Einen Moment wie den sollte niemand erleben müssen. Nicht Angehörige, die miterleben müssen wie ein geliebter Mensch vor ihren Augen ermordet wird. Niemand, der erfahren muss, dass einer seiner besten Freunde oder Freundinnen nicht mehr lebt, sondern Opfer eines grausamen Terroraktes wurde.
Nicht Eltern, die erfahren müssen, dass ihr Sohn, bis anhin ihr grosser Stolz, ein Mörder ist. Jemand, der wahllos Menschen kaltblütig ermordete. Ohne Grund. Nur weil die von ihm Ermordeten Juden waren. Und dass es nur Dank einem technischen Defekt seiner Waffe nicht noch bis zu 50 (!) mehr Opfer gegeben hatte. Das war die Zahl der noch verfügbaren Patronen, die er bei sich trug.
Am vergangenen Samstag, dem letzten Tag des Pessach Festes hatte sich die jüdische Gemeinde von Poway, Kalifornien, zum Gottesdienst versammelt, als der 19 Jahre alte John Earnest die Synagoge betrat und das Feuer eröffnet. Die Überwachungskameras haben den Anschlag aufgezeichnet.
John Earnest rief anschliessend die Polizei an, informierte sie über das Geschehen und liess sich widerstandslos festnehmen.
Lori Kayne wurde bei ihrem Versuch, den Rabbiner zu schützen, erschossen. Rabbi Yisroel Goldstein erlitt Schussverletzungen an beiden Händen und verlor einen Zeigefinger, Noya Dahan, 8 und ihr Onkel Almog Peretz erlitten Verletzungen durch Schrapnells.
Der Mörder – die Polizei spricht nicht von einem Terroranschlag, sondern von einem Hassverbrechen, hat ein 7-seitiges «Manifest» hinterlassen. Von seinem Twitter account wurde es kurz nach der Bluttat gelöscht. Das Schreiben wurde in amerikanischen Zeitungen veröffentlicht und auch von einigen israelischen Blättern. Europäische Zeitungen sahen wohl keine Notwendigkeit einer Veröffentlichung.
Das komplette Schreiben (englisch) kann hier nachgelesen werden, ich zitiere nur auszugsweise.
«Ein Teil meiner Vorfahren lebt in diesem Moment in mir. Sie sind der Grund, dass ich der bin, der ich bin. Ihre mutigen, einfallsreichen und rechtschaffenen Taten setzen sich in mir fort. Wirklich, ich bin von Gott mit meiner hervorragenden Blutlinie gesegnet.
Ich verstehe, warum ihr mich (nach den Gründen für meine Tat) fragt. Aber ich muss euch eine Frage stellen. Welchen Wert hat mein Leben verglichen mit dem der gesamten europäischen Rasse? Ist es für mich wertvoll, ein komfortables Leben zu leben, auf Kosten des internationalen Judentums, das den Untergang meiner Rasse beschlossen hat? Nein, ich werde meine Seele nicht verkaufen, indem ich untätig daneben sitze, wenn das Böse stärker wird. Lieber sterbe ich in ruhmvoll, oder verbringe den Rest meines Lebens im Gefängnis, als mein Leben zu vergeuden. Wohl wissend, dass ich nichts getan hätte, um das Böse zu stoppen. Es liegt mir nicht im Blut, ein Feigling zu sein. Ich interessiere mich nicht für das, was Juden als Geld bezeichnen, eine auf Schulden aufgebaute Währung. Ich interessiere mich nicht für die Art von Brot und Spielen, die die Juden im Versuch, mein Volk zu beruhigen, vorgeführt haben.
Jeder Jude ist verantwortlich für den akribisch geplanten Völkermord an der europäischen Rasse. Sie handeln als Einheit, und jeder Jude hat seine Rolle bei der Versklavung anderer Rassen in seinem Umfeld. Er handelt bewusst oder unbewusst. Die Verbrechen der Juden sind zahllos. Sie belügen und täuschen die Öffentlichkeit durch ihren ausufernden Einfluss auf die Medien. Sie benutzen Banken und Wucher, um ganze Nationen zu versklaven und alle Finanzmärkte zu kontrollieren in der Absicht, das Böse zu finanzieren. Sie beginnen Kriege, «gerechtfertigt» durch Lügen, die im Laufe der Geschichte Millionen Menschen das Leben gekostet haben, sind Anhänger des kulturellen Marxismus und Kommunismus, forcieren die Unterhaltungsindustrie mit entarteter Kunst. Sie wählen Politiker und unterstützen Organisationen, die die Masseneinwanderung nach Europa nutzen, um die europäische Rasse zu vertreiben.»
Diese Hasstirade, die vor Lügen, Unterstellungen und Verleumdungen strotzt, endet, wie könnte es anders sein, mit der antisemitischen Lüge von Kindermord, Ritualmordlegenden und der Kreuzigungskeule.
«Jeder Jude, jung oder alt, hat dazu beigetragen. Dafür verdienen sie nichts als die Hölle. Ich werde sie dorthin schicken!»
«Mindestens ein europäischer Mann wird überleben, der bereit sein wird, gegen die Ungerechtigkeit aufzustehen, die die Juden uns zugefügt haben. Dass meine Tat andere inspirieren wird, ebenfalls aufzustehen. Und wenn die Revolution (sic!) beginnt, an Intensität zuzunehmen (falls ich nicht getötet werde), erwarte ich aus dem Gefängnis befreit zu werden und den Kampf fortzusetzen.»
In den weiteren Absätzen fabuliert er über einen durch nichts begründbaren Göttlichkeitswahn, der ihm das Gefühl der Allmacht über Leben und Tod verleiht.
«Ist es rechtens, dass ein Dieb meinen Freund töten kann, statt den Dieb zu töten und so den Tod meines Freundes zu verhindern? Wer eine solche Frage stellt, hat sie bereits beantwortet. Es ist nicht Liebe zu deinem Freund, zuzulassen, dass er ermordet wird. Es ist nicht Liebe zu deinem Feind – dem Dieb – zuzulassen, dass er mordet. Jedes Kind versteht das Konzept der Selbstverteidigung. Es ist unrecht und feige, am Rand zu stehen, während die europäischen Völker ringsherum ausgelöscht werden. Ich wollte keine Juden töten, aber sie haben uns keine andere Chance gelassen. (…) Mein Gott nimmt die Auslöschung des von ihm Geschaffenen nicht leicht. Besonders, wenn es sich dabei um die allerschönste, intelligenteste und innovativste Rasse handelt, die er geschaffen hat. Und schon gar nicht wenn die Zerstörung von den allerhässlichsten, sündhaftesten, betrügerischsten, verfluchtesten und korruptesten Händen kommt. Mein Gott versteht, warum ich tat, was ich tat.»
Neben der christlich-göttlichen Unterstützung gibt er an, Hilfe von Pewdiepie, mit bürgerlichem Namen Felix Arvid Ulf Kjellenberg erhalten zu haben. Dieser weltweit bekannteste YouTuber engagiert sich einerseits in mehreren durchaus respektablen Wohltätigkeitsorganisationen und wurde mehrfach für seine hauptsächlich im Comedy Bereich angesiedelten YouTube Filme ausgezeichnet. Andererseits veröffentlichte er aber, und hier ist der Zusammenhang, 2016 neun Videos in denen er sich antisemitischer Witze und Nazisymbole bedient. Maker Studios, eine Tochtergesellschaft der Walt Disney Company und Google beendeten daraufhin die Verträge mit ihm. Er entschuldigte sich halbherzig für diese Videos, twitterte aber gleichzeitig eine Verschwörung des Wall Street Journals, das die Inhalte schärfstens verurteilt hatte, gegen sich.
«An die Neger (sic!) und an die verjudeten Medien, lest das! Ich denke, es ist wichtig für euch zu wissen, dass ich dies nicht alleine durchgezogen habe. Ich hatte die Hilfe von einem Mann namens Felix Arvid Ulf Kjellberg. Er war nett genug, die ganze Operation zu planen und zu bezahlen – der schlaue Bastard! Zufällig hasst Pewdiepie Juden genauso wie er Indianer hasst.»
Der nachfolgende Absatz, den er seinen Helden Robert Bowers (Terrorist des Anschlags auf die Pittsburgh Synagoge) und Brenton Tarrant (Terrorist des Anschlages auf die beiden Moscheen in Christchurch) widmet, liest sich als Leitfaden für den perfekt geplanten Terroranschlag.
Sein «Manifest» endet mit einem fiktiven Interview.
«Wer inspiriert dich? – Jesus Christus, der Apostel Paul, Martin Luther, Adolf Hitler, Robert Bowers, Brenton Tarrant, Ludwig van Beethoven, Moon Man und Punk Guy.
Wie lange spielst du schon Klavier? – Ununterbrochen seit ich vier Jahre alt war. Das war das, was ich am liebsten gemacht habe. Und jetzt ist es auch noch sehr wichtig für mich. Na ja, das Töten von Juden könnte daran etwas ändern. Ich komme später darauf zurück.
Was ist dein liebstes Klavierstück? – Scherzo No. 2 von Chopin, ganz sicher.»
John Earnest war, so wie seine Eltern und seine fünf Geschwister, Mitglied einer Orthodoxen Presbyterianischen Kirche, die sich dem liberaleren Zweig dieser Kirche zugeordnet. Eine Pastorin der Gemeinde sagte später: «Wir können nicht so tun, also ob wir keine Verantwortung für ihr haben würden – er wurde zu einem weissen Nationalisten aus der Mitte unserer Kirche heraus radikalisiert.» Dese Erkenntnis kam zu spät, auch der Vergleich zum radikalen islamischen Terror «…wenn wir alle moderaten muslimischen Gemeinden auffordern, diese Dinge zu verurteilen, dann sollten wir das gleiche tun.» Dass Rev. Zach Keele am Sonntag nach dem Terror bei seiner Ansprache an die Gemeinde kein Wort des Bedauerns fand, sondern nur auf die christliche Vergebung baute, spricht für sich.
Dass er darüber hinaus noch die Ritualmordlegende vom Simmerl von Trient zitierte, die das Ende der ehemals blühenden jüdischen Gemeinde von Trient markierte, spricht dafür, dass zumindest diese Gemeinde noch im Gedankengut der christlichen Kirchen des Mittelalters verhaftet ist.
Texte aus Johannes 8,44 «Ihr habt den Teufel zum Vater und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge.»und Offenbarung des Johannes 2,9 «Und ich weiß, dass du von solchen geschmäht wirst, die sich als Juden ausgeben; sie sind es aber nicht, sondern sind eine Synagoge des Satans.»und ebendort 3,9 «Leute aus der Synagoge des Satans, die sich als Juden ausgeben, es aber nicht sind, sondern Lügner – ich werde bewirken, dass sie kommen und sich dir zu Füßen werfen und erkennen, dass ich dir meine Liebe zugewandt habe.» werden heute nicht nur in den online Archiven dieser Gemeinde zur Verfügung gestellt, sondern immer noch in Sonntagspredigten zitiert. Am Tag nach dem Terrorakt lud Rev. Keele die Gemeinde ein nach dem Gottesdienst zu bleiben «wenn ihr es könnt», um nach einem erfrischenden Frühstück Fragen zu stellen und das Geschehene zu diskutieren.
Eine Ähnlichkeit mit der Wannseekonferenz drängt sich auf, die auf der Einladung als «Besprechung mit anschliessendem Frühstück» bezeichnet wird.
Ich kann nicht anhin, einen tendenziellen Antisemitismus in der Gemeinde festzustellen!
Die Eltern des Terroristen baten ihren Rechtsanwalt an ihrer Stelle eine Stellungnahme zu veröffentlichen. Vielleicht die einzig mögliche Art, als Eltern mit dem Grauen fertig zu werden, dass der eigene Sohn verursacht hat.
Nachdem die Eltern es ablehnten, eine Rechtsvertretung für ihn zu zahlen, wird er vor Gericht von einem Pflichtverteidiger vertreten. Während der Angeklagte mit unbewegtem Gesicht der ersten Anhörung folgte, bezeichnete seine Rechtsanwältin ihn in seinem Namen als «unschuldig».
Obwohl doch Kameras jeden Handgriff, jede Bewegung, jedes Stolpern, Fallen, Sterben aufgezeichnet haben.
Von Esther Scheiner
Esther Scheiner ist Journalistin und Redakteurin der Israel Nachrichten. Sie lebt und arbeitet in Israel und der Schweiz.
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