Sanierung nach Plan 1 – Ein Rollator kommt selten allein.
Meine neue Aufgabe bestand jetzt darin, ein Hotel in Zwangsverwaltung, also kurz vor einer gerichtlichen Zwangsversteigerung wieder auf Kurs zu bringen, aus den gesetzlichen Zwangsmaßnahmen herauszulösen und einen späteren, geordneten Verkauf zu ermöglichen. Der nun schon dritte Eigentümer des Hauses hatte sich vermutlich mehr erhofft, als er dieses Hotel als Renditeobjekt gekauft hat. Substantielle Investitionen in allen Bereichen waren zwingend notwendig, aber wohl nicht wirklich vorgesehen. Die Kausalkette von, Investitionsstau, Werteverfall, Ertragsschwäche, Liquiditätsschwäche und Insolvenz fand dann gerade hier eine besondere Bestätigung. Kurz gesagt: anhaltender Raubbau ist der kürzeste Weg ins geschäftliche Aus.
Ein Hotel in wirtschaftlicher Schieflage, insbesondere unter Zwangsverwaltung, ist eine ganz besondere Herausforderung, nicht nur wegen der in Ordnung zu bringenden Kennzahlen unter den Bedingungen eingeschränkter Handlungsvollmacht, sondern eher darum, weil es um Menschen geht. Es geht um Mitarbeiter und deren Familien, es geht um offene Forderungen seitens der Lieferanten und Handwerksbetriebe und damit auch um deren Existenz und setzt sich fort bis in alle Zweige bisheriger Geschäftsbeziehungen des Hotels und damit natürlich bis zu den Gästen und Kunden. Mitarbeiter mit Zukunftsängsten, mit einer latenten Angst um den Job und Angst vor Arbeitslosigkeit können nicht wirklich motiviert sein, ihren Job gut und engagiert zu machen. Diese Angst musste als erstes genommen werden.
Zunächst aber einige generelle Bemerkungen (meine Veröffentlichung in „InsbürO“, dem Fachmagazin für Rechtsanwälte)
Die drohende oder tatsächliche eingetretene Insolvenz stellt in Deutschland, im Gegensatz zu den USA, neben der tiefen Zäsur eines Unternehmens vor allem eine massive Rufschädigung dar. Speziell in der Hotellerie und im Tourismus reagiert der Markt und das gesamte Umfeld des betroffenen Unternehmens höchst sensibel und es beginnt eine nachhaltig wirkende negative Eigendynamik mit wachsendem Vertrauensverlust, sowohl im Markt, als auch bei den Geschäftspartnern.
Der dadurch einsetzende geschäftliche Schaden steigt exponentiell und ist ungleich größer, als er durch die eigentlichen finanziellen Probleme (grenzwertige oder nicht mehr vorhandene Liquidität) entstanden wäre.
Der Gast, speziell der international Reisende, sucht und bucht vor allem Sicherheit! Die unbekannte Destination ist für ihn zunächst mit der Unsicherheit verbunden, nicht zu wissen, was auf ihn zukommt. Deshalb ist es nur zu verständlich, wenn er sich für eine ihm bekannte Marke entscheidet.
Diese Sicherheit sucht und findet er damit fast automatisch in den großen internationalen Hotelketten, in deren international gleichbleibenden Standards er seine Wünsche und Erwartungen am ehesten erfüllt sieht. Positiv erfüllte Erwartungen quittiert der Gast dann in aller Regel mit Treue zum Hotel / zur Marke und es entwickeln sich Buchungsgewohnheiten bis hin zum Marken- Stammgast.
Hier besteht auch im Kontext der Insolvenz eines mittelständischen Unternehmens der wesentlichste Unterschied zwischen der internationalen Hotelkette und dem Einzelunternehmen, aber zugleich auch der größte Zusammenhang.
Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich, dass der Gast einem Unternehmen, dem der Ruf der „Pleite“ vorauseilt, den Rücken zukehrt.
Warum aber ist gerade die Hotellerie ein derart sensibles Feld im Falle der Insolvenz?
Kein Hotel könnte ohne mannigfaltige Marktverknüpfungen existieren, sei es durch vertraglich eingebundene Reisemittler, durch Konsortialverträge, durch lokale, regionale und überregionale Company- Verträge, durch Online- und Offline Marketing, weltweit einsehbare und damit auch für den Mitbewerber transparente Raten, Angebote usw. Dazu kommt, dass ein Hotelbetrieb ganz wesentlich von der lokalen, regionalen und überregionalen Bekanntheit, von der vorhandenen Infrastruktur und vielen anderen Faktoren lebt, die alle in die Gesamtbeurteilung einfließen müssen. Wie eine Druckwelle nach einer Explosion wird eine temporäre Unsicherheit wie im Falle der Insolvenz sofort in einen riesigen, globalisierten Markt mit unendlichen Querverbindungen getragen und potenziert sich dort von Tag zu Tag.
Hoffnung auf einen Neustart oder Handlungsagonie?
„Cut short, but deep“, also der Austausch der Führungsspitze kann die Basis für einen Neuanfang, muss es aber nicht zwangsläufig sein. Notwendig wird dieser Schritt nur, wenn mangelnde Fachkompetenz anzutreffend ist oder keine erkennbare Bereitschaft zu Änderungen im Geschäftsablauf und mangelnde Handlungsoptionen angetroffen werden.
Zielführender ist die Motivation aller Handelnden durch Befähigung der Geschäftsführung, sich den neuen Herausforderungen erfolgreich (auch mittels Sanierungsplan) langfristig stellen zu können und damit den Fortbestand des Unternehmens und Arbeitsplätze zu sichern.
Vereinfacht kann man sicher auch sagen: Qualität heißt Erwartungen erfüllen und Gewöhnliches außergewöhnlich zu tun.
Kaum ein mittelständisches Hotel kann eine Segmentpolitik wie die internationalen Ketten und anerkannten Labels betreiben, sondern muss die für sich geeignete Nische finden. Das bedeutet in vielen Fällen tatsächlich den Geschäftsverlauf zu analysieren, eigene Statistiken fundiert beurteilen zu können und sich von Geschäftsfeldern zu trennen, deren Ertragskraft zu gering geworden ist. Prioritäten und Posteritäten im Geschäftsalltag zu formulieren und damit das Unternehmen zukunftsfähig zu machen heißt, klare Vorgaben zu machen, neue Ideen einzubringen und ebenso von dem ganzen Team zu fordern, beständigen Benchmark mit den Mitbewerbern zu führen und die Marktveränderungen (auch mittels Hotel- Verband) aufzunehmen und umzusetzen.
Die Sanierung eines Hotels in wirtschaftlich grenzwertigem Bereich ist eine komplexe Herausforderung, zumal es nicht um kurzfristige Erfolge geht wie es bei einigen Interim-Managern sichtbar wird, sondern um eine nachhaltige Stabilisierung und Konsolidierung. Einigen windigen Gesellschaften geht es nur darum, die wichtigsten Kennzahlen des Objektes kurzfristig zu schönen, um dann einen Investor damit zu locken. Das war aber nicht mein Handlungsansatz.
Eine von vielen tragbaren Ideen war, in dem Hotel unter andrem neue Verträge mit internationalen Busreiseveranstaltern einzugehen. Als besonderes usp. (Alleinstellungsmerkmal: unique selling proposition) hatte ich mir den Tourismusmagneten „Rheinromantik“ gewählt, unterschiedliche Reise-Pakete zusammengestellt und diese auf Messen und bei persönlichen Besuchen bei Reiseunternehmen in Europa verkauft. Besonders in den Niederlanden fanden wir dazu viel Zuspruch.
Die Arrangements umfassten von der Wochenendreise bis zu Reisen über 7 Tage sehr unterschiedliche, aber immer preislich attraktive Pakete. Grundsätzlich habe ich mir aber die stark Kommissions-belasteten Reisemittler und Agenturen erspart, die nicht nur Dumping-Eckpreise erwarteten, sondern auch noch satte Provisionen und einen Mindestumsatz, oft nicht unter 100.000,00 EUR. Der eigene Online-Verkauf schied aus Zeitgründen zunächst aus, zumal die Online-Bewertungen des Hotels eher das Gegenteil bewirkt hätten. Es galt also Vertrauen zu generieren und Reiseveranstalter zu gewinnen.
Eines dieser Arrangements war eine 5-Tage-Busreise zu den romantischen, mittelalterlichen Burgen und Schlössern am Rhein, mit dem Höhepunkt „Bundesgartenschau“ in Koblenz, Weinproben in einem der renommierten Weingüter am Rhein und vieles mehr. Eine „Bundesgartenschau“ geht über mindestens ein halbes Jahr und ist daher gut geeignet für ein Saison-Arrangement.
Das erste große Busreisegruppen-Arrangement beinhaltete neben den Übernachtungen das obligatorische Frühstücksbuffet, jeweils am Abend ein Dinner-Buffet oder 3-Gang Menü, einen Tanzabend, eine Busfahrt zum Drachenfels, den die Bonner wegen der vielen Touristen aus den Niederlanden gerne auch als höchsten Berg Hollands bezeichnen und Schloss Drachenburg in Königswinter sowie eine Bus-Rundfahrt entlang des Rheins mit den schönsten Burgen und Schlössern zwischen Bonn und Boppard. Der Höhepunkt war natürlich der Besuch der „Bundesgartenschau“ in Koblenz mit einer Gondelfahrt vom „Deutschen Eck“ (Zusammenfluss von Mosel und Rhein mit Kaiser-Denkmal) zur Festung Ehrenbreitstein, hoch über Koblenz, Imbiss im Garten des Koblenzer Schlosses und dann abschließend eine Weinprobe in einem befreundeten Weingut.
Die ersten Busgruppen habe ich aus vielen Gründen zunächst selbst begleitet und dabei auch ein logistisches Problem erlebt, an das ich bei der Zusammenstellung des Arrangements nie gedacht hätte. Als einer der Reisebusse aus den Niederlanden am Anreisetag vorfuhr, wollte ich die Gäste persönlich zu ihrem Wochenaufenthalt begrüßen und erlebte die erste große Überraschung beim Entladen des Gepäcks. Der Busfahrer lud zunächst die Koffer der Gäste aus, dann einen Rollator, dann noch einen und noch einen… Am Ende standen neben dem Bus über 30 Rollatoren und ich ahnte Schlimmes für die Touren und den Ablauf des Arrangements. Meine Vorahnung bestätigte sich schneller, als gedacht.
Im Gegensatz zum Individualgast in der 4* und 5*- Hotellerie tragen die Bus-Reisenden ihre Koffer nach dem Check-in selbst auf ihre Zimmer, reduzierte Preise haben eben auch reduzierte Leistungen zur Folge. Nicht aber diese Gruppe, denn die Reisenden hatten mit ihren Rollatoren vollauf zu tun. Also galt es, 45 Koffer mit der eignen Hotelcrew, die ob der wirtschaftlichen Lage auch nicht so üppig aufgestellt war, auf die Zimmer zu bringen.
Der Zug der „Rollatoren-Gruppe“ vom Bus zum Hoteleingang und dann zur Rezeption sorgte für manches Lächeln bei an anderen Gästen und mir ging bis zur Abreise der Gruppe das Bild des Gefangenen-Chores von Guiseppe Verdis Oper „Nabucco“ nicht mehr aus dem Kopf.
Aus Gründen zeitlicher Flexibilität hatten wir für die Gruppe ein Dinner-Buffet vorbereitet und staunten nicht schlecht, als unsere Gäste plötzlich ihre Rollatoren vergaßen, sich nach Herzenslust am Buffet bedienten und ohne Mühe das Restaurant durchquerten. Man hatte das Gefühl, dass der Blinde sehend und der Lahme gehend wurde. Der Busfahrer klärte uns auf, dass in den Niederlanden die Menschen einem größeren Gruppenzwang unterliegen und sich das Bedürfnis, das zu haben was der Nachbar hat, ausgeprägter zeigt als bei uns. So auch bei einem Rollator.
Am nächsten Morgen stand der erste Ausflug an. Ziel war Schloss Drachenburg und der sagenumwobene Drachenfels bei Königswinter. Selbstverständlich wurde der steile Aufstieg mit der Zahnradbahn bewältigt, aber auch das war ein besonderes Erlebnis, denn diese fährt nach einem Fahrplan jeweils pünktlich ab. Normalerweise! An dem Tag gab es eben wegen uns Verspätungen, bergauf und bergab. Bereits beim Boarding am Hotel wurde klar, dass dieser Ausflug anders verlaufen würde, als bei allen anderen vorher. Normalerweise brauchen Gäste nur wenige Minuten, um einzusteigen und ihre Plätze einzunehmen. Der Busfahrer musste aber hier zunächst alle Rollatoren im Gepäckraum verstauen und dann nach einer gefühlten Ewigkeit begann die obligatorische Anwesenheitskontrolle vor der Abfahrt des Busses. Diese Prozedur wiederholte sich bei jedem Stopp. Ausladen, zum Ziel laufen, zurück zum Bus, einladen…..
Der akribisch ausgearbeitete und zeitlich geprüfte Zeitplan des Ausfluges war damit Makulatur geworden. Nur gut, dass ich alle Kontaktdaten und zeitliche Vereinbarungen bei mir hatte. Ich war Reiseleiter, Unterhalter, ad hoc-Organisator und manchmal auch behutsamer Antreiber zugleich. Die erste Tour zum Drachenfels war aber nur die Ouvertüre zur noch anstrengenderen großen Rundfahrt am Rhein mit dem Höhepunkt „Bundesgartenschau“ in Koblenz. Jetzt könnte man fragen, warum packt ihr soviel in ein Senioren-Programm? Die Antwort ergibt sich aus der Erwartungshaltung der Reiseunternehmen und der Reisenden selbst. Viel erleben zum kleinen Preis und genau das hat eben auch Grenzen. Zeitdruck und teilweise physische Überforderung sind die Folgen.
Der Hauptreisetag hatte aber noch einige Überraschungen parat. Der erste Halt war das „Deutsche Eck“ in Koblenz, also der Zusammenfluss von Mosel und Rhein mit dem imposanten Kaiserdenkmal und der neu erbauten Gondelbahn zur „Festung Ehrenbreitstein“, hoch über Koblenz. Genau da wollten wir mit Blick auf den Fluss zu Mittag essen. Fast 50 Plätze in einem Restaurant zu Zeiten einer „Bundesgartenschau“ frei halten verlangt Pünktlichkeit, aber die konnten wir schon mal nicht halten. Der Rüffel des Kollegen war mir sicher und als Entschuldigung eine Einladung zum Dinner bei mir unausweichlich.
Nach dem Imbiss am Rhein setzte sich meine „Nabucco“-Gruppe, wie ich sie im Stillen nannte, in Richtung Gondelbahn in Bewegung. Wenige hundert Meter wurden zur Ewigkeit und der Zug der Rollatoren immer länger. Die Außentemperaturen hatten mittlerweile die 30°C Marke überschritten und die Gäste waren jetzt schon müde und teilweise erschöpft. Dass dann beim Betreten der Bodenstation der Gondelbahn einige wegen Höhenangst nicht mit wollten machte es dann nochmals komplizierter. Also, Gruppe teilen! Ein großer Teil fuhr mit mir in der Gondelbahn, ein kleiner Teil mit dem Bus zur Festung hinauf. Das Problem war nur, dass die Ankunftspunkte von Gondelbahn und Busparkplatz nicht identisch waren und die Festungsanlage, Teil der „Bundesgartenschau“, riesig und ohne schattige Bäume war. Die Herausforderung bestand nun darin, die Gruppe wieder zusammen zu bringen, Kaltgetränke zu beschaffen und ein schattiges Plätzchen für eine Verschnaufpause zu finden, wo sich meine Senioren -allesamt liebe Gäste- ausruhen konnten. Nach dieser Hürde fuhren wir zu einem befreundeten Weingut am Rhein und genossen eine Weinprobe der dort produzierten Rieslinge. Die Kellerführung sparten wir uns aus gutem Grund.
Nach der Rückkehr ins Hotel war mir das Bedürfnis nach Valium größer, als jedes Feierabendgetränk.
Diese Gruppe ist trotz der Anstrengungen nach einer Woche zufrieden abgereist, ich habe meine Hausaufgaben gemacht und die Tour gründlich überarbeitet.
Als Baustein der wirtschaftlichen Konsolidierung des Hotels, also um Umsatz und Ertrag zu generieren, hat sich die Mühe doppelt gelohnt, denn ist es mühsam und langwierig, zufriedene Gäste und Reiseveranstalter aufzubauen und diese auch zu halten. Dieser Nachhaltigkeitsgedanke macht den Unterschied zwischen Sanierung und kurzfristigem Erfolg für einen Verkauf des Hotels, den leider einige Unternehmen mit Interim-Managern praktizieren. Leider gibt es auch für diese schwarzen Schafe am Markt einen Bedarf, mit Sanierung hat das aber nichts zu tun, viel eher mit einem Pferdemarkt vergangener Zeiten.
Von Gerhard Werner Schlicke
(Alle Ereignisse beruhen auf wahren Begebenheiten, Namen von noch lebenden Personen wurden verfremdet oder aus Gründen der Diskretion weggelassen)
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