ZUSAMMENFASSUNG: Was sollte die Strategie in Bezug auf die Hamas sein, Konzessionen machen oder eine vierte Runde des Kampfes einleiten? Es ist am besten, wenn Israel die Verhandlungen so lange wie möglich verlängert, so wenig wie möglich einräumt und wartet, bis die Sanktionen gegen den Iran in Kraft treten. Dann sollte Israel sich auf die nächste große Runde vorbereiten – nicht um die Hamas zu besiegen, sondern um sie zu zähmen und die Palästinenser von Hamas zu trennen.
Israels führende Politiker, Verteidigungsminister Avigdor Liberman und Premierminister Benjamin Netanyahu, haben eine heftige Debatte mit Bildungsminister Naftali Bennet darüber geführt, wie man auf das Hamas-Projekt seit den Rückkehr-Protesten im März reagieren soll, um den Status quo zu ändern – aus der relativen Unterwerfung der Hamas zu einer Rückkehr zu der Situation von „Wie Du mir-So ich Dir-Angriffen“ und Gegenangriffen, die während des größten Teils der Zeit zwischen der Übernahme von Gaza durch die Hamas im Jahr 2007 und der dritten großen Kampfrunde im Sommer 2014 herrschten.
Netanyahu und Liberman wollen mit der Hamas ein Übereinkommen erreichen, um die relative Ruhe wiederherzustellen, die seit fast vier Jahren seit 2014 herrschte. Sie sind bereit, humanitäre Zugeständnisse zu machen und wahrscheinlich eine beträchtliche Freilassung von Hard-Core-Terroristen aus den Gefängnissen zuzulassen, um die Ruhe wiederherzustellen. Bennet dagegen ist erbittert gegen Zugeständnisse und strebt eine vierte Konfrontationsrunde an, welche die Hamas-Organisation erheblich schwächen würde.
Die Vorzüge der Debatte sind schwer einzuschätzen, da beide Ansätze aus politischen und militärischen Gründen klug sind. Die Frage ist natürlich, welche dieser Strategien für Israel zu diesem bestimmten Zeitpunkt besser wäre.
Netanyahu und Liberman haben eine starke Position darin, Zurückhaltung und sogar Zugeständnisse gegenüber der Hamas zu fordern. Sie sehen die strategischen Interessen Israels hierarchisch.
Die mit Abstand wichtigste Bedrohung für Israel ist das iranische Atomprogramm. Unmittelbar darauf folgen die Versuche des Iran, eine dauerhafte militärische Infrastruktur in Syrien aufzubauen, die eine beträchtliche pro-iranische Milizenpräsenz an der Golan-Front beinhalten würde.
Wie die Aussagen von John Bolton, dem Chefsicherheitsberater von US-Präsident Trump, auf seiner jüngsten Israelreise deutlich machten, argumentieren diese, dass nichts den Fokus auf den Iran oder die Erneuerung der Sanktionen beeinträchtigen sollte.
Sowohl Netanyahu als auch Liberman zufolge wurde die Entscheidung der Hamas, die Gaza-Front Ende März aufzuheizen, vom Iran initiiert und sollte den Fokus vom Iran auf die Palästinenser verlagern. Ein solcher Fokuswechsel, hofft der Iran, würde wichtige europäische Staaten wie Frankreich und Deutschland ermutigen, Gegenmaßnahmen gegen die US-Sanktionen gegen die islamische Republik zu ergreifen.
So war es wichtig, den Fokus auf den Iran zu legen und zu erkennen, dass die Führer im Iran bereit sind den Preis dafür zu zahlen, das Gleichgewicht der Bedrohung zugunsten der Hamas zu verändern und die Hamas für die von ihr ausgehende Gewalt zu belohnen. Es wird davon ausgegangen, dass das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Israel und der Hamas so beschaffen ist, dass die Wiederherstellung des Status Quo auf die Situation vor März 2018 möglich ist, nachdem die Sanktionen gegen Iran voll ausgeschöpft sind.
Dies ist keine Arbeitsannahme, die sie auf den Iran anwenden können. Netanyahu und Liberman begründen diesen Zeiraum damit, dass Trumps pro-israelische Regierung nur noch zwei Jahre hat, bis deren Schicksal durch die nächsten Präsidentschaftswahlen entschieden ist. Auch weil es angesichts der rechtlichen Herausforderungen, vor denen der US-Präsident im eigenen Land steht Angst gibt, dass dieser Zeithorizont vielleicht sogar kürzer sein könnte.
Bennet seinerseits argumentiert plausibel dagegen, in der komplizierten geostrategischen Umgebung Israels den Zugeständnissen an die Hamas zuzustimmen. Was Bennet angeht, so ist die Konzentration auf den Iran durch einen US-Präsidenten garantiert, der entschlossen ist, den Iran wegen seines Atomprogramms und aggressiven Verhaltens gegenüber seinen Nachbarn zurückzudrängen. Ein unterstützender US-Kongress und der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen die Sanktionen wirken, die ihnen ein Eigenleben geben, können nicht durch andere Krisen wie eine vierte Runde zwischen Israel und Gaza verdrängt werden.
Ausgehend von diesen Annahmen argumentiert Bennet, dass erkaufte Ruheperioden durch Konzessionen an die Hamas mit erheblichen Kosten verbunden sind, insbesondere wenn dies einen Anstieg der Importe nach Gaza bedeutet, was der Hamas die Mittel zur Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten geben würde. Jede Art von Waffenstillstand, wie auch immer es genannt wird, gibt der Terror-Organisation Zeit, um für die nächste Runde zu trainieren. Dies bedeutet größere und tödlichere Feuerkraft.
Bennet hat Recht wenn er glaubt, dass die Hamas ihre Zeit weise nutzt, um ihre Fähigkeiten zu verbessern. Zum Beispiel, in den 22 Tagen der Operation Cast Lead im Winter 2008-09 feuerte die Hamas, zusammen mit anderen Terror-Organisation, 925 Raketen auf Israel ab. Diese Zahl erhöhte sich 2014 bei der Operation „Protective Edge“ auf 3.852 Raketen – eine Steigerung von fast 200% – auch wenn man die viel längere Kampfdauer von 2014 im Vergleich zu sechs Jahren zuvor (55 Tage gegenüber 24) berücksichtigte. Die Opferzahlen waren ebenfalls signifikant höher: 72 gegen 13 israelische Todesfälle. Der Anstieg war hauptsächlich auf effektive Angriffe aus Tunneln in Gaza und den verstärkten Einsatz von Mörsern gegen israelische Truppen zurückzuführen, die in Gebieten in der Nähe von Gaza lagerten.
Obwohl Israel eine Technologie entwickelt hat, um mit diesen beiden Problemen umzugehen, hat sich die Hamas als innovativer Feind erwiesen, der in der nächsten Runde weitere Überraschungen bringen könnte. Je länger die Atempause ist, kann man mit Sicherheit annehmen, je größer die Wahrscheinlichkeit für Überraschungen ist.
Wenn man sich anschaut, wie Israel seine Abschreckung an der Gaza-Front sicherte, unterstützt dies Bennets Denkweise. „Verständnisse“ zwischen Israel und der Hamas waren immer kurzlebig, wenn überhaupt gehandelt wurde. Die „Flaute“ von 2005, die als ein informelles Abkommen zwischen den palästinensischen Fraktionen und Israel vermarktet wurde, führte in dem Jahr zu einer Zunahme von 345% Raketen- und Mörserangriffen im Vergleich zu 2004. Nach der Runde 2012 wurde das „Verständnis“ durch den gestürzten [ägyptischen Präsidenten] Mursi vermittelt. Seine Regierung dauerte etwas mehr als ein Jahr, bis das tödliche Rinnsal der Raketen- und Mörsergranaten von neuem begann.
Noch weniger führten die erkauften „humanitären“ Gesten zur Ruhe. Aus Sicht der Hamas war der größte humanitäre Schritt die Freilassung von mehr als 1.000 Hard-Core-Terroristen im Jahr 2011, im Gegenzug für die Freilassung eines entführten israelischen Soldaten. Dies hat eine zweite Waffenrunde im Oktober 2012 nicht verhindert.
Im Laufe der Zeit verursachten nur die drei großen Kriege eine akkumulierte Abschreckung zwischen den Runden, in denen die Raketenabschüsse nach jeder Runde deutlich zurückgingen.
Die beste Option ist also, dass Israel die Verhandlungen so lange wie möglich verlängert, so wenig wie möglich einräumt und wartet, bis die Sanktionen gegen den Iran in Kraft treten – und sich dann auf die nächste große Runde vorzubereiten, nicht um die Hamas zu besiegen, aber um sie zu zähmen und die Palästinenser geteilt zu halten.
Von Prof. Hillel Frisch (BESA)
Prof. Hillel Frisch ist Professor für politische Studien und Nahost-Studien an der Bar-Ilan University und Senior Associate am Begin-Sadat Center for Strategic Studies.
BESA Center Perspectives Paper No. 960, September 27, 2018
Begin-Sadat Center for Strategic Studies
Bar-Ilan University, Israel.
Übersetzung: Dr. Dean Grunwald
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