Am 4. Juni 1942 begann die Eröffnungsschlacht bei Midway in den Vormittagsstunden; doch bis zum Ende vergingen vier Tage. Zwischen 10:25 und 10:30 Uhr dieses schicksalhaften Tages, in einem außerordentlich geringen Zeitraum also, wurden drei Flugzeugträger der Kaiserlich Japanischen Marine samt ihren Flugzeugen in qualmendes Treibgut verwandelt. Aber diese gigantischen Opfer verkörperten auch die Kraft des japanischen Volkes, den Höhepunkt eines heroischen Bemühens, in die Reihe der führenden Weltmächte aufzusteigen. In diesen fünf explosiven Minuten wurde Japans Ansehen in der Welt, um das es von Tsushima bis Singapore, Manila und Burma emsig bemüht gewesen war, zerschlagen; dennoch musste Japan noch drei weitere Jahre lang Niederlagen und zum Schluss die mörderischen Schrecken der zwei Atombomben über sich ergehen lassen, ehe es sich mit diesen Tatsachen abfand.
Das Kriegsglück, das die USA schon immer begünstigt hatte, war ihnen an diesem 4. Juni 1942 besonders gewogen. Admiral Spruance traf vor Midway drei Entscheidungen von historischem Ausmaß. Dieser scheue, zurückhaltende Offizier, der weder aus einer besonderen amerikanischen Familie stammte noch über eine besondere Ausbildung verfügte, zeigte im Gewirr der Schlacht eine erstaunliche Fähigkeit zu denken und zu handeln. Nach Midway errang er noch viele Siege, bei denen er weit größere Flottenverbände befehligte, doch für die Geschichte wird er immer der Sieger von Midway sein. Seine erste wichtige Entscheidung war, alle Flugzeuge der „Hornet“ un der „Enterprise“ um sieben Uhr morgens in großer Entfernung vom Gegner starten zu lassen, um den ersten Überraschungsschlag zu führen. Dieses Risiko war jedoch außerordentlich groß, denn einige seiner Staffeln konnten die Japaner einfach nicht finden.
Fast der Hälfte seiner Maschinen ging der Treibstoff aus; sie landeten im Meer, kehrten mit ihrer Bombenlast zurück oder flogen, ohne überhaupt einen Schuss abgefeuert zu haben, nach Midway. Dennoch erreichten genügend Sturzbomber Nagumos Kampfgruppe und flogen einen Blitzangriff, bei dem die „Akagi“, die „Kaga“ und die „Soryu“ brennend auf der Strecke blieben. Und genau darauf kam es an; Spruance gewann dieses welthistorische Pokerspiel. Auch hier wurde er vom sprichwörtlichen Glück der Amerikaner begünstigt; seine umherirrenden Staffeln trafen sich ausgerechnet über der japanischen Flotte. Dass ein koordinierter Angriff zustande kam, war nur ein Zufall. Den Schaden richteten die Sturzbomber an, denn sämtliche Torpedoflugzeuge wurden abgeschossen. Im Gegensatz dazu flogen später an diesem Tage die Torpedoflugzeuge der „Hiryu“ einen Angriff, bei dem die „Yorktown“ schwer beschädigt wurde. Sowohl technisch wie zahlenmäßig waren die Amerikaner bei Midway unterlegen; was Spruances Führungseigenschaften nur umso mehr hervorheben ließ.
Konteradmiral Fletcher verzögerte den Start seiner Maschinen der „Yorktown“ vorsichtig um über eine Stunde, und dann ließ er auch nur die Hälfte seiner Flugzeuge aufsteigen. Als die schwer angeschlagene „Yorktown“ aufgegeben werden musste, wechselte Fletcher mit seinem Stab auf einen Kreuzer seines Geleitschutzes über und legte das Kommando beider Kampfvervände in Spruances Hände. In einem krassen Gegensatz stand Spruances Leistung zu der von Nagumo. Letzterer war ein Flugzeugträger-Fachmann, als Stabsoffizier so erfahren wie Spruance unerfahren; zudem befehligte er die beste Trägerflotte, die es jemals in dieser Zeit gab. Unter dem gleichen Druck stehend, unter dem auch Spruance stand, mit einem eingearbeiteten Stab, der jeden seiner Wünsche erfüllte, mit Schiffen und Flugzeugen, die mit äußerster Präzision arbeiteten, verlor Nagumo eine Schlacht, die eigentlich nicht verloren gehen konnte.
Und wieder stand den Amerikanern das Glück zur Seite. Das Startkatapult des Kreuzers „Tone“ hatte einen Defekt. Die Folge war, dass der Aufklärer, der jenes Gebiet absuch sollte, in dem sich die Amerikaner zufälligerweise verbargen, nicht rechtzeitig starten konnte. Danach gab der Pilot unpräzise Meldungen durch. Sobald Nagumo von der Anwesenheit der amerikanischen Schiffe erfuhr, musst er eigentlich davon ausgehen, dass es sich um Flugzeugträger handelte, und so schnell wie möglich einen Angriff hätte befehlen müssen. Stattdessen blieb er unschlüssig. Belästigt von Luftangriffen von Midway, die ihm keinerlei Schaden zufügten, änderte er mehrfach seine Absichten und ließ die Waffen seiner Flugzeuge vom Typ 97 mehrfach auswechseln. Diesem Desaster bereiteten Spruances Sturzbomber ein Ende, indem sie ihn vernichteten. Nagumo selbst kam mit dem Leben davon. Es gelang ihm, die „Akagi“ zu verlassen, doch anders als Fletcher wollte er den Befehl nicht aus der Hand geben; dabei hatte er in Konteradmiral Yamaguchi an Bord der „Hiryu“ einen fähigen Untergebenen, der in der Lage war, den Kampf fortzuführen.
Welche Gefühle müssen Vizeadmiral Nagumo beseelt haben, so fragt man sich, als er im offenen Boot saß und ringsum im Schein der Morgensonne drei Flugzeugträger in Flammen standen; – die Scheiterhaufen der ersten Garnitur japanischer Piloten und Flugzeuge, ein unersetzlicher Verlust. Er befahl den ungeordneten Rückzug und gab Meldung an Yamamoto, fünf US-Flugzeugträger würden ihn jagen. Yamamoto entband ihn mitten in der kommenden Nacht vom Kommando. Yamaguchi, der die Schlacht möglicherweise gewonnen hätte, zog es vor, mit der“Hyriu“ unterzugehen. Kurz nach Mitternacht wusste Yamamoto, dass er geschlagen war, dass es nicht zu einem Nachtgefecht kommen würde, und dass er bei Tagesanbruch bereits in die Reichweite der auf Midway stationierten amerikanischen Flugzeuge geraten konnte. Doch Spruance war durch den Verlust vieler Maschinen angeschlagen, Die auf Midway stationierte Luftstreitmacht der USA war ein jämmerlicher Haufen zusammengewürfelter Maschinen, schwacher Armee- und Marine-Einheiten.
Aber Schlachten folgen nun einmal einem unerbittlichen Rhythmus. Für die Japaner jedenfalls war die Zeit wagemutiger Unternehmungen vorbei. Spruances weitere bedeutende Entscheidung bestand darin, eine eventuelle geforderte Verfolgung abzubrechen und die Schlacht zu beenden. Er wollte nicht in den bedrohten Luftraum von Wake Island eindringen, und es wurde berichtet, dass er seinem Stab auf ganz einfache Weise eines klar gemacht hatte: „Wir haben ungefähr allen Schaden angerichtet, den wir anrichten konnten. Machen wir, dass wir hier rauskommen.“ Seine Schiffe hatten keine Kraftstoffreserven mehr, seine Piloten waren erschöpft; ein Gegner von unbekannter, aber jedenfalls großer Stärke entzog sich ihm hinter den Horizont, die bekannte Gefahr, die durch Luftwaffeneinheiten drohte, die an Land stationiert waren, verbot kategorisch, der Lehrmeinung: „Verfolgung um jeden Preis“, zu folgen. Einmal, wesentlich später in seinem Leben, als man Admiral Raymond Spruance zu seinem Sieg beglückwünschte, antwortete er: „Es gab Hunderte von Spruances in der Navy. Dass ich diesen Auftrag erhielt, war reiner Zufall.“
Japan jedoch erlebte über Nacht einen Umschlag des Kampfgeistes: Aus Elan wurde Verzweiflung. Moralisch gesehen, war Japan vom 4. Juni 1942 von 10:30 Uhr an auf der Flucht.
Von Rolf von Ameln
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