Chaim A. Kaplan führte in der Zeit, als die Nazis das größte Verbrechen an den Juden begingen, das sogenannte „Warschauer Tagebuch“, das hier auszugsweise wiedergegeben wird:
Im Frühjahr 1941 gab es noch keine Gaskammern. Auf der Tagesordnung stand in jener dunklen deutschen Zeit noch die Errichtung zahlreicher Lager für Zwangsarbeiter. Noch am 21. Januar 1941 meinte Waldemar Schön, der Leiter der „Warschauer Abteilung Umsiedlung“, von den infolge der „Ghettobildung zunächst arbeitslos gewordenen Juden“ könnten bald 200.000 außerhalb des Ghettos „kolonnenweise zum Einsatz gebracht werden“. Bereits in naher Zukunft sollte damit „eine 100prozentige Ausnutzung dieser Arbeitskräfte“ gewährleistet sein. Und bald schon folgten die Vorbereitungen für dieses „Projekt..!“ Im Februar 1941 forderte die Wasserwirtschaftsinspektion des Generalgouvernements 22.000 bis 25.000 jüdische Zwangsarbeiter an. Am 2. März 1941 notierte Kaplan: „Im arischen Bezirk wurde ein Anschlag plakatiert, der polnische, ukrainische und weißrussische Leute aufforderte, sich um Stellen als Aufseher für die Baracken zu bewerben, die für die Juden errichtet werden sollen.“
Diese Lager, errichtet von Privatfirmen, die „eine Art Konzession auf die Ausnutzung der jüdischen Arbeitskräfte“ erhielten, wurden zur Hölle. Die äußeren Bedingungen, der Mangel an Lebensmitteln und Werkzeugen, Behausungen und angemessener Arbeitskleidung machten es unmöglich, auch nur zu testen, ob ein Teil der Eingeschlossenen auf diese Weise „in Arbeit gebracht“ werden könnte. Die Wirklichkeit dieses „Projektes“ spiegelt sich im Tagebuch des Warschauer Judenratsvorsitzenden Adam Czerniakow:
Im Juni 1941 wurden die Lager weitestgehend geschlossen. Dies war ein Erfolg der Ökonomen, welche die geringe Arbeitsproduktivität von Anfang an bemängelt hatten. Rückblickend beschrieb damals Friedrich Gollert, der Leiter der „Abteilung Raumordnung des Distrikts Warschau“, im Jahre 1942 das Desaster der Zwangsarbeitslager auf seine Weise: „Im Winter 1940/41 wurden weiterhin Entwürfe aufgestellt und geprüft, um für das nächste Jahr einen genügenden Arbeitsvorrat zu haben. Bei den Arbeiten der Wasserwirtschaft wurden im Jahre 1941 Juden aus dem Warschauer jüdischen Wohnbezirk in größeren Mengen eingesetzt. Die Arbeitsleistungen der verbleibenden Juden waren derart gering, dass allein die Kosten für die Verpflegung höher waren als das Entgelt, das die Juden verdienen sollten. Statt der Juden werden in Zukunft russische Kriegsgefangene zur Arbeit herangezogen werden..!“ Und so führte die Ankündigung Heinrich Himmlers vom Dezember des Jahres 1940 „Judenauswanderung und damit noch mehr Platz für die Polen“ in der Praxis zunächst zur forcierter Ghettoisierung und zur Entwicklung von Zwangsarbeitsprojekten. Letztere erwiesen sich schon wegen der unzulänglichen organisatorischen Voraussetzungen rasch als vollkommener Fehlschlag. Darüber hinaus mussten sie, da sie langfristigen Infrakstrukturverbesserungen dienen sollten, im Angesicht der Vorbereitungen der Nazis zum Überfall auf die Sowjetunion ausgesetzt werden. Einer der Wirtschaftsberater von Hans Frank hatte bereits im März, als gerade mit dem Aufbau der Lager begonnen wurde, lapidar vorausgesagt: „Durch die für 1941 zu erwartenden besonderen Verhältnisse wird insbesondere das Transport- und Verkehrswesen außerordentlichen Belastungen unterworfen sein. Hierdurch wird eine Reihe von Vorhaben, die für 1941 angesetzt worden waren, wahrscheinlich nicht zur Ausführung kommen“.
Anders ausgedrückt: N o c h hatte die jüdische Bevölkerung trotz Demütigungen, Enteignungen, Schlägen und beginnenden Morden durch die Nazis eine gewisse „Schonfrist“, was sich jedoch sehr bald ändern sollte.
Dies erfährt die Leserschaft der Israel Nachrichten in der nächsten Ausgabe.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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