Mit dem Slogan „Wir sind das Volk“ begann die friedliche Revolution in Ost-Deutschland. Hunderttausende sind am Ende diesem Ruf gefolgt und haben das SED-Regime, die Staatssicherheit und die NVA-Panzer hinweggefegt. Jeder Demonstrant hatte damals im Hinterkopf, dass dieses Regime zu allem fähig war. Mit dem Wissen um die niedergeschlagenen Revolutionen vom 17.06.1953 in Deutschland, 1956 in Ungarn, 1968 in der ehemaligen ČSSR („Prager Frühling“) und 1989 in China (Platz des Himmlischen Friedens) erforderte es 1989 Mut, um in der DDR auf die Straße zu gehen und gegen das SED-Regime von Honecker, Mielke und den Betonköpfen des Politbüros des ZK der SED in der DDR zu demonstrieren. Inspiriert durch Glasnost und Perestroika, initiiert von M. Gorbatschow in der allmächtigen UdSSR, waren diese Demonstrationen getragen vom Wunsch nach politischen Veränderungen. An die Wiedervereinigung dachte und glaubte zu diesem Zeitpunkt noch keiner wirklich.
Wer in den letzten großen Demonstrationen in Dresden und Leipzig nach vorn blickte, sah Panzer mit Schiebeschilden und wurde sich der brutalen Machtdemonstration der SED-Führung bewusst. Wer aber neben und hinter sich sah, der hatte die Gewissheit, dass Hunderttausende vereint waren und diese Kraft war größer, als die Angst vor einem Armeeeinsatz. „Wir sind das Volk“ ist in die Geschichtsbücher eingegangen als die Kraft, die den „Eisernen Vorhang“ samt Warschauer Pakt fallen ließ und eine Parteidiktatur zum Einsturz brachte. Selbst der Zusammenbruch des Kolonialsystems hatte nicht die Dimension, wie der Zusammenbruch des sozialistischen Weltlagers.
In den nachfolgenden 25 Jahren, als die Deutsche Einheit gestaltet wurde, brauchte es dann dieses Slogans nicht mehr. Die Deutsche Einheit hat aber nicht nur Gewinner hervorgebracht, sondern es zerbrach auch manch idealisierte Vorstellung des Wandels von der Plan- zur Marktwirtschaft an der Wirklichkeit.
Etwa zeitgleich mit der historischen Fehl-Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel in 2015, über 1 Million Migranten aus griechischen Flüchtlingslagern ungeprüft ins Land zu lassen, bekam die islam- und fremdenfeindliche, völkische, rassistische und rechtspopulistische Organisation „PEGIDA“ (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) ungeahnten Zulauf und es begannen in Dresden Demonstrationen bei denen der Slogan der friedlichen Revolution von 1989 plötzlich wieder auftauchte, aber den historischen Kontext pervertierte.
Wenn heute in Chemnitz und Köthen gleichzeitig „Wir sind das Volk“ skandiert und von einigen Teilnehmern der Hitlergruß gezeigt wird, dann hat das mit dem friedlichen Protest von 1989 nichts mehr gemein. Von diesen Demonstranten, die sicher nicht alle gleichermaßen Neonazis sind, hat sich aber niemand gegen dieses Nazi-Symbol gewandt und damit wurde diese ungeheuerliche Provokation toleriert. Von hier zur Leugnung des Holocaust und der Relativierung der Verbrechen der Hitlerfaschisten ist es nur ein kleiner Schritt.
Die sicherheitspolitisch katastrophale Fehlentscheidung der Kanzlerin von 2015 war die Initialzündung für bis dato eher verdeckten und medial verschwiegenen (mediale political correctness) Neofaschismus in Deutschland, wenn man die Ausschreitungen in Rostock 1992 und den Brandanschlag von Solingen 1993 separat betrachten will. Plötzlich wurden aber Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und ein neuer Nationalismus salonfähig.
Der deutsche Staat und die Demokratie haben mehrfach versagt, insbesondere bei der zu langen Tolerierung von Koran verteilenden Salafisten in westdeutschen Großstädten, der stillen Akzeptanz von muslimischen Parallelgesellschaften und arabischen Clanstrukturen, Scharia-Polizei etc. und immer noch vorhandene soziale Unterschiede von Ost- und Westdeutschland werden offenbar. Aber, diese gefährliche Entwicklung ist kein rein deutsches Problem. In Frankreich, Schweden und einigen Osteuropäischen Staaten haben wir ebenfalls eine gravierende Zunahme von Ausländerhass und Antisemitismus zu verzeichnen.
„Die Welt“ formuliert: „Den Worten müssen Taten folgen. Um es ein wenig neoliberal kühl zu formulieren. Die jüdischen Mitbürger und auch die jüdische Migration aus Russland, Israel oder den USA sind für ein liberales, freiheitliches Land wie Deutschland nicht nur aus der historischen Verantwortung für das Existenzrecht Israels und aller Juden ein säkular heiliges Gut, sie sind es auch, weil jüdische Migration dieses Land bereichert, kulturell, ökonomisch, lebensweltlich.“
Im gleichen Artikel macht Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland deutlich: „Wer nicht bereit ist, unsere gesellschaftlichen Normen zu akzeptieren, der sollte kein dauerhaftes Bleiberecht in diesem Land erhalten.“
Nicht selten wird Neofaschismus und Antisemitismus als Ostdeutsche Erscheinung dargestellt, was aber einer genaueren Betrachtung nicht standhält.
Eine Studie der TU Berlin „Antisemitismus 2.0 und die Netzkultur des Hasses“ hinterfragt sehr präzise: „In welchen Manifestationen tritt Antisemitismus im 21. Jahrhundert in Erscheinung? Wie, wo und von wem werden judenfeindliche Inhalte artikuliert und verbreitet? Welche Stereotype werden kodiert, welche Argumente benutzt? Welche Rolle spielen Emotionen und irrationale Affektlogik beim aktuellen Einstellungs- und Verbalantisemitismus? Inwiefern hat das Internet die Verbreitung und Intensivierung von Antisemitismen akzeleriert und forciert? Wie lassen sich die modernen Ausprägungen des Judenhasses wissenschaftlich beschreiben, einordnen und erklären?“
Diese Analyse sollte Lehrstoff an allen Schulen und breit gesellschaftlich diskutiert werden. Die Wahrheit aber ist, man muss sie suchen und der Inhalt geht an den Medien in großem Bogen vorbei.
Die Migrationswelle von 2015 bescherte den Rechtspopulisten enormen Zulauf, sichtbar im Entstehen der AfD und sie spaltete nicht nur Deutschland, sondern die ganze EU. Bis heute gibt es in der EU keine einheitliche Linie, wie mit den aus dem Mittelmeer geretteten „Flüchtlingen“ umzugehen ist. Viele europäische Staaten haben jüngst wieder in Salzburg deutlich gemacht, dass die Politik von Kanzlerin Merkel keinen Konsens findet.
Die Zunahme von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus alleine mit dem Migrationsdruck erklären zu wollen, wird den vielschichtigen gesellschaftlichen Ursachen nicht gerecht. „Deutschland den Deutschen“ wird hier neu verpackt und von rechten Populisten und Neonazis ausgenutzt. Wie weit ist es dann noch zu den Propagandisten des 3. Reiches und einer Neuauflage von „Volk ohne Raum“?
Wer heute noch von „wehret den Anfängen“ spricht, der ignoriert die zurückliegenden Jahrzehnte politischer Fehlentwicklungen in Deutschland. Dazu gehören wie Mosaiksteine eines Wandbildes auch: Einführung des Fraktionszwanges im Bundestag, der eine lebendige Diskussion von Demokraten unterbindet, Politik wird in Talk Shows gemacht, statt im Bundestag und den Ländervertretungen, aber insbesondere auch in jüngster Zeit die Einführung der Hartz 4- Gesetze unter dem damaligen SPD-Kanzler Schröder welche die Sozialkonkurrenz und Ausgrenzung förderte und das Wirken der Oppositionslosen Großen Koalitionen unter Merkel, die zu Agonie in der Politik führte. Im gleichen Zusammenhang muss man aber auch die ungesteuerte Globalisierung, die Spekulationsblasen an den Börsen und den faktischen Zusammenbrauch des weltweiten Finanzsystems rechnen dessen Folgen bis heute nachwirken. Politikverdrossenheit, Wahlabstinenz und Frust ob der wachsenden Selbstbedienungsmentalität der Politiker wuchsen schneller, als je zuvor.
Nicht erst mit dem Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag änderte und verrohte sich auch die politische Sprache.
3 Beispiele:
Selbst ein Franz Josef Strauß, bekannt für seine deftige Wortwahl, hätte derartige rhetorische Entgleisungen nicht gebracht, nicht einmal in einem bayerischen Bierzelt.
Neben diesem Aspekt deutscher Politik und Politiker haben wir auch zu verzeichnen, dass leider immer öfter sehr subtile Formen des Antisemitismus auftreten, etwa bei der Ruhrtriennale (Kunstfestival im Ruhrgebiet), die der Israelfeindlichen, antisemitisch ausgerichteten BDS-Bewegung eine Plattform gibt und dann, nach heftiger Kritik aus dem In- und Ausland, als Rechtfertigung dafür als Termin für eine klärende Talkrunde den Shabbat nimmt. Auch hier wieder: Führungsschwäche wo man hinschaut. Der MP von NRW hat zwar deshalb seine Teilnahme an der Ruhrtriennale abgesagt, die Intendantin Stefanie Carp sofort zu entlassen, dazu hat ihm wohl der Mut gefehlt.
Das Ganze wird dann noch getoppt durch eine nicht mehr nachvollziehbare politische Akzeptanz und finanzielle Großzügigkeit aus der EU und leider auch aus Deutschland, die trotz schwerwiegender Beweise der Schuld, den Terrorismus der Hamas und deren monetäre Unterstützung durch die PA Vorschub leisten, indem sie Millionenbeträge pro bono an die Palästinenser senden, Geldmittel die sofort in den Märtyrer-Fond fließen und den Terrorismusmotor gegen Israel am Laufen halten. In diesen Kontext gehört aber auch der EU-Alleingang in der Zusammenarbeit mit dem Iran, der darin gipfelt, dass eine Clearing-Stelle in Brüssel geschaffen wird, um die US-Sanktionen zu umgehen.
„Wir sind das Volk“ hat heute nichts mehr mit der einigenden, gewaltlosen Kraft der friedlichen Revolution in der DDR 1989 zu tun. Es ist heute zu einem schwer erträglichen, rechtspopulistischen und völkischen Ruf der ewig Gestrigen verkommen, der die ehrlichen Kritiker aktueller Politik zu Mitläufern von Neofaschisten degradiert. Meinungsfreiheit ist kein endlos dehnbares Gummiband. Staatsräson muss auch durchgesetzt werden und hier gibt es leider zu viele Defizite.
Von Gerhard Werner Schlicke
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