Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges lief ein Mammutprogramm der Alliierten an, das man als „Entnazifizierung“ bezeichnete, und ebenso groß war die Empörung darüber. Das Ziel war: „Entfernung der Nationalsozialisten aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen“; – sie sollten im öffentlichen Leben keine Rolle mehr spielen dürfen. In der von den Sowjets kontrollierten „Ostzone“, wo die russischen Besatzer auch politische Gegner ins Zuchthaus beförderten, die mit dem Hitler-Regime nichts zutun hatten, wurden die Bestimmungen vergleichsweise streng gehandhabt, hingegen in Westdeutschland wurde das ursprüngliche Ziel weit verfehlt.
Historiker gehen davon aus, dass die Entnazifizierung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zerbrochenen Anti-Hitler-Allianz, in der Praxis einer „Rehabilitation der großen Masse der Nationalsozialisten“ gleichkam. Wirft man in diesem Zusammenhang einen Blick auf die erste im Jahre 1950 frei gewählte Landesregierung in Schleswig Holstein mit dem CDU-Ministerpräsidenten Walter Bartram an der Spitze, kam das Schlagwort der „Renazifizierung“ auf: Nur ein Abgeordneter saß im Kabinett, der nicht vorher in der NSDAP mitgewirkt hatte. In den anderen Bundesländern, in den Bundesministerien und den Verwaltungsämtern war es im Prinzip nicht viel anders..! In der damaligen Nachkriegszeit war das nichts besonderes; – es gehörte zum „Allgemeinwissen.“
In den alliierten Besatzungszonen des westlichen Teils Deutschlands war vielerorts zu hören, dass die ganze Prozedur – mit den Fragebögen, den Spruchkammern, den fünf Einstufungen als „Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer, Entlastete“ – eine nationale Diffamierung darstelle. Einen „Seelenmord“ an den Deutschen nannte es der damals schon dem Volk aufs Maul schauende Theologieprofessor Thielicke in seiner Stuttgarter Predigt am Karfreitag 1947: „Wer so etwas unterstützt ist nichts weiter als ein Büttel.“
Das bittere Klagen über „Sieger Terror“ und „Nazi-Schnüffelei“ war in den Leitartikeln der westdeutschen Presse noch nicht verklungen, als sich die neuen Verhältnisse zu ordnen begannen.Ein Punkt war den Westdeutschen sowie den Ostdeutschen wohl vollkommen klar: Hitler kommt wohl doch nicht wieder.
Das Bündnis gegen ihn war nach dem gemeinsamen Sieg über das Nazi-Regime schnell auseinander gefallen. Ost und West standen sich zunehmend feindselig gegenüber; – und eben dort, wo die Weltmächte in Europa direkt aufeinander trafen, entstanden aus den „Vier-Zonen-Gebieten“ der Besatzungsmächte und dem, was von dem in Trümmern liegenden „Großdeutschland“ übrig geblieben war, zwei neue deutsche Staaten, beide auf jeweils spezielle Weise „betreut“ von ihren „Schutzmächten“. In der sogenannten Ostzone nahm die DDR den Antifaschismus für sich in Beschlag. An der Regierung waren die Kommunisten von der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED), bewacht von den Truppen aus Sowjetrussland, die sie den „Großen Bruder“ nannten.
In den Amtsstuben, in denen einst das Bild des „Führers“ hing, befand sich nun, neben dem bild von Josef Stalin, das von Walter Ulbricht, dem SED-Chef, oder das von Wilhelm Pieck, dem Präsidenten. In der Verfassung stand die Sentenz von Stalin nicht, sie wurde dennoch häufig zitiert: „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk bleibt bestehen!“ An dem Siegesbewusstsein der Antifaschistn in der DDR, das die regierenden Kommunisten kultivierten, sollten aber auch die „Mitläufer“ teilhaben, denn sie wurden gebraucht..! Die Parole hieß, so war das später bei dem abtrünnigen Schriftsteller Wolfgang Leonhard zu lesen: „Es lebe die SED, der große Freund der kleinen Nazis.“
Alle, die bereit waren, beim Aufbau des „Arbeiter- und Bauernstaates“ mitzumachen, wurden „umgepolt“. Hitler blieb der „Agent des Großkapitals“.In Westdeutschland gab sich die Bundesrepublik, die sich als Rechtsnachfolgerin des „Dritten Reiches“ begriff, ein „Grundgesetz“, das die schlechten Erfahrungen mit der Verfassung von Weimar und der darauf folgenden Hitler-Diktatur verarbeitete, um alte Fehler nicht zu wiederholen. Hier bestimmte nun Konrad Adenauer die Richtlinien der Politik; – im Rahmen der Möglichkeiten, die ihm die drei restlichen Besatzungsmächte USA, England und Frankreich ließen. Seine Gegner warfen ihm Selbstherrlichkeit und Altersstarrsinn vor, einseitige Westorientierung und Desinteresse an einer eventuellen deutschen Wiedervereinigung.
In der Ära Adenauer gewöhnten sich die Westdeutschen das selektive Erinnern an: „Vergessen über die Vergangenheit zu decken“, forderte ein CDU-Abgeordneter am Rednerpult des ersten Bundestages, und meinte mit „Vergangenheit“ vor allem das Jahrtausend-Verbrechen, den staatlich organisierten Massenmord an den europäischen Juden. Dem pflichteten viele der Abgeordneten bei. In den späteren Jahren wurde diese nachkriegsdeutsche Eigenart des Verdrängens mit einem speziellen Etikett versehen: Der Unfähigkeit zu trauern.
Schnell kursierte die Meinung: Die intensive Abwehr von Schuld, Scham und Angst hat „die Unfähigkeit zur Trauer um den erlittenen Verlust des Führers“ hervorgerufen. Ergo führte Hitlers Tod bei den Deutschen zu einer „vernichtenden Erniedrigung ihres kollektiven Ich-Ideals“; also kein Zweifel: Vielen ist damals in der Tat der Tod Hitlers in die Knochen gefahren..! Ein herber, ein abrupter Verlust. Der „Übervater“ vom Erdboden verschluckt, angeblich „zur Hölle gefahren“; – keine Totenfeier, deren düsterer Pomp im politischen Staatstheater der Nazis stets ausgiebig zelebriert worden war. Ausgerechnet bei Adolf Hitler nun keine Paraden, keine Musikkapelle, kein fahnenbedeckter Sarg, keine „Leibstandarte, links, zwei, drei, vier: Wir sind die schwarze Garde, die unser Führer liebt.“
Es gab nicht einmal eine sterbliche Hülle, keine Gebeine, keine Überreste. Nichts war von ihm geblieben. Er, Adolf Hitler, binnen weniger Jahre zum großen „ES“ der deutschen Psyche aufgestiegen, fehlte an allen Ecken und Enden! Was das deutsche Volk erreichte, waren karge Vermeldungen in den Zeitungsresten, die es noch gab, frisierte Verlautbarungen der „Großdeutschen Wehrmacht“, aus dem Rundfunk Tonfetzen von Wagner und Bruckner und das „unsägliche Quasseln“ des Nachfolgers, Großadmiral Dönitz. „Gedenkfeiern“ wie die, zu der in Flensburg der Bürgermeister Einladungen aussprach, waren die große Ausnahme. Verbürgt ist jedoch, dass die Kreiszeitung „Zittauer Nachrichten“ in einem ehrenden Nachruf des größten Führers gedachte, den die Deutschen je hatten.
Also, von einem psychologisch korrekten Abschiednehmen konnte da nun wirklich nicht die Rede sein, denn in Deutschland herrschten die „Feinde“, die Städte lagen in Schutt und Asche, waren zerbombt, und Millionen von Flüchtlingen aus dem Osten suchten einen Unterschlupf. Mitten im Chaos, die deutschen „Volksgenossen“ ohne Führer; – eben noch ein Übermensch, nun ein toter Niemand, eben noch der gefeierte Messias und nun der Satan, verschunden im Nirgendwo.
Und wie es weitergeht erfährt die Leserschaft in der nächsten Ausgabe der Israel Nachrichten.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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