Viele „historische“ Sendungen auf diversen deutschen Fernsehsendern beginnen mit der üblichen Melange: Klischees, Legenden, Fakten, Fotos, Tonfetzen, Schnipseln aus alten deutschen Wochenschauen, Stenogramm-Kommentare und apodiktische Phrasen, die als psychologische Befunde verpackt sind. Die Abfolgen der Sendungen beginnen im Schnelldurchlauf mit Datum vom 20. April 1889; – immer wieder zeigt man das Geburtshaus in Braunau am Inn, wo Adolf Hitler zur Welt kam. Man zeigt die Straßen von Linz, und man bekommt zu hören, dass „Hitlers Charakter nichts mehr geprägt hatte, als das Hin-und-Her-Gerissensein zwischen Vater und Mutter, zwischen ihrer Nähe und seiner Distanz.
Den alten Zollbeamten trifft fast der Schlag beim Frühschoppen am Sonntag; – Sohnemann Adolf meidet die Schule, spielt den Stenz und verbringt seine Zeit als „Künstler“. Er schwärmt von Opern, der Malerei und vom zukünftigen Ruhm. Die Mutter verstirbt an Krebs, und sein Wunsch, die Wiener Kunstakademie zu besuchen, scheitert an den dort verlangten Prüfungen. Es folgt der Sturz ins Bodenlose, er landet im Männerheim. Hitler jedoch verweigert die Realität und flieht aus dem ihm verhassten Wien in die Stadt seiner Träume, nach München. Er schlägt sich mit dem Abmalen von Motiven aus Postkarten durch, darunter auch Stadtansichten naturgetreu aber seelenlos.
Der Erste Weltkrieg, der im Jahre 1914 ausbricht bring für ihn die „Erlösung.“ Die Münchner jubeln, mit ihnen Adolf Hitler, der in seinem Leben endlich wieder einen Sinn erkennt.
Das große Schlachten, „mörderischer als nie zuvor“, es zieht sich durch jede Sendung: Es scheppert, rumst und knallt in den Schützengräben der Kriegsparteien, es folgen Explosionen und Bombenkrater. In den vier Jahren, die Hitler an der Westfront verbringt, wird er als Meldegänger eingesetzt, ein tapferer, mit Orden ausgezeichneter Soldat. Seine Kompanie wurde ihm zur „Ersatzfamilie“, in der er jedoch ein Eigenbrötler bleibt. Sein einziger Freund ist ein englischer Überläufer – Foxl, ein kleiner Terrier mit weißem Fell und einem schwarzen Abzeichen. Im Jahre 1918 erwischt den jungen Adolf ein alliierter Gasangriff und lässt ihn für eine kurze Zeit erblinden. Im Kriegslazarett Pasewalk nahe der Ostseeküste erfährt er von der deutschen Niederlage und der Kapitulation. Dann folgt zumeist die Einblendung mitsamt einem Spruch aus der „Nazi-Bibel“ – „Mein Kampf“ – : „Ich aber beschloss, Politiker zu werden.“
Adolf Hitlers Leben, wie nach einem Drehbuch nachgebildet als Groschenroman in bewegten Bildern; – er wird 30 Jahre alt, und da ist es zur Hälfte für ihn schon vorbei. Im Film dauert es ganze zehn Minuten. Die Menschen, die bis dahin zwischendurch in Großaufnahme einzeln ins Bild und zu Wort gekommen sind, gehörten zu den Paradepferden im sogenannten „Zeitzeugen-Stadel“!
In der Reihenfolge des Auftretens: Egon Hanfstängl, Sohn des zeitweiligen Hitler-Freundes und „NSDAP-Auslandspressechefs“, berichtete, wie er sich als Kind an den Späßen von „Onkel Dolfi“ begeisterte; Reinhard Spitzy, ehemals SS-Hauptsturmführer, etikettiert im Dokumentarfilm als „Attache bei Hitler“, auch er ein bekannter Märchenonkel in der Doku-Branche, berichtet mir unverkennbar österreichischem Akzent, wie der Hitler erzählte, dass er als Bub ein „rechter Lausejunge“ war, für den es vom Vater öfters eine Tracht Prügel gesetzt habe. Es folgte Augustin Kubizek, Sohn des Musikers, der zu Kaisers Zeiten in Wien eine Weile mit Hitler gut bekannt war, und er berichtete, dass sein Vater ihm erzählt habe, was für eine „herrische Natur der Hitler als Mensch gewesen sei, stundenlang, zum Einschlafen habe er politische Reden geschwungen“; dann Elisabeth Popp, deren Vater in der Schleißheimer Straße nicht weit vom Münchner Hauptbahnhof ein Zimmer an den „Malkünstler“ vermietet hatte, staunt beeindruckend lebhaft, wie närrisch sich der Hitler gefreut habe, endlich in den Krieg ziehen zu können. Was die vier an Erinnerungen von sich geben, klingt vorgekaut und aufgewärmt, entweder lustig oder sentimental. Mit ihren Anekdoten sorgten sie für den „human touch des Sonderlings.“
In den Dokumentationen erscheint es wie eine Dreisatz-Rechnung: 1. Krieg und Kaiserreich sind verloren. 2. Die Revolution in Deutschland bricht aus. 3. Hitler beschließt, in die Politik zu gehen.
Filmschnipsel zeigen chaotische Massendemonstrationen, zwei Schriftzüge auf den Fahnen und Schildern sind auf der einmontierten Sequenz zu erkennen und senken sich ins Unterbewusste: „Roter Soldatenbund“ und „Hoch die Weltrevolution.“
Man zeigt Ausschnitte aus Straßenkämpfen im ganzen Reich, Anarchie auch in Bayern. Später darf sich ein Regimentskamerad erinnern, dass ihm der nach München zurückgekehrte Hitler damals „wie ein streunender Hund“ erschienen sei, „auf der Suche nach einem neuen Herrchen.“
Was folgt, sind Mini-Auszüge aus alten Schwarz-Weiß-Filmen. Man schreibt den 26. Februar 1919. Zu sehen ist der Trauerzug durch die Münchner Innenstadt zu Ehren des bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Den sozialistischen Politiker hatte im November 1918 die revolutionäre Bewegung in das Amt gebracht. Einer anschwellenden antisemitischen Hetzkampagne ausgesetzt, war er von einem völkisch-rechtsradikalen Studenten auf der Straße erschossen worden. Viele Tausend Menschen gaben ihm an diesem Tag das letzte Geleit. Aber die Autoren der Dokumentationen wissen mehr, als das menschliche Auge erkennen kann: Soldaten aus Hitlers Regiment seien mit „roten Armbinden und Trauerflor“ dabei, sagt der Kommentator und hilft unseren Augen, denen wir nicht trauen sollen, akustisch auf die Sprünge. Mit einem Satz, der klingt, als wäre er aus einem Satire-Magazin entsprungen, wir die Katze aus dem Sack gelassen: „Der Film zeigt deutlich einen Gefreiten.“
Fortsetzung folgt in der nöchsten Ausgabe der Israel Nachrichten.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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