ZUSAMMENFASSUNG: Der Antisemitismus, der für die europäische Kultur so wichtig ist, entwickelte sich über ein Jahrtausend in einem dominierenden feindseligen christlichen Umfeld. Dies stellte einen großen Teil der kulturellen Infrastruktur des Holocausts dar, der von Deutschen mit Hilfe vieler Verbündeter ausgeführt wurde. Während der Aufklärung und danach, drückten viele führende europäische Denker Hass auf Juden aus. In den letzten Jahrzehnten mutierte der Hass auf Juden, der in europäischen Gesellschaften gefunden wurde, teilweise in Anti-Israelismus, der auf den jüdischen Staat abzielt.
Zu sagen, dass Antisemitismus Teil der europäischen Kultur ist, macht einen in Europa nicht populär. Dies ändert sich nicht, auch wenn klargestellt wird, dass dies nicht dasselbe ist wie die Feststellung, dass die meisten Europäer Antisemiten sind.
Die Behauptung ist jedoch nicht schwer zu beweisen. Die europäische Kultur entwickelte sich in einem dominierenden, feindseligen christlichen Umfeld über mehr als ein Jahrtausend. Die Anstiftung gegen Juden ging ursprünglich von der katholischen Kirche aus. Später förderten mehrere protestantische Kirchen, einschließlich der Lutheraner, den Judenhass.
Wenn mächtige Institutionen und Eliten über einen sehr langen Zeitraum Hass fördern, dringt dieser Hass in die Kultur ein. In den 1960er Jahren analysierte der christliche Historiker und Geistliche James Parkes, den Konflikt zwischen Christen und Juden in den ersten acht Jahrhunderten der christlichen Ära. Zu dieser Zeit schloss er: „Es gab weit mehr Gründe für den Juden, den Christen zu hassen, als für den Christen, den Juden zu hassen – und dies allein aufgrund der Beweise aus christlichen Quellen.“
Parkes vertrat die Ansicht, dass das christlich-theologische Konzept der ersten drei Jahrhunderte die Grundlage für den Judenhass bildete, auf dem ein „schrecklicher Überbau“ errichtet wurde. Die ersten Steine dafür wurden „in dem Moment gelegt, in dem die Kirche die Macht dazu hatte, in der Gesetzgebung von Konstantin und seinen Nachfolgern.“ Parkes hatte die volle Verantwortung für den modernen Antisemitismus denjenigen zugeteilt, die den Boden vorbereitet und die Lügen glaubwürdig gemacht hatten.
Während der Aufklärung und danach, drückten viele führende europäische Denker Hass auf Juden aus. Voltaire, mehrere deutsche Philosophen, frühe französische Sozialisten, Karl Marx und viele andere nahmen an dem teil, was nur als antisemitischer Hass bezeichnet werden kann.
Der Holocaust wurde von deutschen Nazis mit Hilfe vieler Verbündeter ausgeführt. Er wurde durch die vorwiegend christliche Infrastruktur antisemitischer Gefühle in Europa erleichtert, die sich über Jahrhunderte angesammelt hatten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg glaubten viele, der Holocaust habe den Europäern eine schwere Lektion erteilt. Der Antisemitismus schien nachzulassen, insbesondere nachdem mehrere hochgelobte Film- und Fernsehproduktionen – darunter die NBCs Serie Holocaust aus dem Jahr 1973 und Steven Spielbergs Schindlers Liste von 1993 – ein großes Publikum erreichten. Ein anderes Beispiel war Claude Lanzmanns mächtiger Dokumentarfilm Shoah, von 1985.
Der klassische Antisemitismus gegen Juden besteht jedoch weiterhin. Umfragen der Anti-Defamation League (ADL) haben gezeigt, dass der böse Mythos, dass Juden für den Tod Jesu verantwortlich sind, in Europa lebt und gesund ist. Es wurde festgestellt, dass 46% der Polen, 38% der Ungarn, 21% der Dänen und Spanier und 19% der Norweger und Belgier dies glauben. Sowie 18% der Österreicher und Engländer, 16% der Niederländer, 15% der Italiener und 14% der Deutschen.
Sobald ein Glaube in einer Kultur so tief verwurzelt ist, dauert es sehr lange, ihn auszuspülen. Anstatt zu verschwinden, ändert er seine Form.
Der klassische Antisemitismus richtete sich anfangs als Religion auf Juden und später auf nationaler/ethnischer Ebene als Volk. In den letzten Jahrzehnten hat die politische Korrektheit es jedoch unmöglich gemacht, dass „respektable Europäer“ sich selbst als Antisemiten definieren.
So mutierte der Hass. Eine dritte große Generation des Antisemitismus hat sich entwickelt: Anti-Israelismus, der auf den jüdischen Staat abzielt. Die Einschnitte in Europa wurden durch eine Studie der Deutschen Universität Bielefeld aus dem Jahr 2011 belegt. Aus dieser Studie ging hervor, dass mindestens 150 Millionen erwachsene EU-Bürger der Aussage zustimmten, dass Israel „einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“ führt.
Wäre dies tatsächlich der Fall, würden kaum noch Palästinenser leben. Im Gegenteil, die Zahl der Palästinenser hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Der anhaltende Mythos, dass Juden für das Töten von Jesus verantwortlich sind, hat sich teilweise zu einem neuen Mythos mutiert: Israel führt einen Völkermord an den Palästinensern durch.
In einer weiteren neuen Mutation des Antisemitismus wird den europäischen Juden jetzt vorgeworfen, sie seien für das Vorgehen Israels verantwortlich. Eine im Dezember 2018 durchgeführte Studie der Agentur für Grundrechte (FRA) zeigte, dass diese Idee in vielen europäischen Ländern zu den häufigsten Ausdrucksformen des Antisemitismus zählt. Ein weiterer Aspekt des Antisemitismus in Europa ist die Rückkehr des Wortes „Jude“ – ohne Adjektiv – als Schimpfwort. Es wird auch häufig von Nichtjuden gegen andere Nichtjuden gebraucht.
Es gibt auch Beispiele für echte und fiktive jüdische Charaktere, die in europäischen Subkulturen zu negativen Symbolen geworden sind. Der Name Rothschild ist zu einem Symbol geworden, um den destruktiven Kapitalismus anzuprangern. Shakespeares boshafter Shylock im Kaufmann von Venedig, wird immer noch als Symbol für jüdische Gier verwendet.
Die Art und Weise, wie tief verwurzelter Antisemitismus sich manifestiert, variiert nicht nur von Subkultur zu Subkultur, sondern auch von Land zu Land. Im Januar 2014 fand eine Massenkundgebung in Paris statt. Dieser „Tag des Zorns“ hatte keinen Bezug zu einem bestimmten jüdischen Thema, und ein Teil des Protestes war gegen die Wirtschaftspläne des französischen Präsidenten François Hollande gerichtet. Verschiedene Teilnehmergruppen begannen jedoch, antisemitische Parolen zu rufen. Dazu gehörten „Juden, Frankreich gehört nicht Euch“ und [der Holocaust-Leugner] „Faurisson hat recht“ sowie „der Holocaust war ein Scherz“.
Dasselbe ist kürzlich bei den Demonstrationen der „Gelben Westen“ geschehen. Dies ist angeblich ein Protest gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron – ein Thema, das nichts mit Juden zu tun hat. Während einiger Demonstrationen gab es Schilder, die Macron als „Hure der Juden“ und als „Marionette“ bezeichneten.
Der spätere führende akademische Historiker des Antisemitismus, Robert Wistrich, sagte: Der Antisemitismus in Großbritannien besteht seit fast tausend Jahren aufgezeichneter Geschichte. Das mittelalterliche England kannte bereits Antisemitismus. Im Mittelalter war England der Pionier der Blutverleumdung. Der Fall Norwich im Jahr 1144 war das erste Mal, dass Juden beschuldigt wurden, das Blut christlicher Kinder für das Passah-Fladenbrot (Matza) verwendet zu haben.
Im zwölften Jahrhundert war das mittelalterliche Großbritannien eine verfolgende katholische Gesellschaft, besonders wenn es um Juden ging. In diesem Umfeld war die englische Kirche führend bei der Einführung grausamer Gesetze und diskriminierender Verhaltensweisen gegenüber Juden, die im europäischen Ausland ihresgleichen suchten.
Wistrich widmete in seinem Buch A Lethal Obsession, ein ganzes Kapitel der Entwicklung des britischen Antisemitismus im Laufe der Jahrhunderte, bis hin zum zeitgenössischen Antisemitismus.
Der staatliche Antisemitismus gegen Juden ist in der Europäischen Union marginal geworden. Wenn man die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) anwendet, begehen jedoch sowohl die EU als auch viele ihrer Mitgliedsländer antisemitische Handlungen. Eine der häufigsten Aktionen des staatlichen Antisemitismus ist das Abstimmen der anti-israelischen Resolutionen bei der UNO, einer Brutstätte der anti-israelischen Diskriminierung. In diesem Gremium werden vergleichbar zu Israel, keine vergleichbaren Beschlüsse gegen andere Länder gefasst.
Trotzdem weisen kaum nichtjüdische Persönlichkeiten darauf hin, dass Antisemitismus Teil der europäischen Kultur ist. Eine der wenigen Stimmen dieser Art ist der Leiter der anglikanischen Kirche, der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby. Er hat gesagt, der Antisemitismus sei in der britischen Kultur verankert.
Bei einem Besuch in Yad Vashem bemerkte Welby 2017: „In der europäischen Kultur liegt die Wurzel allen Rassismus und Antisemitismus. In Europa geht sie mehr als 1.000 Jahre zurück. In unserer christlichen Tradition gab es Jahrhunderte über Jahrhunderte dieser schrecklichen Hassgefühle, in denen das jüdische Volk … gezielter, heftiger, entschlossener und systematischer gehasst wird als jedes andere Volk.
Von Dr. Manfred Gerstenfeld (BESA)
Dr. Manfred Gerstenfeld ist Senior Research Associate am BESA Center und ehemaliger Vorsitzender des Lenkungsausschusses des Jerusalem Center for Public Affairs. Er ist auf israelisch-westeuropäische Beziehungen, Antisemitismus und Antizionismus spezialisiert und Autor des Buches „Krieg der Millionen Schnitte“
BESA Center Perspectives Paper No. 1,075, January 28, 2019
Begin-Sadat Center for Strategic Studies
Bar-Ilan University, Ramat Gan, Israel
Übersetzung: Dr. Dean Grunwald
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