Das Hitler-Bild, wie es sich insgesamt noch in heutigen Zeiten über tausende von Buchseiten, unzählige Fernsehdokumentationen über die „Militär-Elite“ des Nazi-Regimes abzeichnet, ist das eines absoluten Potentaten. Er war zeitlebens umringt von mächtig machtlosen Bewunderern, und das Leben mit dem „Führer“ war kein Zuckerschlecken. Der „verehrte“, bisweilen gefürchtete, aber auch ab und an heimlich verachtete Hitler konnte vieles sein, unter anderem auch schrecklich ungerecht. In den „Erinnerungsbüchern“ der hohen Militärs, die bis in die heutige Zeit unkritisch als Quellen benutzt werden,ist viel von einer strammen Abwehrhaltung gegenüber dem „Führer“ die Rede. Man könnte daraus schließen, dass sie sich nie mit ihm zusammen über eine Landkarte für seine Eroberungsfeldzüge gebeugt hätten.
Für General von Manstein war der Jahrhundertverbrecher Hitler, der ihm das Latifundium schuldig geblieben war, nur noch ein „Pinkel-Stratege“. Und General Heusinger schrieb einst: „Eine Welt trennte Hitler und den Generalstab.“
Heusinger stand an Hitlers Seite, als das Attentat auf den Diktator am 20. Juli 1944 von Oberst Stauffenberg durchgeführt wurde. Und später: „Nie hat Hitler einen wirklichen Kontakt zu unserem Denken gefunden.“
Das war sein Fazit der nachträglichen Lagebeurteilung, kurz bevor er bei der Bundeswehr wieder ganz vorne an der Spitze ins Geschirr ging. Selten fehlt die Schilderung von Hitler als einem Choleriker mit kurzer Lunte. Weder über Kinderstube noch über Contenance habe er verfügt, ist vielfach zu lesen und zu hören. Und von Wutausbrüchen und Brüllorgien, wenn etwas nicht nach seinem Willen lief oder seine Erläuterungen nicht pflichtgemäß gewürdigt wurden. Einmal jedoch verstummte Hitler perplex. Es geschah zu der Zeit, in der die Heeresgruppe Mitte der „Großdeutschen Wehrmacht“ ihr Hauptquartier in Smolensk aufgeschlagen hatte, immer noch in der Hoffnung, Moskau zu erobern und dem „Russen den Garaus“ zu machen, als der „Feldherr“ zu Besuch kam.
Einigen der Kommandeure leuchteten die Vorstellungen Adolf Hitlers über die nächsten Truppenvorstöße nicht auf Anhieb ein. Da hielt er den Offizieren mal wieder vor, sie hätten ja nicht wie er, den letzten Weltkrieg im Schützengraben erlebt. Aber just in diesem Augenblick sei es geschehen, wie der Ordonanzoffizier Schlabtendorff später zu berichten wusste; – Generaloberst Rudolf Schmidt habe mitten in die Vorhaltungen „mit betonter Kühle“ zu Hitler gesagt: „Ihre Kriegserfahrung trägt ein Spatz auf dem Schwanz weg.“
Das hatte gesessen, und Hitler hatte es die Sprache verschlagen. Gewöhnlich erduldeten es die Generäle, sich als „Strohköpfe“ beleidigen zu lassen. Generaloberst a.D. Frnz Halder klagte in einer Dokumentation: „Wer es wagte, ihm Vorhaltungen zu machen, musste erleben, weich, schwach, sogar feige genannt zu werden.“
Dem Oberkommandierenden von Brauchitsch soll Hitler einmal, wie in Nachkriegskreisen des Generalstabs erzählt wurde, sogar ein Tintenfass nachgeworfen haben, als dieser dafür eintrat, die Quote der täglich zu ermordenden Juden um einige Prozentpunkte zurückzufahren! Und General Jodl, Chef des Wehrmacht-Führungsstabes, musste eines schönen Tages plötzlich ohne den Handschlag zur Begrüßung auskommen. Damit war Jodl einer der Nestoren der sich modern gebenden deutschen Militärgeschichtsschreibung, es vornehm mitleidsvoll ausdrückte, als „persona minus grata“ behandelt worden. Nichts mehr sei es „mit dem gemeinsamen Mittagessen“ gewesen, das habe der Oberbefehlshaber aller Oberbefehlshaber von da an in der „Wolfsschanze“ unter den Tisch fallen lassen.
Von einigen Ausnahmen abgesehen, finden die finanziellen Bande keinerlei Erwähnung. Kontrafaktisch wird in den Büchern zur „Militärelite“ der Eindruck erweckt, als sei man in diesen Kreisen über den schnöden Mammon gestanden. Nur an einigen wenigen Stellen sind marginale Hinweise zu finden, wie Hitler es verstanden hatte, Malaisen und Anwandlungen von Unwilligkeit mit einem Griff in die Kiste der bewährten Mittel zu therapieren; – verabreichte er doch, hoch dotiert, oft schon vorab, hohe Orden, Privilegien, Dotationen. Auch Bares, in großen Mengen, floss steuerfrei.
Nach dem Krieg erzählten die von Hitler beschenkten Generäle, es sei ihnen peinlich gewesen, denn nur mit schweren Bedenken (!), die sie sich nach außen nicht anmerken ließen, hätten sie sich zur Annahme der „Führer-Zuwendungen“ entschließen können. Die Tapferkeit, mit der sie damals doch letztlich ihre Hemmungen überwanden, spricht dafür, dass im Ehrenkleid der Nation ab einem bestimmten Rang die Taschen, in denen der Geldsegen verschwand, bodenlos waren. Und äußerst galant klangen auch die Zeilen, mit denen der Gönner an der Spitze des Reiches einen Reichsmark-Scheck über eine Viertelmillion an einen seiner Generäle übersandte: „Ich versuche, Ihnen aus Anlaß des 60. Geburtstages bei der Gestaltung der Annehmlichkeiten Ihres privaten Lebens etwas behilflich zu sein. Mit herzlichen Wünschen. Ihr ergebener Adolf Hitler.“
Hitler war – es gibt heute fast kein Buch über die Spitzen der Wehrmacht ohne die spezielle Betonung dieses Umstandes – zum Schluss beratungsresistent. Wohlgemeintes habe er stets in den Wind geschlagen. Ein Lamento, in dem nicht selten die Botschaft versteckt ist: Es darf sich niemand wundern, dass die militärischen Unternehmen ein schlimmes Ende nahmen; – man hätte es auch anders anpacken können.
Als ob die Zeit stehen geblieben wäre, genau den gleichen Tenor hatte die hohe Kunst der Selbstverteidigung, in der sich die „karmesinrote Zunft“ der Generalstäbler gleich nach der Niederlage im Mai 1945 übte. Um der Zukunft willen galt es damals die Vergangenheit zu verbessern. Als die Siegermächte Tribunale einrichteten und Prozesse anstrengten, boten sich die operativen Maßnahmen von selbst an: Das nachträglich zum Strahlen gebrachte Licht der Verdienste auf den Scheffel, den riesigen Misthaufen der Schuld darunter.
Bei der Beleuchtung wurde „geklotzt und nicht gekleckert“, um die Lieblingsworte des Panzergenerals Heinz Guderian zu benutzen, der in der US-Historical Division und als Memoiren-Schreiber – ähnlich wie Franz Halder – wieder an der Spitze der Bewegung zu finden war. Ignoranz und Realitätsverweigerung, Fehler und Verfehlungen, Misserfolge und Missetaten, Kriegsverbrechen und Massaker, alles, was der deutschen Generalität angekreidet werden konnte, wechselte auf das Teufelskonto des toten Diktators. Und so zementierten sie alle das Denkmal eines Gegensatzpaares, das heute zwar einige Risse zeigt, aber noch nicht umgefallen ist: der übergeschnappte Dilettant Hitler und sein Diener Keitel auf der einen Seite und die hochbefähigten Generäle des Heeres, denen unentwegt blödsinnige Befehle dazwischen funkten, auf der anderen.
Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe der Israel Nachrichten.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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