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Jüdische Doppelloyalität: Das klassische antisemitische Stereotyp

ZUSAMMENFASSUNG: Beschuldigungen der doppelten Loyalität sind das wichtigste antisemitische Hassmotiv weltweit sowie in den USA. Aus den Umfragedaten lässt sich ableiten, dass bis zu fünfundsiebzig Millionen Amerikaner glauben könnten, dass ihre jüdischen Mitbürger Israel gegenüber mehr loyal sind als zu den USA. Wenn dies wahr wäre, hätte die große Mehrheit der amerikanischen Juden wahrscheinlich für Donald Trump gestimmt, der sich bisher als einer der pro-israelischsten Präsidenten der Geschichte erwiesen hat. Allerdings unterstützten ihn nur 24% der US-amerikanischen Juden bei den Wahlen von 2016 und im neu gewählten Kongress wird erwartet, dass eine Reihe von Vorsitzenden der jüdischen Demokratischen Komitees den Präsidenten angreifen wird.

Nach dem jüngsten Mord an elf Juden in einer Synagoge in Pittsburgh folgte die Veröffentlichung einer FBI-Erklärung von 2017, in der berichtet wurde, dass 60% aller religiös voreingenommenen Hassverbrechen in den USA antijüdisch seien und die Zahl anderer Religionen bei weitem übertrafen. Diese und eine Vielzahl anderer Erscheinungsformen des Antisemitismus erfordern eine Analyse der wichtigsten negativen Stereotypen der Juden in den USA, vor einem internationalen Hintergrund.

Statistiken zeigen, dass das wichtigste antisemitische Hassmotiv weltweit darin besteht, dass Diaspora-Juden Israel mehr treu sind als dem Land, in dem sie leben. Die von der ADL im Jahr 2014 veröffentlichte Global 100-Studie ergab, dass 30% der befragten erwachsenen Amerikaner dies glauben. Eine ADL-Studie aus dem Jahr 2015 ergab einen etwas höheren Prozentsatz.

Die ADL Global 100-Studie aus dem Jahr 2014 ergab auch, dass der falsche Vorwurf der doppelten Loyalität der wichtigste internationale antisemitische Stereotyp ist. Einundvierzig Prozent der in die Umfrage einbezogenen Weltbevölkerung halten dies für richtig, was bei einer Extrapolation auf die Gesamtbevölkerung dieser Länder etwa 1,7 Milliarden Menschen bedeuten würde. Diese riesige Anzahl bietet fruchtbaren Boden für viele andere antisemitische Stereotypen. Wenn die Interessen Israels den Interessen des Landes in dem ein Jude lebt entgegenstehen, kann ein Antisemit den jüdischen Bürger beschuldigen, sich für das israelische Interesse einzusetzen – und zwar mit der Aussage: „Sie sind nicht wirklich einer von uns.“ In extremster Form ist die Anklage der doppelten Loyalität, eine Anklage wegen Hochverrats.

Die Anschuldigung, dass Juden der Gesellschaft oder dem Land in dem sie leben nicht treu sind, bestand lange vor der Gründung des Staates Israel. In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, zur Zeit des schwarzen Todes [der Pest], wurden Juden mit dem Vorwurf verbrannt, Lebensmittel, Brunnen und Bäche vergiftet zu haben. Es gab auch mehrere Variationen zu diesem Thema. Zum einen waren Juden Kosmopoliten, ein Volk ohne Heimatland, das nur anderen Juden gegenüber treu war. Dies war die Grundlage für den Vorwurf des Hochverrats und der anschließenden Verurteilung des französischen Offiziers Alfred Dreyfus im Jahr 1894. Als Jude war er der ideale Sündenbock für Spionage, die ein anderer Mann, ein nichtjüdischer Offizier, gegen Frankreich begangen hatte.

Wenn man Juden die doppelte Loyalität vorwirft, entstehen weitere antisemitische Stereotypen, beispielsweise der Glaube, dass Juden die Welt kontrollieren wollen. Die weltweite ADL-Studie von 2014 zeigt, dass 29% der weltweit Befragten der Meinung sind, dass Juden zu viel Einfluss auf globale Angelegenheiten haben.

In den USA ergab eine ADL-Studie aus dem Jahr 2015, dass 16% der befragten Amerikaner (das wären 40 Millionen Amerikaner) glauben, dass Juden in der Geschäftswelt zu viel Macht haben. Der gleiche Anteil sagte, dass sie glauben, dass Juden auf den internationalen Finanzmärkten zu viel Macht haben. Zwölf Prozent waren der Meinung, dass Juden zu viel Kontrolle über die US-Regierung haben, während derselbe Anteil der Meinung war, Juden hätten zu viel Kontrolle über die globalen Medien. Durch die Extrapolation dieser Ergebnisse auf die Gesamtbevölkerung kann die Studie dahingehend interpretiert werden, dass 25 Millionen erwachsene Amerikaner glauben, dass Juden zu viel Kontrolle über globale Angelegenheiten haben.

Während der Obama-Regierung, kam es zwischen den USA und den israelischen Regierungen zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten bezüglich des iranischen Atomabkommens. Der jüdische Senator Chuck Schumer stimmte dagegen und wurde beschuldigt, Israel mehr treu zu sein als den USA. Der extremste Fall der modernen amerikanischen Anklage wegen doppelter Loyalität war der von Jonathan Pollard, der von den USA wegen Spionage für Israel verurteilt wurde. Er ist die einzige Person die jemals eine lebenslange Haftstrafe erhalten hat, weil sie die USA für einen Verbündeten ausspioniert hat.

Es ist leicht zu zeigen, dass in grundlegenden Fragen, die für Israel von großer Bedeutung sind, die Anschuldigung, dass amerikanische Juden eine doppelte Loyalität empfinden, eine Verleumdung ist. Bisher war Donald Trump ein äußerst pro-israelischer Präsident. Wenn US-Juden tatsächlich eine doppelte Loyalität empfinden würden, würde die große Mehrheit von ihnen Trump wahrscheinlich unterstützen. Im Jahr 2016 stimmten 71% von ihnen für Hillary Clinton, was weit über dem lag, was sie auf nationaler Ebene erhielt (48%). Nur 24% der US-Juden stimmten für Trump. Im neu gewählten Kongress wird erwartet, dass eine Reihe von jüdisch-demokratischen Komiteesvorsitzenden den Präsidenten in gravierender Weise angreifen wird.

Es gibt zahlreiche weitere Beweise dafür, dass das Konzept der doppelten Loyalität unter den amerikanischen Juden falsch ist. Barack Obama gehörte zu den am wenigsten freundlichen US-Präsidenten gegenüber Israel, doch die US-Juden stimmten in großer Zahl für ihn. Im Jahr 2008 stimmten 78% von ihnen für Obama, im Gegensatz zu 53% der nationalen Stimmen. Im Jahr 2012 stimmten 69% der US-Juden für Obama, gegenüber 58% im Land. Eine Mehrheit der US-Juden die für Obama stimmte, stimmte somit scheinbar gegen ihre eigenen Interessen. Er und seine Frau waren langjährige Mitglieder einer Kirche, deren damaliger Pastor Jeremiah Wright ein Antisemit ist.

Die Zweifel an doppelten Loyalitätsansprüchen gegen Juden sind auch in anderen Ländern zu beobachten. Bei einer in den Niederlanden während des Wahlkampfs 2017 durchgeführten Umfrage wurde festgestellt, dass 19% der niederländischen Juden für die anti-israelische Arbeiterpartei (PvdA) stimmen wollten, während nur 6% der Gesamtbevölkerung dafür stimmten.

In Großbritannien gaben 13% der Juden an, bei den Parlamentswahlen 2017 für Labour zu stimmen, obwohl der Parteichef Jeremy Corbyn ein Freund von Völkermordattentätern und ein antiisraelischer Hetzer ist. Mehrere Menschen um ihn herum sind extreme antiisraelische Hetzer.

Viele Länder haben problematische Diasporas. Die doppelte Loyalität kann mild sein, wie bei Einwanderern, die ihr Herkunftsland und nicht ihr Wohnsitzland bei einer Sportveranstaltung anfeuern. Manchmal kann jedoch auch das aus dem Ruder laufen. Ein bekannter Fall war das „Freundschafts“-Fußballspiel 2001 in Paris zwischen Frankreich und Algerien. Die in Frankreich lebenden Algerier pfiffen, als die französische Hymne gespielt wurde. Das Spiel musste vorzeitig beendet werden, als die Algerier in das Feld eindrangen.

Vorwürfe der doppelten Loyalität sind jedoch ein spezifisch antijüdisches Klischee. Die Fixierung auf Juden als einzigartig anfällig für die Versuchung der doppelten Loyalität, wird durch das mangelnde Interesse am verdächtigen Verhalten anderer Gruppen veranschaulicht. Die Türkei erlaubt beispielsweise ihren im Ausland lebenden Bürgern, an ihren Wahlen teilzunehmen. Über 450.000 Türken oder 65% der Wahlbeteiligten in Deutschland unterstützten die AKP von Erdoğan bei den Parlamentswahlen 2018. Dies ist wesentlich höher als der Anteil derjenigen, die in der Türkei dafür gestimmt haben. Dies führte jedoch nicht zu einem besonderen Zorn in Deutschland über Einwanderer, die eine ausländische Partei unterstützen, deren Ansichten mit den demokratischen Normen und Werten Deutschlands unvereinbar sind.

Der ehemalige Führer der Grünen [in Deutschland], Cem Ozdemir, war fast der einzige deutsche Politiker, der die offensichtliche Schlussfolgerung zog indem er sagte: „Die deutsch-türkischen Erdoğan-Fans bejubeln nicht nur ihren Autokraten, sondern drücken damit eine Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus. Das sollte alle beschäftigen.“

Die Suche nach intelligenten Wegen, um falsche doppelte Loyalitätsansprüche gegen Juden aufzudecken, könnte der Beginn einer neuen Art des Kampfes gegen Antisemitismus sein.

Von Dr. Manfred Gerstenfeld (BESA)

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Senior Research Associate am BESA Center und ehemaliger Vorsitzender des Lenkungsausschusses des Jerusalem Center for Public Affairs. Er ist auf israelisch-westeuropäische Beziehungen, Antisemitismus und Antizionismus spezialisiert.

BESA Center Perspectives Paper No. 1,018, November 28, 2018
Begin-Sadat Center for Strategic Studies
Bar-Ilan University, Ramat Gan, Israel
Übersetzung: Dr, Dean Grunwald

 

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Von am 29/11/2018. Abgelegt unter Featured. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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