Am 10. November des Jahres 1941 wurde der SS-Scherge Kurt Eimann, der die ersten Massenerschießungen von geisteskranken Menschen 1939 im westpreußischen Neustadt geleitet hatte, zur Standortkommandantur von Lublin abgeordnet. Am 22. und am 23. November tagten Vertreter des technischen Personals der „Aktion T-4“ in Pirna, „um die kommenden Dinge der Zukunft zu besprechen.“
Und es bestand kein Zweifel, dass Brack erörterte, eine Abordnung eines Teils von Mordspezialisten nach Belzec sandte, die nach Ankunft dort ihr grausames Morden begann. Parallel dazu fanden am 21./22. Oktober 1941 erste Besprechungen statt, um in Auschwitz ein Krematorium mit fünfzehn (!) Einäscherungskammern zu errichten, in dem theoretisch 1440 Leichen innerhalb von 24 Stunden verbrannt werden konnten. Mitte November bestellten die gleichen Auftraggeber der SS-Bauverwaltung eine ähnliche Anlage mit 32 Verbrennungskammern für das KZ in Mogilew. Im Dezember 1941 unternahm der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz den ersten Versuch zur Ermordung von Häftlingen mit dem Schädlingsvernichtungsmittel Zyklon-B.
Nach dem Bau einer Serie von 6 kleinen Gaswagen, die für die Einsatzgruppen der SS in der Sowjetunion bestimmt waren, fand am 3. November „eine Probevergasung“ im Konzentrationslager Sachsenhausen statt. Am 8. Dezember 1941 begann die Massenvernichtung der Juden in dem zunächst mit zwei, dann mit drei Gaswagen ausgestatteten Vernichtungslager Chelmno – Kulmhof -, fünfzig Kilometer nördlich von Lodz. Obgleich zu diesem Zeitpunkt an weiteren Abschiebungen in das Generalgouvernement oder in die UDSSR nicht zu denken war, richtete die Umwandererzentrale in Litzmannstadt am 19. November 1941 eine spezielle „Abteilung II Aussiedlung“ ein. Offenbar handelte es sich dabei um eine „verwaltungstechnische Reorganisation“ auf die „bevorstehenden Evakuierungen der Juden nach Kulmhof.“
Erst nachdem all diese technischen und organisatorischen Vorbereitungen getroffen waren, lud Reinhard Heydrich am 29. November 1941 zur „Besprechung der Staatssekretäre“ am Großen Wannsee ein. Doch musste die Konferenz noch einmal verschoben werden und fand dann am 20. Januar 1942 statt. Nach einem kurzen Rückblick auf die deutsche Judenpolitik der vergangenen neun Jahre kam Heydrich auf das eigentliche Thema des Tages zu sprechen: „Anstelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die die Evakuierung der Juden nach Osten getreten.“
Das Protokoll der „Wannsee-Konferenz“ war in der üblichen Tarnsprache des „Dritten Reiches“ als „Geheime Reichssache “ formuliert; – die Begriffe wie „abschieben“, „umsiedeln“ oder „durchschleusen“ der klaren Benennung des Tötens vorzog. Doch diente diese Sprache nicht der Geheimhaltung, sie sollte den Massenmord an den europäischen Juden mit Hilfe aseptischer Begriffe leichter verwaltbar machen und – das waren Absicht und Erfolg dieser Konferenz – dabei dem Nazi-Regime helfen, die „Endlösung“ in den bürokratischen und politischen Alltag des deutschen Staates einzufügen und arbeitsteilig zu organisieren. Dieses Verfahren ermöglichte es dem einzelnen, sich aus der Verantwortung zu stehlen, eine partiell aktive, insgesamt aber passende Komplizenschaft mit der Regierung einzugehen. Mehr wurde nicht verlangt, mehr war im Deutschland der Nationalsozialisten nicht nötig.
Auch die Wehrmacht hatte nach Kenntnisnahme des Wannsee-Protokolls ihre Stellungsnahme abgegeben und setzte sich dafür ein, dass jüdische Männer mit Kriegsauszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg nicht in die Vernichtungslager, sondern in das sogenannte „Alters-Ghetto“ deportiert werden sollten; – was natürlich im Großen und Ganzen ein frommer Wunsch blieb..! Auch das Auswärtige Amt entwickelte „Wünsche und Ideen zu der vorgesehenen Gesamtlösung der Judenfrage in Europa.“
Am 15. Oktober 1941 hatte der für das Warschauer Ghetto zuständige Wirtschaftsfachmann, der Wiener Bankdirektor Max Bischof die Feststellung getroffen, dass die Zahl der Arbeitenden „gegenüber der Masse vron einer halben Million Menschen nicht ins Gewicht falle.“ Und genau einen Tag später hatte hatte der Leiter der Hauptabteilung Wirtschaft in Krakau festgestellt, „dass sich das Ghetto finanziell nicht tragen, nicht ohne Zuschüsse leben könne, wenn man sich das Ziel setzt, die Lebensfähigkeit der Judenschaft zu erhalten. Damit ist jedoch über die Rechtfertigung des Ghettos noch nichts gesagt; – es ist aber ein vorübergehendes Konzentrationslager bis zu dem Zeitpunkt, in welchem die Juden abgeschoben werden können.“
Genau zu, gleichen Zeitpunkt, vom 13. bis zum 18. Oktober 1941 beschäftigten sich knapp 100 Amts-, Wehrmachts- und SS-Ärzte in Bad Krynica mit der Bekämpfung von Epidemien im Generalgouvernement. Der Leiter der Hauptabteilung Gesundheit der Regierung Frank, Horst Walbaum, hatte dort festgestellt: „Es gibt nur zwei Wege: Wir verurteilen die Juden im Ghetto zum Hungertode oder wir erschießen sie. Wenn auch der Endeffekt derselbe ist, das andere wirkt abschreckender. Wir können aber nicht anders, wenn wir auch möchten, dass das deutsche Volk von diesen Parasiten nicht infiziert oder gefährdet wird, und dafür muss uns jedes Mittel recht sein.“
Wie und mit welchen Argumenten alle Beteiligten ihre Entscheidungen am Mord an den europäischen Juden einst diskutiert hatten, lässt sich anhand jener Rede erahnen, mit der Hans Frank am 16. Dezember 1941 die Mitglieder seines „Kabinetts“ über die geplante Massenvernichtung unterrichtete: „Ich muss auch als alter Nationalsozialist sagen: Wenn die Judensippschaft den Krieg überleben würde, wir aber unser bestes Blut für die Erhaltung Europas geopfert hätten, dann würde dieser Krieg doch nur einen Teilerfolg darstellen. Ich werde daher den Juden gegenüber grundsätzlich nur von der Erwartung ausgehen, dass sie verschwinden. Sie müssen weg…, was aber soll mit den Juden geschehen? Glauben Sie, man wird sie im Ostland in Siedlungsdörfern unterbringen? Man hat uns in Berlin gesagt: Weshalb macht man diese Scherereien? Wir können im Ostland oder im Reichskommissariat – Ukraine – auch nichts mit ihnen anfangen; – liquidiert sie selber.
Man kann bisherige Anschauungen nicht auf solche gigantischen einmaligen Ereignisse übertragen. Jedenfalls müssen wir aber einen Weg finden, der zum Ziele führt. Wie und wo das geschieht, ist eine Sache der Instanzen, die wir hier einsetzen und schaffen müssen und deren Wirksamkeit ich Ihnen rechtzeitig bekanntgebe. Über allem muss aber folgender Gedanke stehen: Dieses Gebiet des Generalgouvernements wird unmittelbar nach dem durchgeführten Rückdeutschungsprozess der Ostgebiete des Reiches der nächste Bestandteil Europas sein, der der absoluten Deutschdurchdringung unterstellt werden wird, Wir werden die großen Reichsautobahnen bauen, die quer durch unser Land gehen.
An diesen Reichsautobahnen werden Siedlungsdörfer mit Deutschen entstehen. Da wir dann auch die Möglichkeit haben, allenfalls hier nicht mehr benötigtes Fremdvolkstum nach Osten abzugeben, wird es nicht zu unüberwindlichen Schwierigkeiten führen, das deutsche Volkselement mehr und mehr verwurzeln zu lassen und das fremdländische Element immer mehr abzudrängen. Das Generalgouvernement muss genauso judenfrei werden, wie es das Reich ist.“
Davon konnte am 16. Dezember 1941 offenkundig noch keine Rede sein, denn die Deportationen hatten gerade erst begonnen. Aber Hans Frank suggerierte sich selbst und seinen Zuhörern, die Juden seien bereits alle verschwunden. Dabei hatte das große Morden erst begonnen.
Und was die Mörder zu berichten wussten, erfährt die Leserschaft der Israel Nachrichten in der zehnten und letzten Folge.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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