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Die Ruinen des aschkenasischen Judentums am Rhein

In Mainz, einer deutschen Stadt, in der kürzlich ein jüdisches Schulmädchen ermordet wurde, versucht man, seinen früheren jüdischen Ruhm zu erkennen.

In den vergangenen Monaten hat die Mainzer Rheinmetropole weltweit Schlagzeilen gemacht wegen der Ermordung und Vergewaltigung eines ihrer jüdischen Bürger, der 14-jährigen Susanna Feldmann durch einen irakischen Asylbewerber, der sich jetzt in deutscher Obhut befindet. In der Berichterstattung über Susannas Ermordung und die darauf folgende hitzige Parlamentsdebatte über die deutsche Flüchtlingspolitik, deuteten nur wenige auf die Bedeutung von Mainz als Wiege des aschkenasischen Judentums hin.

„Mainz ist eine der wichtigsten Städte in Europa für die jüdische Kultur“, sagt Peter Seelmann ein Touristenführer der Stadt, deren Zentrum vom Mainzer Dom dominiert wird. „Bereits in der römischen Zeit herrschte hier jüdisches Leben.“

Im 10. und 11. Jahrhundert erhielten die Juden die Erlaubnis, sich in Mainz, einer ehemaligen römischen Garnisonsstadt, sowie in den benachbarten Flussorten Speyer und Worms niederzulassen, zu leben und schließlich zu gedeihen. Juden machten zur Hochzeit etwa 10 Prozent der Mainzer Bevölkerung aus. Heute sind von 200.000 Mainzer Einwohnern etwa 38 Prozent katholisch, 23 Prozent sind Protestanten, 5 Prozent sind Muslime und 0,5 Prozent sind Juden.

Das Akronym für die drei Städte ist „ShUM“, was auf Hebräisch „Knoblauch“ bedeutet – das Symbol des mittelalterlichen Ashkenazi-Judentums. Ein mittelalterlicher Kodex jüdischer Statuten, „Takknot ShUM“, setzte einen Maßstab für das jüdische Leben im christlichen Europa. Es werden nun Anstrengungen unternommen, die ShUM-Städte als UNESCO-Weltkulturerbe zu bestimmen, was den jüdischen Tourismus in der Region und das Bewusstsein für seine jüdische Bedeutung fördern sollte.

Das heutige Mainz

In den 1990er Jahren, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, öffnete Deutschland seine Türen für Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, eine Geste um sicherzustellen, dass es Hitler nicht gelang Deutschland „Judenrein“ zu machen. Von überall wanderten 100.000 bis 200.000 Juden nach Deutschland aus und für diejenigen, die nach der jüdischen Bevölkerung in deutschen Kleinstädten fragen, ist es wahrscheinlich, dass die Bewohner Russisch sprechen, wie Susanna Feldmanns Mutter Diana aus Moldawien. Die meisten sind marginal angegliedert, teilweise aufgrund der Unterdrückung des Judentums durch den Kommunismus.

Ein jüdischer Tourist würde sich schwer tun, in Mainz einen ortsansässigen jüdischen Reiseleiter zu finden. Einige Wochen nach Susannas Ermordung lehnte der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Mainz es höflich ab, interviewt zu werden. Büros der jüdischen Gemeinde beantworteten keinen Rückanruf.

So war es Seelmann, ein deutscher Atheist der mit einer katholischen Italienerin verheiratet war, der mir die jüdischen Stätten zeigte, von denen nur noch wenige übrig sind. Im historischen Stadtkern erinnern Gedenktafeln an die ehemaligen Synagogen und das Ghetto. Das Landesmuseum Mainz stellt den ältesten jüdischen Grabstein Europas aus dem Jahr 1049 aus. Die Mainzer Jüdische Gemeinde erlitt ihren ersten großen Niedergang während der Schwarzen Pest von 1348, wofür die Juden verantwortlich gemacht wurden. Die Nationalsozialisten vernichteten die Gemeinschaften und Institutionen die immer noch existierten.

Die neue Synagoge in Mainz, Deutschland, eingeweiht im Jahr 2010 auf dem Gelände der Synagoge von 1922 die in den Pogromen der Kristallnacht zerstört wurde. Foto: Tourismusbüro Mainz

Eine moderne Hommage an die Bedeutung des jüdischen Mainz ist seine neue Synagoge, die im Jahr 2010 auf dem Gelände der Synagoge aus dem Jahre 1922 eingeweiht wurde, die in der Pogromnacht zerstört wurde. Die bombastisch-skulptierte Silhouette der Ersatzsynagoge lautet kedusha oder „Heiligung“ und trägt den Namen „Licht der Diaspora“ nach dem Spitznamen des jüdischen Weisen des 11. Jahrhunderts, Rabbi Gershom ben Yehuda, der den Ruf von Mainz als jüdisch-spirituelles Zentrum begründete.

„Es ist ein Symbol jüdischen Lebens in Mainz“, sagte Seelmann. Der Architekt Manuel Hertz war Schüler des jüdischen polnisch-amerikanischen Architekten, Künstlers und Professors Daniel Libeskind. Als Lehrer für Architekturgeschichte beklagt Seelmann, dass das beeindruckende Interieur für die Öffentlichkeit normalerweise verschlossen ist.

„Die jüdische Gemeinde will nicht, dass Touristenführer die keine Juden sind, Führungen in der Synagoge machen“, sagte Seelmann. Als die Gegensprechanlage der Synagoge summte, sagte eine Frau in einem russischen Akzent, dass sie uns nicht reinlassen könne, weil sie allein sei.

Der jüdische Einwohner von Mainz Konstantin Dulin, 26, kam 1999 aus der Ukraine. Er und seine Frau gehören zu einer Handvoll Shabbat-beobachter Paare. Er betet in der Regel nicht in der Synagoge, weil sie als liberale keine Mechitza hat (eine Trennlinie für Männer und Frauen). Ihre glorreichen Proportionen rechtfertigen nicht unbedingt den Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft.

„Es gibt nicht genug Leute, für die das Judentum wichtig ist“, sagte Dulin in einem Telefoninterview.

Das größte öffentliche jüdische „Highlight“ findet sich tatsächlich in der St. Stephen Kirche, mit biblisch verglasten Fenstern, entworfen von Marc Chagall. Der jüdische Künstler gelobte einst, niemals Kunstwerke für Deutschland zu produzieren, aber eine Freundschaft, die er mit einem Priester, dessen Vater ein lokaler jüdischer Kaufmann war, entwickelt hatte, inspirierte ihn anders.

Eine Tour durch die ShUM-Städte

Für eine umfangreichere Tour der Überbleibsel der „SHum“-Städte empfiehlt es sich, Speyer und vor allem Worms zu besuchen. Am besten in Verbindung mit einem Besuch in Frankfurt, das eine 40-minütige Zugfahrt von Mainz entfernt ist.

Das Jüdische Museum in Worms wird nach dem berühmten Exegeten „Haus Raschi“ benannt, der dort einige Jahre studiert hat. Während Raschi die meiste Zeit seines Lebens in Troyes, Frankreich verbrachte, wurde sein Name zum Teil für Marketingzwecke angepasst, sagte Stella Schindler-Siegrich, die ehemalige Leiterin der jüdischen Gemeinde Mainz (die technisch Worms umfasst).

Aus Respekt vor der Familie Feldmann und wegen politischer Sensibilität lehnte Schindler-Siegrich es ab, die jüngsten tragischen Ereignisse in Mainz zu diskutieren und konzentrierte sich stattdessen auf die antiken Stätten.

„Im Mittelalter war Worms eine sehr wichtige Stadt, denn in Deutschland gab es keine Hauptstadt“, sagte sie auf Hebräisch, was sie in Israel gelernt hatte, nachdem sie mit ihrer Familie aus Polen Aliyah gemacht hatte.

Juden lebten in Worms meist als Kaufleute und Händler, die oft den Bedürfnissen von Bischöfen und Königsfamilien dienten. Ungefähr 100 Juden wohnen in einer ruhigen, ereignislosen Stadt.

Der Synagogenkomplex wurde 1961 auf mittelalterlichen Steinresten restauriert, welche die Kristallnacht überlebten. Die Mikwe zeugt von der Fülle des jüdischen Lebens, das einst existierte. Der größte überlebende jüdische Überrest in ShUM ist der weitläufige Wormser Friedhof – der älteste erhaltene jüdische Friedhof in Westeuropa.

Während des Tages kann man Kinder auf einem Schulhof neben der Synagoge spielen hören. Es ist keine jüdische Schule; sie besteht hauptsächlich aus Schülern türkischer Abstammung. Einige wurden dabei erwischt, wie sie orthodoxe Gläubige welche die Synagoge besuchten mit Steinen bewarfen, was Unruhe in der jüdischen Gemeinde auslöste.

Die Zukunft von ShUM

Dulins Sorge um die jüdische Zukunft von Mainz, hat mehr mit einem allgemeinen Mangel an Engagement im jüdischen Leben zu tun, als mit Sicherheit. Wenn er und seine Frau Kinder haben, werden sie wahrscheinlich in eine Stadt mit robusteren jüdischen Einrichtungen ziehen.

Es ist eine Tatsache, dass die russischsprachige Bevölkerung im Allgemeinen Abneigung gegen die muslimische Gemeinschaft und die Flüchtlinge empfindet (was er nicht teilt) sagte er.

„Ich weiß, dass die älteren Menschen besonders durch den Mord an der jüdischen Schülerin durch einen muslimischen Flüchtling verletzt wurden“, sagte er auf Hebräisch. „Sie haben es als Bedrohung aufgenommen.“

Dulin sagt, er ist auf einige antisemitische Stereotypen in der muslimischen Gemeinschaft gestoßen, aber er ist auch besorgt über den Aufstieg des rechten und linken deutschen Antisemitismus.

„Ich würde diese ganze Geschichte [von Susanna] nicht wirklich mit ihrem jüdischen Erbe verbinden“, sagte Dulin. „Soweit ich weiß, war sie nicht am jüdischen Leben beteiligt.“

Seine Frau, die eine jüdische Jugendgruppe leitet, besuchte einmal Susanna, um sie zu animieren an den Purim-Festlichkeiten teilzunehmen; jedoch war sie nicht gekommen. Aber der bewegende Gedenkgottesdienst der nach ihrer Ermordung abgehalten wurde, brachte die Gemeinschaft zusammen, sagte er.

In der Stadt Mainz ist inzwischen eine weitere jüdische Stätte hinzugekommen: Susannas Grabstein auf dem jüdischen Friedhof.

Von Orit Arfa (JNS)

 

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Von am 21/08/2018. Abgelegt unter Featured. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

Ein Kommentar zu: Die Ruinen des aschkenasischen Judentums am Rhein

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