Kaum ein Ereignis seit 9/11 hat so eine tiefe Zäsur in Politik und Wirtschaft Westeuropas erzeugt, wie der gewaltsame Tod des Journalisten der „Washington Post“ Jamal Khashoggi, dessen Wiege in Saudi-Arabien stand.
Trotz selbst gewählter Waffen-Export Einschränkungen und Protesten quer durch alle Parteien hat Deutschland alleine in diesem Jahr Waffen an Saudi-Arabien im Wert von 416 Millionen EUR verkauft, weitere Aufträge sind bereits genehmigt und in der Auftrags-Pipeline. Saudi-Arabien ist damit im Waffen-Export Ranking Deutschlands auf Platz 2 hochgeschnellt. Dass diese Waffen auch in Bahrain und Jemen eingesetzt wurden und werden wird medial kaum thematisiert und stört bei den politischen Eliten Deutschlands niemanden.
Deutschland hat bei diesen Geschäften sein ewiges Mantra von „wir liefern keine Waffen in Krisenregionen“ erneut und bewusst gebrochen. Profit geht eben doch vor Moral und Ethik, die sind nur für den Wahlkampf und für salbungsvolle Sonntagsreden der regierenden Politiker gut, die auch in dieser Industrie Wahlkampfspenden generieren wollen.
Israel sollte bei Bedarf an Rüstungsgütern Deutschland an diesen Umstand erinnern. Deutschland kann sich bei den Waffen-Exporten nicht herausreden und sich auf die Position des Nicht-wissens zurückziehen, denn keiner kann nachvollziehen, ob diese Waffen marodieren, also über Dritte eben doch in den Krisenregionen ankommen, egal ob in Afrika, in Asien oder bei den Feinden Israels. Gleichermaßen egal sind Europa und der UNO die latenten Menschenrechtsverletzungen in Europas Hinterhof Afrika. Dieser Kontinent spielt medial in Europa keine Rolle mehr, aber der Flüchtlingsstrom macht deutlich, dass es nun die historisch selbst verursachten und heute geduldeten Probleme massiv zurückbekommt.
Selbst die USA haben politisch gegenüber Saudi-Arabien kurz innegehalten, sind aber mittlerweile wieder zur Tagesordnung übergegangen. Während Deutschland noch den Betroffenen gibt und Frankreich sich zum Motor möglicher Sanktionen gegen das saudische Königshaus aufschwingt, agieren die USA pragmatisch.
In Europa und der NATO ist man in einem Glaubwürdigkeitsdilemma. Als der russische Doppelagent Skripal und dessen Tochter in GB mit dem Nervengift und Kampfstoff „Nowitschok“ vergiftet wurden begann eine exorbitante westeuropäische Schuldzuweisung, ohne Beweise vorzulegen. Ausgehend von GB wurde sofort das ganze Programm von Sanktionen bis zu direkten Drohungen gegen Russland abgespielt. Im Falle Khashoggis fordert man nur halbherzig Aufklärung. Ende der Betroffenheit!
Die deutsche und europäische Presse hat nun wieder ein Top-Thema, der unaufgeklärte und gewaltsame Tod eines Journalisten, der in seinem Wirken gerne so dargestellt wird, als wäre er der Fahnenträger der Revolution gegen das saudische Königshaus im Allgemeinen und gegen Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud, im Land nur kurz MbS genannt. Seine intellektuelle Nähe zu Osama bin Laden und sunnitische Terrororganisationen einschließlich Hamas wird gerne vergessen gemacht. Zugleich stellt man medial und politisch das: OT Frau Merkel „befreundete Könighaus Saudi-Arabien“ plötzlich von allen Seiten in Frage. Ein führender deutscher Politikwissenschaftler sieht gar Anzeichen dafür, dass die absolute Monarchie in Saudi-Arabien faktisch vor dem Ende steht und sich eine bürgerliche Revolution ähnlich der in Frankreich 1789 Bahn bricht. Die saudi-arabische Bourgeoisie wird sicher zunehmend Druck auf MbS ausüben um an der Macht zu partizipieren. Es ist aber nicht an Europa darüber zu befinden, welchen Weg das Land am arabischen Golf einschlagen wird und ob es zu einer neuen politischen Weichenstellung in Richtung einer konstitutionellen Monarchie kommt.
Tatsache ist, dass Investitionen aus Saudi-Arabien- zweitgrößter Investor nach Katar in Deutschland- in europäischen und US-amerikanischen Industrien immer gerne gesehen wurden. Jetzt aber pikiert mit dem Finger auf MbS zu zeigen ist unredlich und wird der Situation nicht gerecht. Es steht wohl außer Frage, dass ein solcher Dilettantismus der saudischen Geheimdienstleute dem Mossad nie passiert wäre, aber es bleibt Sache des saudischen Königshauses den gewaltsamen Tod Khashoggis im saudischen Generalkonsulat in der Türkei zu bewerten und die Schuldigen zu bestrafen.
Es wundert nicht, dass sich jetzt Erdogan als Präsident des Landes in dem Tod Khashoggis eintrat, als großen Aufklärer gibt und die verantwortlichen in der Türkei aburteilen will. Vielleicht sollte er das diplomatische Protokoll und die Bedeutung von „exterritorial“ nochmals nachlesen, denn die Tat fand nicht auf einer türkischen Straße oder Hinterhof statt, sondern im Generalkonsulat Saudi-Arabiens. Erdogan möchte gerne der Führer der muslimischen Welt werden und so einen weiteren Machtzuwachs generieren, aber die heiligen Städte der Muslime liegen nun mal nicht am Bosporus und damit auch jenseits seines Einflussgebietes.
Saudi-Arabien ist mit MbS auf bestem Weg von einer Regionalmacht zu einem Global Player aufzusteigen. Insofern kommt dieses Tötungsdelikt zur Unzeit. Westliche Industrien üben plötzlich Zurückhaltung in der Zusammenarbeit und Politiker nutzen die Gelegenheit, um von eigenen Problemen im Land abzulenken.
Saudi-Arabien jetzt wegen diesem Mord ??? an Khashoggi zu schwächen bedeutet den Iran zu stärken und politisch aufzuwerten. Die dortigen Menschenrechtsverletzungen interessieren keinen und außer den USA kümmert sich keiner wirklich um deren Atomprogramm und deren Ziel, Israel von der Landkarte zu tilgen. Europa und alle dauerbesorgten Politiker sind gut beraten, wenn sie diese Entwicklung nicht zulassen und MbS die Chance geben, diese Tat tatsächlich aufzuklären, die Auftraggeber, Täter und Helfer zu bestrafen. Die inneren Angelegenheiten Saudi-Arabiens müssen aber auch dabei deren ureigenste Angelegenheiten bleiben. Auf Ratschläge aus der EU kann MbS und das saudische Königshaus sicher verzichten. Gut, dass Israel dieses schon lange so praktiziert und Geduld beweist.
Von Gerhard Werner Schlicke
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