Eine Archivarin der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem macht Fotos und scannt sie in ihre mobile Datenbank ein, es ist das letzte Lebenszeichen das ein älteres Geschwisterpaar von ihrem längst verschollenen Vater hat – eine Postkarte aus dem Jahr 1943 von Samuel Akerman, die aus dem Deportationszug geworfen wurde, der ihn zu in das Todeslager Majdanek transportierte.
„Es ist das einzige, was wir von ihm haben“, sagte Rachel Zeiger, seine inzwischen 91-jährige Tochter. „Aber es soll nicht in der Familie bleiben. Es soll für die nächsten Generationen aufbewahrt werden“, fügte sie hinzu.
Da die Gemeinschaft der alternden Holocaust-Überlebenden rapide schrumpft und ihre lebenden Zeugnisse bald der Vergangenheit angehören, sind Bemühungen wie die Archivierung dieser Zeugnisse zum Vorreiter bei der Vorbereitung auf eine Welt ohne sie geworden.
Yad Vashem sammelte in den letzten Jahren im Rahmen des Programms „Sammeln der Fragmente“ etwa 250.000 Gegenstände von Überlebenden und ihren Familien, um sie für die Nachwelt zu speichern und online zu zeigen. In der Hoffnung, die Erinnerung an die 6 Millionen von den Nazis ermordeten Juden zu bewahren, wenn der letzte Überlebende gestorben ist.
Es wurden umfangreiche Video-Zeugnisse erstellt und sogar Hologramme produziert, um die beeindruckende Wirkung der Erinnerung eines Überlebenden, die seit Jahrzehnten zum Gedenken an den Holocaust gehört, wieder herzustellen.
Im Laufe der Zeit sind physische Verbindungen zum Holocaust und seinen Opfern, zu wertvollen Erinnerungs- und Beweismitteln gegen die wachsende Flut der Leugnung und Minimierung des Völkermords in der ganzen Welt geworden.
Zu Beginn des alljährlichen Holocaust-Gedenktages der mit dem Sonnenuntergang am Mittwoch in Israel begonnen hat, wird Yad Vashem den Grundstein für den neuen Campus des Shoah Heritage Collections Center legen – das zukünftige permanente Zuhause für 210 Millionen Dokumente, 500.000 Fotos, 131.000 Zeugnisse von Überlebenden, 32.400 Artefakten und 11.500 Kunstwerken, die sich auf den Holocaust beziehen. Am Donnerstag bietet das Yad Vashem dem Publikum einen seltenen Blick hinter die Kulissen seiner Erhaltungsarbeit mit Besichtigungen seiner Sammlung, seines Archivs und seines Digitalisierungslabors.
„Die deutschen Nazis waren nicht nur entschlossen das jüdische Volk zu vernichten, sie wollten auch ihre Identität, Erinnerung, Kultur und ihr Erbe auszulöschen“, sagte der Vorsitzende von Yad Vashem, Avner Shalev. „Indem wir diese wertvollen Gegenstände bewahren und sie der Öffentlichkeit zugänglich machen, werden sie als Stimme der Opfer und Überlebenden fungieren und als ewige Erinnerung dienen.“
Samuel Akermans letztes Schreiben an seine Familie, wird dem gesammelten Sortiment bald hinzugefügt:
„Mein Herz ist betrübt. Ich muss Euch leider mitteilen, dass ich zusammen mit 950 anderen Personen auf ein unbekanntes Ziel zusteuere“, schrieb er seinen beiden Kindern am 27. Februar 1943 in einer zitrigen Handschrift aus dem Waggon des Deportationstransport. „Ich kann es Euch vielleicht nicht noch einmal schreiben … betet zu G’tt, dass wir uns freudig wiedersehen werden. Gebt die Hoffnung nicht auf und ich bin sicher, dass G’tt uns helfen wird.“
Von Samuel Akerman, der davon träumte ins vorstaatliche Israel zu ziehen, wurde nie wieder etwas gehört.
Wahrscheinlich wurde die Postkarte aus dem Waggon geworfen und von einer unbekannten Person auf dem Boden liegend gefunden, denn sie wurde mit der Post an die Familie von Samuel Akermans jüngerem Bruder Moshe im besetzten Frankreich geschickt, die nach dem Einmarsch der Nazis aus ihrem Haus in Belgien geflohen waren. Nachdem der Vater deportiert worden war, überlebte der Rest der Familie – Mutter, Großmutter und die beiden Kinder – unter falschen, nichtjüdischen Identitäten.
Akermans Tochter, Rachel Zeiger, erinnert sich an eine Begebenheit, als ihre Deckung fast aufgeflogen war. Einmal kam die Gestapo in den frühen Morgenstunden an, um eine jüdische Familie zu ergreifen, die sich im Erdgeschoss des Gebäudes versteckte. Als die Nazis an ihre Tür im dritten Stock klopften, präsentierte eine jugendliche Zeiger ihre gefälschten Papiere in fließendem Französisch, um sie davon zu überzeugen, dass sie dort nichts zu suchen hatten.
„Ich habe mich in meinem Leben noch nie so gefühlt“, erinnert sie sich in ihrem urigen Haus in Ramat Gan, etwas außerhalb von Tel Aviv. „Ich musste mich übergeben, nachdem sie gegangen waren. Mein ganzer Körper zitterte vor Angst.“
Nach dem Krieg kehrten sie nach Antwerpen zurück und fanden ihre Heimat verwüstet vor. Sie warteten mehrere Jahre in der schwachen Hoffnung, dass ihr Vater irgendwann zurückkehren würde, bevor sie die Hoffnung aufgaben und nach Israel zogen.
Die Postkarte blieb über 75 Jahre lang ein Überbleibsel ihrer schmerzhaften Vergangenheit, bis Moshe Akerman von der Kampagne von Yad Vashem hörte, die nach persönlichen Gegenständen alternder Überlebender suchte.
„Meine Kinder sind froh, dass ich die Karte an Yad Vashem übergeben habe, damit dieses Zeugnis weiter existiert, weil Sie sonst nicht darüber sprechen“, sagte der 84-jährige Moshe Akerman. „Es ist ein kleines Zeugnis von dem was passiert ist, ein weiterer Tropfen in diesem Meer des Zeugnisses. Es enthält nichts Neues. Die Fakten sind bekannt. Was passiert ist, ist passiert und dies ist ein weiterer kleiner Beweis dafür.“
Neben der Zusammenstellung der Transporte und die Verschickung der Juden in Vernichtungslager konfiszierten die Nazis und ihre Mitarbeiter ihre Besitztümer, stahlen ihre Wertgegenstände und ließen nur wenig übrig. Die Überlebenden hatten oft nur ein oder zwei kleine Gegenstände, die sie behalten konnten. Viele haben sich seitdem an den sentimentalen Objekten festgehalten.
Da die nächste Generation jedoch oft nur wenig Interesse an der Pflege der Gegenstände zeigte und ihre Möglichkeiten, sie richtig zu erhalten begrenzt sind, lancierte Yad Vashem 2011 die Aktion „Sammeln der Fragmente“, um möglichst viele Artefakte zu sammeln, bevor die Überlebenden und ihre Geschichten für immer verschwunden sind. Anstatt sie in im Museum auszustellen, lagert Yad Vashem die meisten Gegenstände in einer spezialisierten Einrichtung und lädt Repliken online hoch, um eine weitaus größere globale Reichweite zu erreichen.
„Diese Artikel ergänzen unser Material und helfen uns, das Puzzle der Opfergeschichten zu vollenden“, erklärte Orit Noiman, Leiter des Sammel- und Registrierungszentrums von Yad Vashem. „Der persönliche Gegenstand wird Teil des kollektiven nationalen Gedächtnisses. Noch bevor die Überlebenden uns für immer verlassen, können wir diese Gegenstände der Öffentlichkeit zugänglich machen.“
Weitere Informationen erhalten Sie auf der Webseite von Yad Vashem…
Von Dr. Dean Grunwald
Herausgeber und Chefredakteur der Israel-Nachrichten.
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