Am 1. März übernahm Luxemburg in einer Zeit massiv steigendem Antisemitismus für ein Jahr den Vorsitz der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken – International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA).
Die „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) steht ab Mürz ein Jahr unter der Präsidentschaft des Großherzogtum Luxemburgs. Sie vereint Regierungen und Experten in der Bemühung, die Aufklärung über den Holocaust zu verbessern und das Gedenken an die Ermordung von 6.Mio. Juden im Zweiten Weltkrieg aufrecht zu erhalten. Die IHRA wurde 1998 vom früheren schwedischen Premierminister Göran Persson ins Leben gerufen. Ausschlaggebend für sein Engagement dürften die Ergebnisse einer schwedischen Meinungsumfrage unter Schülern gewesen sein, die eine Verbreitung von Zweifeln am Holocaust belegte.
Heute hat die IHRA 32 Mitgliedsländer- fast alle Mitglieder der EU, die USA, Kanada, Argentinien und Israel, zwei Partnerländer – Australien und Portugal – und acht Beobachterstaaten. Ende Januar 2000, im Jahr des 55. Gedenktags an die Befreiung des KZ Auschwitz gelang es Persson hochrangige Politiker, Spezialisten und Überlebende in Stockholm zu einem internationalen Holocaust-Forum zu versammeln, bei dem die „Stockholmer Deklaration“ das Grundgesetz der Allianz verabschiedet wurde. Darin verpflichteten sich die Teilnehmer unter anderem, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten und gegen Völkermord, ethnische Säuberungen, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit anzukämpfen.
Die IHRA unterhält ein Sekretariat in Berlin mit sechs Mitarbeitern. In vier Arbeitsgruppen: Akademische Forschung, Bildung, Gedenkstätten sowie Museen und Kommunikation, arbeitet das Sekretariat mit zahlreichen Spezialisten und Initiativen zusammen. Der Nobelpreisträger Elie Wiesel diente bis zu seinem Tode 2016 als Ehrenvorsitzender des Forums. Permanenten Beobachter-Status bei der IHRA haben der Europarat, die Vereinten Nationen, die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, die UNESCO, der Internationale Suchdienst, die Claims Conference sowie die OSZE mit ihrem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte. Auch die Europäische Union wurde am 29. November 2018 ständiger internationaler Partner der IHRA.
Die Ziele der Luxemburger IHRA-Präsidentschaft
Der ehemalige Luxemburger Botschafter in Berlin, Georges Santer, ist Chef der luxemburgischen Delegation bei der IHRA, ab dem 5. März ist er auch internationaler Präsident dieser Organisation sein. Zweimal im Laufe der Luxemburger Präsidentschaft werden sich die Arbeitsgruppen zu Vollversammlungen treffen, vom 3. bis 5. Juni in Bad Mondorf, wo rund 150 Teilnehmer erwartet werden, und im Dezember in der Stadt Luxemburg wo rund 350 Teilnehmer erwartet werden. Bad Mondorf spielte sowohl in der jüdischen Geschichte Luxemburgs ein wichtige Rolle, weil hier von 1933-1939 ein „Hachschara“ Schule zur Vorbereitung junger Zionisten auf Palästina bestand, und weil in Bad Mondorf am Ende des zweiten Weltkriegs 86 Nazi-Verbrecher, darunter Hermann Göring und Karl Dönitz im Palace Hotel interniert wurden, bevor ihr Prozess in Nürnberg begann. In Bad Mondorf fanden auch ein Teil der Verhandlungen zwischen der Adenauer Regierung und Israel statt, die 1952 zum „Luxemburger Abkommen“ über Entschädigungsleistungen Deutschlands an Israel führten.
Botschafter Santer erklärte in einem Interview mit der Luxemburger Zeitung JOURNAL, dass Luxemburg in einer Zeit des wachsenden Antisemitismus die Präsidentschaft der IHRA übernimmt stelle eine große Herausforderung an die Allianz und Luxemburg dar. Luxemburg hatte im letzten Jahr erstmals eine Antisemitismusstudie im eigenen Lande vorgestellt, in der 16 Fälle von Antisemitismus vor allem in den sozialen Netzwerken dokumentiert wurden. Die Luxemburger Kandidatur kam auf Wunsch von Premierminister Xavier Bettel zustande, der wünschte, dass Luxemburg auch auf internationaler Ebene Verantwortung übernimmt, was die Erinnerung an den Holocaust anbelangt. Xavier Bettel hatte sich 2014, nach der Vorstellung eines historischen Gutachtens, für die Mitverantwortung Luxemburgs an der Shoah entschuldigt und 2018 in der Stadt Luxemburg ein damals in Auftrag gegebenes Denkmal für die Opfer der Shoah eingeweiht. Luxemburg ist seit 2003 Mitglied der IHRA, es hat den Vorsitz von Italien übernommen und wird ihn in einem Jahr an Deutschland weitergeben. Xavier Bettel gehört der Demokratischen Partei an, deren Vorsitzende mit Corinne Cahen eine Jüdin ist. Sozialistische und grüne Mitglieder seiner Regierungskoalition sind jedoch durch eher pro-palästinensische Positionen aufgefallen.
Nach Bulgarien im November wird bei der Juni-Tagung in Bad Mondorf Australien als nächstes Mitglied aufgenommen werden. Die Luxemburger Präsidentschaft wird alles daran setzen, dass bei der Tagung in Luxemburg im Dezember auch Portugal die Ränge des IHRA vervollständigt. Zwei markante Ereignisse fallen in die Luxemburger Vorsitzzeit. Zum einen am 27. Januar 2020 der 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und der 20. Jahrestag der „Stockholmer Erklärung“. Nach Georges Santer hat die Luxemburger Präsidentschaft auch ein wichtiges internes Ziel, nämlich die Überarbeitung ihrer Stockholmer Erklärung, die nach 20 Jahren aktualisiert werden soll, um der heutigen Gesellschaft und ihren Problemen Rechnung zu tragen.Ziel ist es, angesichts steigendem Antisemitismus, besonders in den sozialen Netzwerken, die in der Erklärung erhaltenen Verpflichtungen zur Erinnerung mit einer neuen Dynamik zu versehen. Es geht auch darum, einen neuen Text auszuarbeiten, der die Stockholmer Erklärung ergänzen soll, um der nicht sehr positiven Entwicklung der letzten 20 Jahre Rechnung zu tragen. Die IHRA soll auch international sichtbarer gemacht machen.
Nach Meinung von Botschafter Santer nehmen nicht nur Antisemitismus, sondern Diskriminierungen allgemein insgesamt zu. Das habe mit einer Verunsicherung in der Gesellschaft zu tun, die nicht zuletzt durch wachsende soziale Ungleichheiten auseinanderdriftet. Es gebe echte und gefühlte Ängste und es wird nach Verantwortlichen dafür gesucht. Oft seien Minderheiten ein Ziel in einem negativen Klima, das von Nationalisten und Populisten noch weiter angeheizt wird. Die Aufgabe der IHRA wird es sein aufzuzeigen, zu welch schrecklichen Konsequenzen das führen kann. Deshalb sei die Erinnerung an den Holocaust gerade heute wichtig.
Botschafter Santer ist der Überzeugung, dass in einer Zeit, wo die Erlebnisgeneration fast ausgestorben ist vor allem den Schulen wichtige neue Aufgaben zukommen werden. Deshalb werden Ausstellungen, Filme, Seminare und Konferenzen die Luxemburger IHRA-Präsidentschaft begleiten. Die Luxemburger IHRA-Präsidentschaft möchte insbesondere den portugiesischen Diplomaten Aristides de Sousa Mendes (1885-1954) bekannt machen. Als portugiesischer Generalkonsul in Bordeaux konnte der „Portugiesische Schindler“ – entgegen den Instruktionen der Salazar-Regierung – 30.000 Verfolgte durch die Ausgabe von portugiesischen Visa vor den Nazi Schergen retten, darunter auch Mitglieder der Großherzoglichen Familie. 10.000 der Geretteten waren Juden, weshalb er einer der ersten war, die von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern anerkannt wurde. 500 der geretteten Juden waren Luxemburger, die von einem deutschen Wehrmachtsoffizier, Baron Franz von Hoiningen Huene (1888-1973), als Leiter der Luxemburger Passierscheinstelle Ausreisegenehmigungen erhalten hatten. Die Rolle dieses „Edelmannes mit edlem Charakters“, der auch Verbindungen zum Widerstand des 20. Juli 1944 hatte, ist zurzeit in Luxemburg Gegenstand intensiver historischer Forschungen.
Von Bodo Bost
Bodo Bost ist Journalist und freier Mitarbeiter der Israel-Nachrichten. Er berichtet über aktuelle Themen über Judentum und Israel in Europa, er lebt und arbeitet in Luxemburg.
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