1914 zu einer sogenannten „Nachstellung“ in Linz einfinden zu dürfen. Aber: Hitlers telegraphisches Gesuch, von dessen Bewilligung diese Sonderregelung abhängig war, lehnte die heimatliche Behörde ab, worauf Hitler den Linzer in einem sehr aufschlussreichen Brief bat, ihm aus finanziellen Gründen zu gestatten, sich in dem näher zu München liegenden Salzburg „mustern“ lassen zu dürfen. Hier der originale Wortlaut des Schreibens:
„Magistrat Linz Abteilung II
Sonntag den 18ten halb 4 h Nachmittags erhielt ich eine Stellungsvorladung durch den Kriminal-Schutzmann Herle, Rottmannstraße 14/II zugestellt, nach dem ich mich am 20ten in Linz zur Stellung einzufinden hätte, widrigenfalls ich nach § 64. u. 66 des Wehrgesetzes behandelt würde. War ich schon durch die Art der Zustellung betroffen, Stellungs-Vorladungen werden, wie man mir am Konsulat mitteilte, sonst entweder persönlich oder durch die Konsularbehörde zugestellt, so noch mehr jedoch durch die ganz unmögliche kurze Frist, die mir zur Erledigung meiner Angelegenheit eingeräumt wurde. Da Sonntags alles geschlossen, am Montag aber, wie überhaupt an allen den Feiertagen nachfolgenden Wochentagen in ganz Deutschland Geschäfte erst 9 h Büros jedoch (auch solche der Staatsämter) erst 10 h geöffnet werden, ich jedoch schon längstens Nachmittags hätte abfahren müssen, so wäre mir kaum die Zeit zur einfachsten körperlichen Reinigung, etwa einem Bade, geblieben. Der Hauptgrund jedoch der mir die Befolgung der Vorladung unmöglich machte war der, daß es mir nicht gelingen konnte, innerhalb dieser kurzen, kaum 6 Stunden betragenden Frist, die dazu benötigten zumindest für mich immerhin beträchtlichen Geldmittel aufzubringen. Ich werde in der Vorladung als Kunstmaler bezeichnet. Führe ich auch diesen Titel zu Recht, so ist er aber dennoch nur bedingt richtig. Wohl verdiene ich mir meinen Unterhalt als selbständiger Kunstmaler jedoch nur, um mir, da ich ja gänzlich vermögenslos bin, (mein Vater war Staatsbeamter) meine weitere Fortbildung zu ermöglichen. Nur einen Bruchteil meiner Zeit kann ich zum Broterwerb verwenden, da ich mich als Architektur Maler noch immer erst ausbilde. So ist den auch mein Einkommen ein sehr bescheidenes, gerade so groß daß ich eben mein Auskommen finde. Ich lege als Zeugniß dessen meinen Steuerausweis bei, und bitte gleich hier ihn mir wieder gütig zusenden zu wollen. Mein Einkommen ist hier mit 1200 M angenommen, eher zu viel als zu wenig, und es ist dies nicht so zu verstehn, daß da nun genau auf den Monat 100 M fallen. O nein. Das Monats-Einkommen ist sehr schwankend, jetzt aber sicher sehr schlecht, da ja der Kunsthandel um diese Zeit in München etwa seinen Winterschlaf hält, und es leben, oder wollen wenigstens leben, gegen 3 Tausend Künstler hier. Von Ersparnissen irgend einer Bedeutung kann da nicht die Rede sein, da ja meine Auslagen bedeutend größere sind als etwa die eines gleichgutgestellten Arbeiters. Ich bitte deshalb sehr, gütig einsehen zu wollen, daß mir eine Befolgung der Stellungs-Vorladung unmöglich war, unmöglich innerhalb der kurzen kaum einen halben Tag betragenden, mir zur Verfügung stehenden Frist. Bereits Montags gieng ich auf das Konsulat, um Rat bittend, und im Auftrage des Konsularbeamten sendete ich das Telegramm mit der Bitte um Aufschub. Von der verneinenden Antwort erhielt ich erst heute den 21ten 9 h Vormittags Kenntniß. Nun trifft mich bei all dem gewiß auch ein Verschulden. Ich unterließ es mich im Herbst 1909 zu melden; holte dies jedoch im Februar 1910 nach. Damals meldete ich mich in Wien im Konskriptionsamte 1 B Rathaus und wurde von dort in den XX Bezirk meinem Wohnbezirk gewiesen. Ich bat dort mich in Wien stellen zu dürfen, mußte ein Protokoll oder Gesuch unterschreiben eine Krone zahlen, und habe im übrigen nie mehr etwas davon gehört. Es konnte mir jedoch nie einfallen mich der Stellung zu entziehen, so wenig als ich mich etwa zu diesem Zweck in München befinde. Ich war in Wien stets gemeldet, bin es ebenso auch hier, und stand überdies in Verkehr mit dem Bezirks Gericht Linz, meiner Vormundschaftsbehörde. Meine Adresse war demnach schon durch diese stets leicht zu erfahren. Um so betroffener mußte ich über diese Vorladung sein, Die schon in der Form der Zustellung so gehalten war, als würde ich bereits einer oder der andern Vorladung keine Folge geleistet haben. Und was meine Unterlassungssünde im Herbste 1909 anlangt, so war dies eine für mich unendlich bittere Zeit. Ich war ein junger unerfahrener Mensch, ohne jede Geldhilfe und auch zu stolz eine solche auch nur von irgend jemand anzunehmen geschweige den zu erbitten. Ohne jede Unterstützung nur uf mich selbst gestellt, langten die wenigen Kronen oft auch nur Heller aus dem Erlös meiner Arbeiten kaum für meine Schlafstelle. Zwei Jahre hatte ich keine andere Freundin als Sorge und Not, keinen anderen Begleiter als ewigen unstillbaren Hunger. Ich habe das schöne Wort Jugend nie kennen gelernt, heute noch nach 5 Jahren sind die Andenken in Form von Frostbeulen an Fingern, Händen und Füßen. Und doch kann ich nicht ohne gewisse Freude mich dieser Zeit erinnern, jetzt da ich doch über das Ärgste empor bin. Trotz größter Not, inmitten einer oft mehr als zweifelhaften Umgebung, habe ich meinen Namen stets anständig erhalten, bin ganz unbescholten vor dem Gesetz und rein vor meinem Gewissen bis auf jene unterlassene Militärmeldung, die ich damals nicht einmal kannte. Es ist das Einzige wofür ich mich verantwortlich fühle. Und dafür dürfte wohl auch eine bescheidene Geldstrafe Sühne genügend bieten, und ich werde mich nicht weigern eine solche willig zu leisten. Ich sende dieses Schreiben unabhängig von einem ebenfalls heute abgefaßten Protokoll daß ich am Konsulate unterzeichnete. Ich bitte auch daß man mir die weiteren Verfügungen durch das Konsulat zugehn läßt, und bitte überzeugt zu sein daß ich Ihre pünktliche Erfüllung nicht versäumen werde. Was endlich meine Angaben in der Stellungs Vorlage anlangen so werden diese durch die Konsulatsbehörde bestätigt. Diese war großherzig genug, und sprach mir die Hoffnung aus sich dafür zu verwenden daß ich meiner Stellungspflicht in Salzburg genügen könne. Wenn ich dies nun auch kaum mehr zu hoffen wage, so bitte ich doch mir die Sache nicht unnötig zu erschweren. Ich bitte sehr ergeben dieses Schreiben gütig zur Kenntniß nehmen zu wollen, und unterzeichne
sehr ehrerbietig
Adolf Hitler
Kunstmaler
München, Schleißheimerstr. 34/III“
Adolf Hitler, „der kaum zu hoffen“ gewagt hatte, dass die Heimatbehörde seiner Bitte entsprechen würde, widerfuhr das Glück im doppelten Sinne. In Salzburg, wo er am 5. Februar 1914 weisungsgemäß zur Musterung erschien, wurde er vom Wehrdienst befreit. Das Landesevidenenzreferat der oberösterreichischen Landesregierung erklärte am 23. Februar 1914: „Es wird bestätigt, daß der am 20. April 1889 in Braunau am Inn geborene und in Linz, Oberösterreich, heimatberechtigte Adolf Hitler, Sohn des Alois und der Klara, geborene Pölzl, laut Stellungsliste bei der Nachstellung in der 3. Altersklasse am 5. Februar 1914 zu Salzburg ´zum Waffen- und Hilfsdienst untauglich, zu schwach´ befunden worden ist und der Beschluß auf <Waffenunfähig> gefällt wurde!“
So konnte Hitler, dessen finanzielle Lage nach wie vor gesichert war, sich nach Jahren wieder auf Behörden zeigen und ohne Sorgen tun und lassen, was ihm beliebte. Nicht zufällig bezeichnete er seine Zeit in München denn auch zehn Jahre später als „die (vor dem Kriege) glücklichste und weitaus zufriedendste seines Lebens.“ Weil er zu faul und zu bequem war, sich auf die Straße zu stellen, zeichnete und malte er in München wie einst in Wien auch hier vor allem historische Bauwerke und Kunstdenkmäler nach Vorlagen, die er Bildbänden entnahm.
Eines bleibt noch anzumerken: So katastrophal seine deutsche Rechtschreibung war, so katastrophal führte er das „Dritte Reich“, dessen „Führer“ er wurde, in den Untergang.
Und wie es weitergeht erfährt die geneigte Leserschaft der Israel Nachrichten in der nächsten Ausgabe.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie uns bitte mit einer Spende, oder werden Sie Mitglied der Israel-Nachrichten.
Durch einen technischen Fehler, ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet!
Leserkommentare geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wie in einer Demokratie ueblich achten wir die Freiheit der Rede behalten uns aber vor, Kommentare nicht, gekuerzt oder in Auszuegen zu veroeffentlichen. Anonyme Zuschriften werden nicht beruecksichtigt.