Die erste Massenmörderin im System der Nazis war nicht etwa die Aufseherin im Konzentrationslager sondern die Krankenschwester. Von allen Berufen, den die Frauen im „Dritten Reich“ ausübten, war dieser der tödlichste. Die von der Nazi-Führung geplanten Massentötungen begannen weder in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau noch mit den Massenerschießungen der Einsatzgruppen, sondern in den deutschen Krankenhäusern. Die ersten Tötungs-Methoden waren die Schlaftabletten, das Verhungern lassen und die Injektionsnadeln. Die ersten Opfer waren die Kinder. Während des Krieges verabreichten Krankenschwestern Tausenden von missgebildeten Kleinkindern und behinderten Jugendlichen eine Überdosis Barbiturate, setzten tödliche Morphiumspritzen oder verweigerten ihnen Essen und Trinken.
Alles das geschah im „Namen des Fortschritts“ und der „Gesundheit der Nation“.In deutschen Kreisen firmierte die sogenannte Eugenik auch als „Rassenhygiene“ und war insbesondere darauf ausgerichtet, die „arische“ Bevölkerung zu stärken. Das hoch geheime Programm, das unter dem Begriff Euthanasie oder Sterbehilfe kursierte, wurde von Hitler persönlich in Auftrag gegeben und unter dem Deckmantel des Krieges durchgeführt. Seit seinen Anfängen im Reich noch vor dem Überfall auf Polen gehörte zum „Euthanasie-Programm“ die Rekrutierung von Hebammen und von medizinischen Personal, von Ärzten ebenso wie Rot-Kreuz-Schwestern.
Diese Berufsgruppen sollten letztendlich im Reich, in der Ostmark (dem ehemaligen Österreich), sowie in den annektierten Grenzgebieten in Polen sowie Böhmen um Mähren mehr als 200.000 Menschen ermorden. Etwa 400 medizinische Einrichtungen sollten zu stationären Mordstätten der Rassenexamination und Rassenselektion werden, zu Orten grauenvoller Experimente, von Massensterilisierungen, von Verhungern und Vergiften. In den Wochen vor dem deutschen Überfall auf Polen verlangte das Reichsinnenministerium von Ärzten und Hebammen Berichte, in denen Neugeborene und Kinder unter drei Jahren mit schweren körperlichen und geistigen Behinderungen gemeldet wurden.
Die Mütter wurden dazu gedrängt, ihre „kranken Kinder“ sogenannten pädiatrischen Kliniken zu übergeben, die zu Abwicklungs- und Tötungszentren wuden. Bevor man das Programm auch auf Erwachsene ausdehnte, wurden im Reich und in der Ostmark 8.000 Kinder umgebracht! Die Massenerschießungen an polnischen Psychiatrie-Patienten begannen bereits im September 1939 in Konradstein. Und im Oktober desselben Jahres kam es zur bis dahin beispiellosen Massenvergasung von Patienten in der Anstalt von Treskau. Mobile SS- und Polizeieinheiten durchkämmten Polen und später das Baltikum, Weißrussland und die Ukraine und erschossen Tausende von Patienten in Anstalten und Hospitälern oder brachten sie in auf Lastkraftwagen montierten Gaskammern um.
Zu Hause im Reich tippte das weibliche Büropersonal der Anstalten in Grafeneck und Hadamar Todeslisten und kümmerte sich darum, dass den Familien der Opfer Urnen mit ganz gewöhnlicher Asche zugestellt wurden. Mit Billigung des „Führers“ entwickelten Mediziner und ihre technischen Experten eine neue Kompetenz in Sachen Genozid, die sie bei immer größeren Massenmordaktionen in den besetzten Ostgebieten zur Anwendung brachten. Ende des Jahres 1941 und zu Beginn des Jahres 1942 wurden Wissenschaftler, Ingenieure, „Krematoriums-Heizer“, Fahrer und medizinisches Personal nach Weißrussland und Polen versetzt, um dort stationäre Methoden zur Vergasung einzusetzen, die zunächst an sowjetischen Kriegsgefangenen erprobt worden waren und später gegen Juden in Sobibor, Treblinka und in Belzec, den Mordzentren der „Aktion Reinhardt“, benutzt wurden. Menschen wurden zu „Frachtgut“, zu Versuchszwecken missbraucht und schließlich zu Asche.
Auch der sogenannte „Gnadentod“ für deutsche Soldaten an der Ostfront kann als Teil dieser Massenmord-Operationen angesehen werden, wenn man der Aussage eines Angehörigen im Nachkriegsdeutschland in einer „hochgeheimen Aktion“ Glauben schenken kann. Es sollten ausgewählte Akteure des Euthanasieprogramms, die dem „Führer“ absolutes Stillschweigen gelobt hatten, zum Dienst im Osten abgeordnet und in Feldlazaretten in der Nähe von Minsk gebracht wurden, wo sie das Leid deutscher Soldaten „linderten.“
Im Dezember 1941 und Januar 1942 führte ein gewisser Viktor Brack, ein SS-Offizier, der sich im Nazi-Regime als Vergasungs- und Sterilisierungs-Experte einen Namen gemacht hatte, ein Team aus Ärzten, Krankenschwestern und Technikern auf „Ostmission“. Gut informierte Deutsche hegten damals schon den Verdacht, dass Teams von Medizinern schwer verwundete Soldaten mit bleibenden geistigen und körperlichen Schäden, die dem gescheiterten deutschen Angriff auf Moskau zum Opfer gefallen waren, von diesen Teams umgebracht wurden. Unter dem Deckmantel des Krieges im Osten konnte man diese Schwerstverletzten als in der „Schlacht Gefallene“ verbuchen, was ihnen den „Heldentod“ verschaffte, der von den Angehörigen zwar betrauert, aber nicht hinterfragt wurde!
Möglicherweise war es der ideologisch harte Kern der Schwesternschaft, also die „Braunen Schwestern“ der NSDAP, die solche Aktionen durchführten. Mit ihren Kitteln, gefüllt mit Morphium-Ampullen und Spritzen waren sie mit Sicherheit bestens ausgestattet, um schwer verwundeten und traumatisierten Soldaten den „Gnadentod“ zu geben. Bis in die heutige Zeit ist und bleibt dies ein Tabu-Thema.
Im Jahre 1942 wurde Hitlers chirurgischer Begleitarzt Karl Brandt, der das Euthanasieprogramm im Reich mit verantwortete, zum Generalkommissar für das Gesundheits- und Sanitätswesen befördert. In dieser Funktion sorgte er im Rahmen der „Aktion Brandt“ für eine Ausweitung der Tötung von Patienten. Das betraf vor allem Krankenhäuser und ähnliche Pflegeeinrichtungen, die für militärische Zwecke benötigt wurden. Bei Ende des Zweiten Weltkrieges gehörten zu den deutschen Euthanasieopfern, die aus Heil- und Pflegeanstalten in die Vergasungsstätten verlegt wurden, auch pflegebedürftige alte Menschen, Leute mit Nervenkrankheiten und anderen Verletzungen infolge der ständigen Luftangriffe der Alliierten sowie traumatisierte Soldaten.
Nachdem die Patienten in Heil- und Pflegeheimen in der Ukraine, in Weißrussland, in Polen und im Baltikum von mobilen Einheiten oder medizinischem Personal getötet worden waren, wurden diese Einrichtungen in der Regel von regionalen Behörden übernommen und zu Heimen für die Hitler-Jugend, Unterkünften für deutsche Soldaten, Klubs für SS-Offiziere und Übernachtungsräume für weibliches Personal umfunktioniert. Einige dieser leer geräumten Einrichtungen in Polen wurden jedoch für weitere Opfergruppen zum Töten umfunktioniert. Im Jahre 1942 organisierten Hitlers Euthanasiebeauftragte die Deportation von Patienten aus dem Reich in eine Anstalt in Meseritz-Obrawalde, einer kleinen Stadt an der deutsch-polnischen Grenze.
Zwischen 1942 und 1944 trafen dort – meistens im Schutze der Nacht – Transporte aus sechszehn deutschen Städten ein. Ende 1943 und Anfang 1944 kamen 407 Patienten aus Hamburg dort an; – 213 Männer, 189 Frauen und fünf Kinder. Nur wenige von ihnen überlebten und konnten später von ihrem Leiden berichten. Der Holocaust einschließlich des Euthanasieprogramms wurde vom Nazi-Regime, also vom Staat, betrieben. Das Morden wurde von Angestellten und „Vertragspartnern“ des „Dritten Reiches“ und den Organisationen der NSDAP organisiert und durchgeführt. Das alles fand in staatlich betriebenen Einrichtungen statt: in eigens errichteten Vernichtungszentren, in Konzentrationslagern und in Heil- und Pflegeanstalten.
Innerhalb dieser staatlichen Institutionen arbeiteten viele Frauen als Büroangestellte, Aufseherinnen und Wärterinnen, Polizistinnen, und man findet Krankenschwestern und Ärztinnen, die selbst mordeten..! Sieht man sich die Fälle von Mörderinnen an, so verschieben sich die Orte der verübten Verbrechen in den Bereich außerhalb der offiziellen Schauplätze von Terror und Inhaftierung: in das Umfeld der Lager, in den ländlichen Ghettos des Ostens, in die Haushalte von SS-Schergen, in die Gärten von Privathäusern und Anwesen, auf die Marktplätze und umliegenden Felder der Kleinstädte in Ost-Europa.
Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe der Israel Nachrichten.
Von Rolf von Ameln
Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.
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