Stadtverwaltung Lößnitz im sächsischem Erzgebirge, Kirchgemeinde und Evangelische Landeskirche Sachsen verschwiegen Nazi-Symbolik auf Glockenspiel
Lößnitz, das ist eine kleine Stadt im sächsischen Erzgebirge. Rund achteinhalb Tausend Bürgerinnen und Bürger leben dort. Das sagt jedenfalls die Statistik für das Jahr 2018 aus. Auf dem beschaulichen Marktplatz mit Rathaus und Kirche ist es zehn nach zwölf. Pünktlich erklingt vom Glockenturm der St. Johanniskirche das alte Frühlingslied „Nun will der Lenz uns grüßen“. Es ist ein schöner Klang, zelebriert von 23 Glocken eines 1938 im thüringischen Apolda gegossenen und 1939 in Lößnitz geweihtem Glockenspiels. Viermal täglich erklingen die verschiedensten Melodien. Nun könnte man die Melodien genießen, den Glockengießern aus Apolda Respekt ob ihrer Kunst zollen, dem Glockenverein, der Kirche und der Stadtverwaltung dankbar sein, ein solches Kleinod erhalten zu haben. Also: Zuhören, genießen, weggehen und sich keine weiteren Gedanken machen. So verhielten sich jedenfalls während der vergangenen Jahre, inklusive DDR-Zeit, die Stadträtinnen und Stadträte, die Kirchenvertreter Sachsens und Gemeindemitglieder, die Pfarrer und die Stadtverwaltung samt Bürgermeister.
„Ein Volk, Ein Reich, Ein Führer“
Das Problem dabei ist nur, dass alle Genannten wussten, welche „Leichen“ sie in ihrem Keller, besser geschrieben, auf dem Kirchturm haben. Es grüßt nicht nur der Lenz vom Kirchturm. Bekanntlich verkünden Glocken auch die Sprüche, die in diese eingegossen sind. Für das Lößnitzer Glockenspiel heißt das: „Ein Volk“ , „Ein Reich“ , „Ein Führer“. Eine andere Glocke lässt Adolf Hitler jubilieren: „Wir danken in dieser Stunde dem Allmächtigen, dass er uns auf dem Wege in der Vergangenheit gesegnet hat und bitten ihn, dass er auch in Zukunft unseren Weg zum Guten geleiten möge. Adolf Hitler am 23.10.1938“. Und die Glockengießer aus Apolda huldigen ihren „Führer“ mit dem Text: „Im Jahre 1938, als unter Adolf Hitlers Führung Österreich die Ostmark Großdeutschlands wurde und Sudetenland heimkehrte ins Reich, gegossen von Franz Schilling &Söhne, Apolda“ – natürlich verziert mit Hakenkreuzen. Stöbert man auf den Webseiten der Stadt und des Glockenvereins, ist all dies mit keinem Wort erwähnt. Im Gegenteil: Die Stifterin des Glockenspiels erfährt eine Huldigung, die bei näherer Betrachtung keinen Zweifel an Geschichtslosigkeit aufkommen lässt.
Dem „Führer“ treu ergeben
Clara Pfauter, geborene Colditz, wurde am 20. März 1875 in Lößnitz geboren. Anläßlich des 700jährigen Bestehens von Lößnitz stiftete sie für rund 30 000 Reichsmark 1938 ihrer Heimatstadt das Glockenspiel. Es sollte eigentlich auf den Rathausturm. Jedoch hätte es dieser nicht tragen können, und man entschied sich für den Turm der St. Johanniskirche gleich gegenüber. Die Stadt blieb bis heute Eigentümer des Intruments. Mit großem Aufwand wurde das Carillon am 28. Mai 1939 in Anwesenheit von Clara Pfauter geweiht.
Die Sprüche und Botschaften auf den Glocken kommen nicht von ungefähr – Pfauter war eine glühende „Nationalsozialistin“. 1914, nach dem Tod ihres Ehemanns Rudolf Hermann Pfauter, ein Chemnitzer Maschinenfabrikant, übernahm sie die Geschäftsführung der Werkzeugmaschinenfabrik Hermann Pfauter. Anfangs allein, bis 1930 ihr Sohn Dr. Ing. Michael Pfauter, die Geschäftsführung übernahm. Clara Pfauter wirkte weiter in der Geschäftsleitung mit. Michael Pfauter, NSDAP-Mitglied Nr. 1132730, Ing. Wilhelm Pfauter, Beiratsmitglied der IHK Chemnitz, NSDAP-Mitglied Nr. 1133255 und die Brüder Ing. Georg Pfauter und Ing. Hermann Pfauter, vermutlich ebenfalls Mitglieder der NSDAP, was noch einiger Forschung bedarf, waren allesamt Mitgesellschafter der Firma. Über die Mitgliedschaft von Clara Pfauter in der Partei ist ebenfalls bisher nichts bekannt. Für damalige Verhältnisse sind das nüchterne Zahlen und wenig spektakulär, wäre da nicht die komplette Geschichte dieser Firma.
Zwangsarbeiter schufteten für Familie Pfauter
So unterhielt sie während des Krieges drei Lager für Zwangsarbeiter, Protektoratsangehörige und, entgegen jeglichen Kriegsrechts, französische Kriegsgefangene, um sie auszubeuten. Zwangsarbeiter waren zum Beispiel in einer ehemaligen Bahnhofsgaststätte in Chemnitz-Reichenhain (Foto) untergebracht. Bei „Disziplinverstößen“ gab es Meldungen an die Gestapo. Nach der Bombardierung von Chemnitz beherbergte die Familie in ihrer Villa in Chemnitz-Harthau eine SS-Gruppe, die aller Wahrscheinlichkeit nach Erschießungen von Widerständlern vornahm. Damit beteiligte sich die Familie aktiv an den Verbrechen der Faschisten. Ihre Firma, eingestuft als „kriegswichtig“, sollte 1944 im Rahmen der Aktionen der „Untertage-Verlagerung“ (Bombensicherheit) in die heute noch als Schaubergwerk zu besichtigenden „Rabensteiner Felsendome“, ähnlich dem KZ Dora bei Nordhausen, umgelagert werden. Die Vorbereitungen dazu liefen auf Hochtouren. Die mit dem Decknamen „Seezunge“ bezeichnete Aktion konnte jedoch aufgrund des Kriegsverlaufes nicht verwirklicht werden. Nach dem Krieg und dem Volksentscheid zur Enteignung von Kriegsbrechern in der Wirtschaft wurde auch die Maschinenfabrik Hermann Pfauter enteignet. Die Familie ging in die Westzonen und baute in Ludwigsburg, als wäre nichts geschehen, eine neue Firma auf. Die Aufzählungen sind noch lückenhaft. Ausreichend für eine differenzierte Betrachtung des Umganges mit dem Glockenspiel in Lößnitz sind sie allemal.
Weltglockengeläut mit Nazi-Botschaften
Obwohl die eingangs erwähnten Gremien also bestens über das Glockenspiel und die Familie Pfauter Bescheid wussten, wurde alles über Jahrzehnte unter den Teppich gekehrt. Die Landeskirche Sachsen hatte im Rahmen der Diskussion der Kirchen in Thüringen und Sachsen-Anhalt betont, es gebe in Sachsen keine „Nazi-Glocken“. Die Mitteldeutsche Kirchenzeitung „Glaube + Heimat“ hingegen brachte jedoch das Carillon von Lößnitz ins Spiel. In der „Freien Presse“ vom 17. April 2019 bestätigte nun der Archivar der Bergstadt Matthias Rockstroh die Existienz solcher Glocken. Der Stadt sei alles bekannt, jedoch werde das Thema bewusst nicht öffentlich gemacht. Dazu passt, dass sich Lößnitz 2012 am Apoldaer Weltglockengeläut beteiligte. Ungefähr alle fünf Jahre wird solch ein Geläut veranstaltet, bei dem die Glockenklänge in weitere Städte der Welt per Video übertragen werden. So erklangen „Nazi-Glocken“ 2012 in Jerusalem. In Jerusalem, wo genau die Menschen und deren Nachkommen leben, die großes Leid durch die Faschisten erfahren mussten. Musste es da nicht den Verantwortlichen für das Apoldaer Weltglockengeläut die Schamröte in die Gesichter treiben? Ausgerechnet den Menschen in Jerusalem die Botschaft des „Führers“ zu übermitteln, verdient nur das Adjektiv perfide. Auch die Apoldaer Glockenhistoriker wussten von den Texten.
Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen
Während also in den anderen zwei mitteldeutschen Ländern wenigstens in geschlossenen Gremien mit welchem Ergebnis auch immer diskutiert wird, schweigen die Lößnitzer. Allerdings verschweigt auch die Evangelische Kirche Mitteldeutschland (EKM), in welchen Kirchen der drei Länder noch Glocken mit Nazi-Symbolik läuten. Lediglich DER SONNTAG, Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen, schreibt zur Thematik folgendes:
„Im Streit um Kirchenglocken mit Nazi-Symbolik hat sich die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Ilse Junkermann, gegen deren Verbleib ausgesprochen. »Die Glocken sind schrecklich und müssen weg«, sagte sie der »Thüringer Allgemeine« (Freitag) vor einem Treffen mit den betroffenen Gemeinden in Erfurt. Zu dem Gespräch am Freitagnachmittag war auch der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, eingeladen. Auch er beharrt auf eine Beseitigung der Hitler-Symbole. »Dass in Kirchen immer noch Glocken hängen und zum Ruhm des verbrecherischen Naziregimes und seiner Akteure läuten, ist nicht tolerierbar«, bekräftigte er im Gespräch mit der Zeitung. Angebote, den unsäglichen Zustand zu beseitigen, lägen auf dem Tisch. Er verstehe nicht, dass es dazu unterschiedliche Meinungen geben könne und eine Entscheidung gegen die Glocken so lange dauere, erklärte Schramm. Und die Zeitung schreibt weiter: „Die EKM hatte wiederholt erklärt, sehr sensibel mit dem Thema umzugehen. Die Standorte der Kirchen würden nicht öffentlich gemacht, um einen Missbrauch ausschließen zu können. Für die Entscheidung – die letztlich allein bei den Kirchgemeinden liege –, ob die Aufschriften abgeschliffen, die Glocken stillgelegt oder eingeschmolzen und neu gegossen werden sollen, bräuchten die Gemeinden Zeit. Es gelte das Angebot der Landeskirche, sie dabei auch finanziell zu unterstützen, versprach die EKM. Auch das Thüringer Finanzministerium stellte bereits Lottomittel für die Herstellung neuer oder die Umarbeitung der historischen Glocken in Aussicht“.
In Sachsen ist man von solchen Diskussion weit entfernt und Lößnitz bereitet das Weihejubiläum für den diesjährigen Tag des offenen Denkmals im Herbst vor. So teilt auf Anfrage der Pfarrer der Kirchgemeinde Lößnitz-Affalter, Raphael Weiß, lapidar mit: „Im Zuge der Debatte in der thüringschen Landeskirche, bei der auch die Situation bei uns in Lößnitz durch die Presse ging, war der Ton leider nicht immer sachlich und auch die Faktenlage häufig nicht ganz klar. Wir führen zurzeit intensive Gespräche mit der Stadt Lößnitz, in welcher Form die Thematik im Zuge des Glockenspieljubiläums thematisiert werden soll“.
Kritik wächst
Der Lößnitzer Ortsvorsitzende der Partei DIE LINKE, Nikolai Hager, will zum Thema leider noch keine Aussagen treffen. Man wolle im Vorstand erst einmal beraten, wie mit der Angelegenheit umzugehen sei.
Der kulturpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, Franz Sodann, sieht die Situation so: „Die Konstellation, dass ein im Eigentum der Stadt befindliches Geläut mit Nazi-Symbolik und einschlägigen Inschriften in einer Kirche installiert ist, dürfte wohl einzigartig sein. Mir sind keine vergleichbaren Beispiele bekannt. Hier sind sowohl die Stadt Lößnitz als auch die Kirchgemeinde gefordert, eine Diskussion über den weiteren Umgang mit dem Glockenspiel und dessen Geschichte öffentlich zu führen. (..)Bis zu einer Entscheidung, wie mit dem Glockenspiel künftig umgegangen werden soll, hielte ich es durchaus für angebracht, dieses nicht mehr erklingen zu lassen. Völlig inakzeptabel wäre es jedoch weiter so zu tun, als gäbe es die Nazi-Symbolik nicht. Mit der Veröffentlichung in der Presse ist eine weitere öffentliche Thematisierung und ein offensiver Umgang damit unumgänglich, um alten und neuen Nazis nicht ein unkommentiertes „Ausflugsziel“ zu ermöglichen. Schon deshalb kann das weitere Betreiben des Glockenspieles und das Begehen des Jubiläums der Weihung ohne eine öffentliche Thematisierung der Rolle und des Handelns von Stadt, Kirche und auch der Stifterin in der Zeit des Faschismus nicht akzeptiert werden.“
Enrico Hilbert, Vorsitzender des Verbandes der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA Chemnitz) sieht es ähnlich: „Im besten Fall sollten die Glocken durch neue ersetzt werden und die alten ins Museum. Mindestens wäre das Stilllegen des Carillon anzustreben. Ein unkritisches Weihejubiläum geht überhaupt nicht“.
Für Silvio Lang, 1. Sprecher des VVN-BdA – Landesvorstandes Sachsen steht fest: „Sowohl ganz persönlich, als auch im Namen des VVN-BdA Sachsen e.V. drücke ich mein absolutes Unverständnis und eine klare Ablehnung über den Umgang der Stadt Lößnitz und der Kirchverwaltung mit dem Sachverhalt und der Personalie Clara Pfauter aus. Statt des Versuches, die als eindeutig dem NS zuzuordnende Gravur des Glockenspiels zu verschweigen und der unangebrachten, geplanten Würdigung Clara Pfauters im Herbst 2019, sollte sich die Stadt Lößnitz und die zuständige Kirchgemeinde vielmehr kritisch mit der Geschichte des Glockenspiels und seiner Stifterin auseinandersetzen. Angebracht wäre, schnellstmöglich einen Austausch der betroffenen Glocken anzugehen. Leider passt aber der hier gezeigte Umgang zur generellen Kultur zum Umgang mit der NS-Geschichte in Sachsen. Statt dem offensiven, kritischen Angehen und Thematisieren, wird verschwiegen und sich weggeduckt. Das muss sich dringend ändern!“
Fazit
Jahrzehntelang verschwiegen Kirchenvertreter, Stadträte usw. in Sachsen und ganz Mitteldeutschland, auch während der DDR-Zeit, die Existenz von Glocken mit Nazi-Botschaften. Warum sie das taten, das können nur die genannten Gremien endlich offenlegen. Sachsen wird seit einiger Zeit als die Hochburg des Neofaschismus gehandelt. Manchmal übertrieben, aber auch oft nachzuvollziehen, bedenkt man der Exzesse in Freital, Hoyerswerda, Chemnitz und anderswo. Rechtspopulisten und Neofaschisten stehen auf den Listen für die Europa- Kommunal- und Landtagswahlen. Und in dieser gesellschaftlichen Situation „beglücken“ Glocken eines Carillons die Menschen mit Botschaften aus finsterer Zeit. Es ist dringend geboten, öffentlich darüber zu debattieren – nicht erst, wenn der nächste Lenz grüßen lässt.
Gastbeitrag von Jonny Michel
Herr Michel ist Freier Journalist, er wohnt und arbeitet in Deutschland.
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie uns bitte mit einer Spende, oder werden Sie Mitglied der Israel-Nachrichten.
Durch einen technischen Fehler, ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet!
Leserkommentare geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wie in einer Demokratie ueblich achten wir die Freiheit der Rede behalten uns aber vor, Kommentare nicht, gekuerzt oder in Auszuegen zu veroeffentlichen. Anonyme Zuschriften werden nicht beruecksichtigt.