Robert Kempner war einer der berühmtesten Ankläger in den Verhandlungen von Kriegsverbrechern in Nürnberg. Als er mit der US-Army nach Deutschland zurückkehrte, – als hochrangiger jüdischer Jurist war er im Jahre 1935 aus Nazi-Deutschland geflohen -, besuchter er seine ehemalige Sekretärin Emmy Hoechtl in Berlin. Während der Zeit des „Dritten Reiches“ hatte sie – auch im Krieg – im Reichssicherheitshauptamt für Arthur Nebe gearbeitet, den Reichskriminaldirektor und Kommandeur der „Einsatzgruppe B“. Sie half Kempner dabei, in den deutschen Akten die belastenen Dokumente zu finden, und leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Verfolgung und Verurteilung ihrer ehemaligen deutschen „Volksgenossen“. Doch als sie im Jahre 1961 im Zuge der westdeutschen Ermittlungen zum Einsatz der Vergasungsautos im Osten befragt wurde, behauptete sie vehement, sie könne sich im Hinblick auf die Verbrechen oder das kriminelle Tun ihrer Vorgesetzten an nichts, aber auch rein gar nichts erinnern.
Robert Kempner arbeitete zusammen mit seiner Gattin Ruth auch an einer offiziellen Untersuchung zu „den Frauen im nationalsozialistischen Deutschland“. Diese spezielle Studie war von der amerikanischen Regierung in Auftrag gegeben worden, um bei der Entnazifizierung deutscher Frauen über eine Informationsquelle zu verfügen. Die Kempners ließen die amerikanischen Besatzer in Westdeutschland wissen, dass deutsche Frauen fanatische Anhängerinnen der Nazi-Bewegung seien, sie seien in alle Aspekte der Regierungstätigkeit eingebunden gewesen und hätten sogar eigene Polizeieinheiten gebildet, welche die Marktplätze im Reich überwachten und für die Verteilung von Hilfsrationen sorgten.
Ihren Schätzungen zufolge waren waren sieben Millionen deutsche Frauen und Mädchen nationalsozialistisch indoktriniert worden; – 16 Millionen waren von der Reichsarbeitsfront mobilisiert worden. Die Studie teilte die deutschen Frauen in verschiedene Kategorien ein, die sich daran orientierten, in welchem Maße die Frauen „eine öffentliche Gefahr“ darstellten, und kam zu dem Ergebnis, dass rund 600.000 von ihnen noch immer gefährlich seien, da sie in politischen Führungspositionen aktiv tätig gewesen waren und andere indoktriniert hatten. Die Kempners empfahlen den US-Behörden, den Bildungs- und Verwaltungsapparat des deutschen Staates, der von Nationalsozialistinnen durchsetzt gewesen war, gründlich zu säubern und neu zu strukturieren.
Diese enorme ideologische Transformation erforderte, so glaubten die Kempners, ein großes Maß an Geduld und angesichts der „Grenzen ihres (der Frauen) Persönlichkeitsspielraums“ dürfe man sich keine Illusionen machen. Deutsche Frauen gehörten in der Tat zu den äußerst aktiven Unterstützerinnen des „Dritten Reiches“, wie die Familie Kempner schon früh erkannte, und im Laufe der Zeit wurde deutlich, dass mehr von ihnen in die Verbrechen des Nazi-Regimes verstrickt waren, als die Ankläger von Nürnberg und in den sogenannten Spruchkammern wussten oder wahrhaben wollten. Statt dessen gab man sich nach wie vor Illusionen über das Verhalten von Täterinnen hin und rätselte über ihre Motive.
Will man die Un-Tiefen individueller Motive ausloten, bedarf es mehr als nur der Rekonstruktion einer Biographie oder eines Schauplatzes von Kriegsverbrechen. Die „Erinnerungen“ der Frauen, die in den besetzten Ostgebieten gelebt hatten und von den Vernehmungsbeamten nach Ende des Zweiten Weltkrieges dazu gedrängt wurden, von ihren „Erfahrungen“ zu berichten, oder sich später darüber Gedanken machen sollten, gab Aufschluss über ihre Motive, waren aber alles andere als transparent..! Zwar hatten nicht alle deutschen Frauen mit Absicht getäuscht, aber die Selbstdarstellung in diesen „Erinnerungen“ und Aussagen richteten sich an ein Publikum, seien es Untersuchungsbeamte, eifrige Staatsanwälte, unterstützende Angehörige der Familie oder andere neugierige Personen.
Naturgemäß neigen Selbstdarstellungen zu Übertreibungen und Irreführung, zur Selbstglorifizierung und Verharmlosung. Beschämende oder ungesetzliche Taten, Indiskretionen, peinliche Fehler, Beziehungen, die man später bereut hatte und negative Empfindungen wie Hass wurden – wie üblich – beschönigt oder ganz weggelassen.
Die „Erinnerungen“ von Krankenschwestern, die einen großen Teil im Reich der Nazis ausmachten, enthielten wertvolle Informationen über „weibliche Erfahrungen im Krieg“, aber sie konnten auch irreführend sein.
Wie es weitergeht erfährt die Leserschaft der Israel Nachrichten in der nächsten Ausgabe.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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