Der sogenannte „Auschwitz-Prozess“ begann Ende des Jahres 1963 in Frankfurt/Main. Es war der Versuch, juristisch zu erfassen, was da einige SS-Schergen mit Fleiß, Bereitschaft zur Leistung und Erreichung des „Ziels“ in den Konzentrationslagern „vollbracht“ hatten.
Ausführlich und Tag für Tag berichtete die Westdeutsche Presse über viele Monate darüber, Literaten besuchten das sich zäh dahinfließende Verfahren und schrieben darüber. Auch Radio- und Fernsehsendungen befassten sich damit. Nicht lange nach dem „Eichmann-Prozess“, der in Jerusalem stattfand, wurde ein zweites Mal ausführlich versucht aufzuklären, wie die „Endlösung der Judenfrage“ in ihren mörderischen Einzelheiten vonstatten ging. Dieses Mal jedoch im Land der Täter..; – und das reichlich spät.
Die damals erscheinende „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) gab ihrem Kommentar zum Auftakt die Schlagzeile: „22 Höllenknechte aus der 6000-Mann-Besatzung von Auschwitz stehen vor Gericht!“ Aber auch das, was darunter im Text folgte, bezeichnet die damalige Stimmung: „Eine böse Last, diese Prozesse. Sie werden im Ausland alte Hassgefühle auflodern lassen, während man im Inland weiterhin der nicht endend wollenden Gegenüberstellung mit einer inzwischen für die Unkundigen sichtbar gewordenen Vergangenheit müde ist.“ Dass dieser Prozess überhaupt stattfinden konnte, 18 Jahre nach dem großen Morden in Auschwitz, daran hatte die deutsche Justiz wohl am wenigsten Anteil.
Es waren Überlebende aus der Mordfabrik Auschwitz, die auf Ermittlungen dieses „Falles“ drängten, und es war hauptsächlich das Verdienst des in Hessen tätigem Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, – 1903-1968 -, der dafür sorgte, dass nach vier Jahren akribischer Vorarbeit und der Überwindung vieler Widerstände – auch aus Justizkreisen – die Hauptverhandlung beginnen konnte. Allein diese dauerte zwanzig Monate (!), und es war der größte Strafprozess in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Unter den 22 Angeklagten, die in Auschwitz „gewissenhaft ihren Dienst versahen“, waren drei Ärzte und ein Apotheker. All diese Personen hatten nach 1945 wie ganz normale Durchschnittsbürger gelebt und gearbeitet.
360 Zeugen wurden vernommen, die größte Zahl unter ihnen waren Überlebende der Todesfabrik Auschwitz, in der die Deutsche Soldateska auf ihrem frisch eroberten Gebiet die „Endlösung der Judenfrage“ mit großer Effizienz vorantrieben. Auschwitz gehörte zu jenen „Provinzen“, die nach der Zerschlagung Polens direkt ins „Dritte Reich“ eingegliedert wurden; und nicht, wie manch ein „Historiker“ behauptete und niederschrieb: Irgendwo auf südpolnischem Boden, und die eigentlichen Holocaust-Zentren hätten die Nazis ohnehin mit Absicht ins ferne Ausland verlegt, vorzugsweise irgendwo im „Osten“. Die jetzt vor Gericht stehenden ehemaligen SS-Angehörigen bestritten alle die gegen sie vorgebrachten Vorwürfe. Sie räumten jedoch ein, dass dort, wo sie waren, die Juden systematisch wie am Fließband getötet wurden, aber sie hätten damit nichts zu tun gehabt.
Über die im Jahre 1965 verhängten Strafen wurde in der breiten Öffentlichkeit viel diskutiert, neun der Angeklagten, denen individuelle Morde nachgewiesen werden konnten, bekamen lebenslänglich, die anderen kamen mehr als glimpflich davon. Ihnen konzedierte das Schwurgericht, dessen Vorsitzender Hans Hofmeyer, der im Jahre 1944 Oberstabs-Richter im Range eines Majors an einem Nationalsozialistischen Militärgericht war, lediglich als „Gehilfen“ (!!!) bei der Ermordung von -geschätzt- einer Million Juden und zahllosen Menschen aus anderen Volksgruppen mitgewirkt zu haben, „ohne eigenen Antrieb, nur den Befehlen von oben gehorchend.“
An dieser Stelle muss angeführt werden, dass nach 1945 nicht ein Angehöriger der deutschen Justiz belangt wurde; – alle kehrten sie in ihre „alten Berufe“ zurück.
Es wurde aber auch offenbar, dass das Interesse an dem Prozess in der veröffentlichten Meinung größer als in der breiten Masse war. Bei einer repräsentativen Umfrage im Jahre 1965 gab fast die Hälfte der Befragten an, mit dem Namen Auschwitz nichts anfangen zu können. Auch nach den zahlreichen Berichten zum Prozess hielten die meisten Deutschen in Ost und West an ihrer Meinung fest, dass die Verbrechen des „Dritten Reiches“ Hitler und einigen wenigen Nazi-Funktionären sowie einer kleinen Schar von „Helfern“ anzulasten seien. Während gegen die 22 Männer der Prozess in Frankfurt gegen das „Betreiber-Team“ vonstatten ging, feierten im Jahre 1964 ein „Hitler-Jahr“.
Gründe dafür gab es etliche: Neben dem sich langsam vollziehenden Generationswechsel in den Zeitungs-, Radio- und Fernsehredaktionen, den Diskussionen um den „Auschwitz-Prozess“, den bevorstehenden Bundestag-Verjährungs-Debatten über die Verbrechen der Nazis, der übliche Kalender-Journalismus – Hitlers 75. Geburtstag und der 25. Jahrestag des Weltkriegbeginns. Hatte man zu Anfang der 1950-er-Jahre in der Hauptsache nach dem Motto: „Blick durch das Schlüsselloch“ die Neugier der Leserschaft bedient, sollten jetzt auch den politischen Dimensionen der Figur im Zentrum der „deutschen Erblast“ nachgegangen werden. Doch dem stand indessen in aller Regel der eingeschränkte Blickwinkel entgegen, der die Deutschen als „erste Oper des Nazi-Terrors“ wahrnahm.
Fast alle damals erscheinenden Zeitschriften machten ihren Diener vor Adolf Hitler, indem sie ihm geballte Aufmerksamkeit schenkten. Parallel dazu fand im rechtsradikalen Lager eine Umgruppierung statt: Die DRP – Deutsche Reichs Partei – löste sich auf, die NPD – Nationaldemokratische Partei Deutschlands – wurde gegründet. Ihre zahlreichen Mitglieder wagten es zwar nicht, sich ausdrücklich auf Adolf Hitler zu berufen, aber es sammelten sich in ihr doch vornehmlich diejenigen, die vieles vermissten, was sie im „Dritten Reich“ immer noch bewunderten..! Dazu stießen „National-Liberale“, die den Kurs der Freien Demokratischen Partei -FDP- auf dem Weg in die Mitte der Politik nicht mitmachen wollten.
Und in den darauf folgenden Jahren kam die neue Partei, die sich „NPD“ nannte auch bei den Wahlen zu bemerkenswerten Stimmen-Anteilen. In der Illustrierten mit dem Namen „Quick“ erschien eine Serie über „den Menschen, der Adolf Hitler hieß“, die sich über sechs Monate erstreckte und den „Fall“ von vorne aufrollte. In einem anderen Blatt stand der „Führer“ während des Krieges im Mittelpunkt; – dort erfuhren interessierte Leser eine Unmenge von Dingen, die sie angeblich schon immer wissen wollten: „Adolf Hitler hatte seine knallblauen Augen so in der Gewalt, dass er sie im Scherz zum Schielen zu bringen vermochte…Hitler war sehr sauber und wusch sich oft die Hände…Hitler brachte es nie zur Eleganz…Zugute kam Hitler sein geringes Schlafbedürfnis…Aberglauben war ihm fremd…Hitler wollte es nicht besser haben, als der Soldat an der Front. Da er Nichtraucher war, Kaffee mied, alkoholische Getränke ablehnte und nur von rein vegetarischer Kost lebte, konnte er in jeder Hinsicht jedem „Landser“ in die Augen schauen…Sport liebte er nicht…das Wandern war seine einzige körperliche Tätigkeit.
Autor dieses geschwätzigen Portraits, aus dem die kennzeichnenden Zitate stammen, war der aus Göttingen stammende Geschichtsprofessor Percy Ernst Schramm – 1894 bis 1970. Diese wenigen angeführten Zitate waren nur die ellenlange Einführung in eine Neuauflage der „Tischgespräche Hitlers in den Jahren 1942/43“. Die Zeitschrift „Der Spiegel“ präsentierte sie, reich bebildert, in fünf Folgen als Serie. Der Text ist ein Zeitdokument von hoher Aussagekraft, weniger für die Zeit des „Dritten Reiches“ viel mehr für das Bilderbürgertums in der Mitte der 1960-er-Jahre und wie einer seiner herausragenden Repräsentanten mit der unrühmlichen deutschen Vergangenheit umgeht, auch mit der eigenen. War Hitler ein Besserwisser und Autodidakt, so muss man Schramm als studierten „Schmock“ beschreiben. Wie für viele andere Historiker war auch für Schramm Hitler der allein Schuldige – ein Dämon, dessen Verführungskünsten die Deutschen leider erlegen seien.
Schramm selbst jedoch hielt viele Vorlesungen zur Militärgeschichte des Zweiten Weltkrieges, die Verbrechen der Wehrmacht jedoch sparte er immer aus..! Er gab auch das „Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht“ in mehreren Ausgaben heraus, und hat, wie später festgestellt wurde, weggelassen und „herausgesiebt“, was ein schlechtes Licht auf die Wehrmacht, bzw. das Heer hätte werfen können. Genau so hielt es dieser „Professor“ auch bei seinen Vorträgen und Vorlesungen in den Folgejahren nach 1945.
Wie es weitergeht erfährt die Leserschaft der Israel Nachrichten in der nächsten Ausgabe.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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