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Deutschland: Arabischer Gesundheitstourismus

Episoden aus meinem Hotelleben. Folge 1

Anfang der 1990er Jahre war Bonn noch die Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands. Sympathisch, sauber, sicher, grün, mit angenehmer Größe und vollständig geprägt durch die Regierung, die Ministerien, die Botschaften, Verbände, Lobbyisten und Journalisten und Beamte aller Couleur. Der Rhythmus des Jahres wurde weniger durch die Jahreszeiten geprägt, als viel mehr durch den Arbeitsrhytmus des Parlaments.

Godesberger Fußgängerzone. Bildquelle: Generalanzeiger Bonn.

In den Monaten Juli und August war diese Stadt, die man auch als das Tor zum romantischen Rhein bezeichnet, immer wie leergefegt. Veranstaltungen, Tagungen und Kongresse, Arbeitsessen und diskrete Meetings im kleinen Kreis, Abgeordneten-Reisegruppen und Veranstaltungen der Bundespressekonferenz fanden ebenso wenig statt wie Staats- oder Botschaftsempfänge und die Hoteliers der Stadt jammerten auf höchstem Niveau. Keiner wollte zugeben, dass diese Zeit so planbar ist, wie Ostern und Weihnachten.

Um diese „saure-Gurken-Zeit“ mit Gästen aufzufüllen und Umsatz zu generieren kam unser General Manager des neu erbauten First-Class Hotels an der Grenze zwischen Regierungs- und Botschaftsviertel in Bonn-Bad Godesberg auf die glänzende Idee, das besondere Potential der Stadt für die Gästegewinnung zu nutzen. Keine Stadt hatte zu dieser Zeit eine höhere Dichte an Kliniken und Fachärzten wie Bonn. Andere Städte wie München und Wiesbaden erlebten bereits einen regelrechten Boom mit solventen arabischen Gästen, weil London ob der Terroranschläge zunehmend unattraktiver wurde. Dieser Gesundheitstourismus bescherte den dortigen Hoteliers, dem Upperclass Einzelhandel und insbesondere den medizinischen Einrichtungen gehörigen Aufwind.

Bonn hatte es bis dato nicht nötig, sich um die Akquise dieser Gäste zu kümmern, Bonn war Hauptstadt. Unser GM hatte es sich zur Aufgabe gemacht, als Novum für Bonn erstmals arabische Gäste zu holen und legte somit den Grundstein für eine ausgesprochen dynamische Entwicklung des arabischen Gesundheitstourismus für diese Stadt.

Als dann die ersten Gäste anreisten begann für uns ein intensiver Lernprozess, insbesondere in der Akzeptanz einer bis dahin unbekannten Gäste-Kultur. Umgekehrt bauten die Gäste ihre Skepsis unserem Hotel gegenüber schrittweise ab. Erfahrungen mit deutschen Luxus-Hotels und medizinischen Einrichtungen gab es bei den Gästen nur sehr wenig und umgekehrt hatten wir keine Erfahrung mit deren Gewohnheiten und Ansprüchen an Dienstleistungen.

Nachdem in allen vorgesehenen Suiten die sonst obligatorischen Bibeln und aus den Minibars der Alkohol entfernt wurde, konnten die Gäste kommen. An den, die Himmelsrichtung nach Osten anzeigenden Pfeil auf dem Boden der Hotelzimmer für die täglichen Gebete hatte natürlich ebenso wenig jemand gedacht, wie an viele andere Dinge, die einen angenehmen Aufenthalt für dieses Klientele erst ausmachen. Wir lernten aber recht schnell, auch Wünsche zu erfüllen obwohl sie noch nicht ausgesprochen wurden.

Bereits bei der Anreise wurden aber die Unterschiede zu unserem gewohnten Gästekreis sichtbar. Während europäische Gäste selbst bei längeren Aufenthalten nur mit einigen Koffern und Taschen anreisen und diese bequem auf einen Kofferwagen passen, musste für diese arabische Familie ein Lkw entladen werden. Unsere Pagen luden ebenso Koffer und Kisten aus, wie Säcke mit Reis und Hirse und in Plastiktüten verpackten, offenbar Halal-geschlachtete und damit importierte Lämmer, die deren mitgereister Koch später zubereitete. Die erste Überraschung war also, dass dieser Koch eine eigene Küche und diverse Kühlflächen brauchte. Das war glücklicherweise in unserem Haus kein wirkliches Problem, denn wir verfügten über eine bis dahin nicht genutzte, aber voll eingerichtete Catering-Küche außerhalb der regulären Küche. HACCP war dann aber dort bis zur Abreise unserer Küchencrew überlassen.

Ungewöhnlich für die meisten unserer Mitarbeiter war, dass das Familienoberhaupt mit mehreren Frauen, zahlreichen Kindern allen Alters, Nannys und Koch anreiste. Unser Sicherheitsmann wurde kurzerhand zum persönlichen Fahrer mit dem Repräsentations-Pkw des Hotels für die Familie abgestellt und hatte bis zur Abreise mehr als genug zu tun. Shuttle-Fahrten zu Ärzten und Kliniken waren ebenso normal wie Shopping-Trips nach Düsseldorf, Frankfurt oder Amsterdam.

Viele Mitarbeiter waren neugierig, wie wohl die Frauen mit Burka essen und trinken würden. Diese, für die Damen eher unangenehme Situation konnte dadurch entschärft werden, dass sie entweder in deren Suiten ihre Mahlzeiten einnahmen oder in einem separaten Salon neben dem Buffet- Restaurant.

Viele Kleinigkeiten und kulturellen Besonderheiten der Gäste beherrschten wir zu Beginn noch nicht und damit waren Missverständnisse und Anfangsprobleme vorprogrammiert, die Ausschilderung des Lunch- und Dinner-Buffets in englischer Sprache war dabei noch das geringste Problem.

Eines Tages, ich arbeitete gerade in meinem Büro am Ende des sehr großen Bankett-Bereiches des Hotels, als ein Fernseher krachend auf dem Weg neben dem Hotel landete. Was war passiert?
Die Kinder des Prinzen wollten sich mit Fernsehen die Zeit vertreiben und Filme ansehen, aber es gab keine arabischen oder englisch sprachigen Programme. Daran hatte bis dato keiner gedacht. Aus Frust haben sie dann den Fernseher aus dem Fenster des 6. Stockwerks geworfen. Der Fernseher kam ebenso auf die Gesamtrechnung wie Room Service und alles andere was die Familie rund um ihren Aufenthalt verbrauchte. Dieses allerdings musste ich als Manager on Duty erst dem Familienoberhaupt vermitteln. Nach meinem Anruf empfing mich der Prinz in seiner Präsidenten-Suite und was ich sah verschlug mir die Sprache. Auf dem pastellblauen Hoch Floor-Teppich des Wohnzimmers waren große Fettflecke. Wie war das zu erklären, war doch die Suite vor Anreise akribisch gecheckt worden?

Die arabische Familie des Prinzen war es gewohnt, im Kreis sitzend gemeinsam zu essen und nicht wie wir, am Tisch. Das hätten wir sicher auch vorher wissen können, aber auch dieses Detail im kulturellen Unterschied mussten wir erst lernen. Nach 2 Stunden intensivsten Gespräches, mir brummte bereits der Kopf vom Dampf der Wasserpfeife des Familienoberhauptes, waren wir uns über den Schadensausgleich einig und der mit anwesende Hotel-Dolmetscher froh, dieser für ihn schwierigen Situation entkommen zu können. Das Leben ging weiter, als wenn nichts geschehen wäre. Für den Prinzen war das alles völlig normal und mit Geld auszugleichen. Nur die Höhe war eben Verhandlungssache. Was aber wäre gewesen, wenn eine unsere weiblichen Abteilungsleiter eine Klärung hätte herbeiführen müssen?

Das war aber noch lange nicht das Ende der Rechnung, die üblicherweise von der Botschaft des Landes ausgeglichen wurde, manchmal eben nicht sofort nach Check out, sondern erst am Jahresende. Auch etwas, was man als Kaufmann wissen sollte.

Einer der Söhne, wir würden heute sagen ein junger Erwachsener, wollte unbedingt selbst Auto fahren, durfte es aber eigentlich in Deutschland nicht. Egal, wir holten auf Wunsch des Prinzen ein Cabriolet und der Sohn fuhr dann so lange rund um das große Rondell vor dem Hoteleingang, bis der Tank leer war. Der Sohn war glücklich, der Vater zufrieden, also waren wir als Gastgeber auch glücklich. Ganz andere Bankett-Brigade, bei denen sich unsere Room Service Thermokannen ausgeliehen hatte. um den exorbitanten Bedarf an Tee in den Zimmern der arabischen Gäste zu bedienen Nach Gebrauch waren diese allerdings dann nur noch für die Entsorgung geeignet.

Was alle nicht wussten: die Gäste tranken ihren Tee mit Kardamom und dieses Gewürz lässt sich mit keiner Reinigung entfernen. Kaffee in der gleichen Kanne auszuschenken wäre für deutsche Tagungsgäste nicht zumutbar.

Die Bilanz des ersten Jahres mit arabischen Gästen in Bonn war unter dem Strich dennoch sehr gut, so dass sich dann ab dem Folgejahr, ausgehend von unserem Hotel dieser spezielle Tourismus von fast allen Hoteliers bedient wurde und ist heute eine Selbstverständlichkeit, in der Bonner Bevölkerung aber nicht unumstritten.

(Alle Ereignisse beruhen auf wahren Begebenheiten, Namen von Personen wurden verfremdet oder aus Gründen der Diskretion weggelassen)

Von Gerhard Werner Schlicke

 

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Von am 29/04/2018. Abgelegt unter Europa. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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