An diesem geschichtsträchtigen Freitag titelte die Zürcher Zeitung: Deutschland entfesselt den Krieg im Westen“ und in der Nebenspalte: Generalmobilmachung der schweizerischen Armee. Bern, 10. Mai. Nach der heutigen Bundesratssitzung, an der auch General Guisan teilgenommen hatte, wurde mitgeteilt: In Anbetracht der tiefgreifenden Veränderungen in der Lage an der Westfront und um jeder Möglichkeit gewachsen zu sein und jeder Bedrohung begegnen zu können, von welcher Seite sie auch komme, entsprechend dem absoluten Neutralitätswillen der Eidgenossenschaft, hat der Bundesrat auf Vorschlag des Generals die Generalmobilmachung der schweizerischen Armee auf morgen Samstag 9.00 Uhr angeordnet. Der Kriegsfahrplan wird heute um Mitternacht vom Freitag auf den Samstag in Kraft gesetzt. Der Bundesrat hat ferner beschlossen: Alle Visa, die von unseren Gesandtschaften und Konsulaten im Ausland ausgestellt worden sind, werden mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Alle Visa für den Eintritt in die Schweiz aus allen Ländern werden künftig nur von der Polizeiabteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepatements erteilt. An den Grenzen gegen Deutschland und Frankreich wird mit sofortiger Wirkung die Grenzkontrolle eingeführt.
Und weiter heißt es: Bern, 10. Mai. Der Bundesrat ist heute um 9 Uhr zur gewohnten Freitagssitzung zusammengetreten. Vor Beginn der Verhandlungen hatten die Mitglieder von den Ereignissen der vergangenen Nacht Kenntnis und an Hand des Nachrichtenmaterials Einsicht in das deutsche Memorandum über den neuesten deutschen Vorstoß gegen neutrale Staaten genommen. Auf dem Politischen Departement funktionierte die telephonische Verbindung mit den diplomatischen Vertretungen der Schweiz mit Belgien und Holland ungleichmäßig. Aus Brüssel liegen Mitteilungen über die Mobilisation und die Bombenangriffe vor; diese haben, wie man vernimmt, auch ein schweizerisches Opfer gefordert. Um 10 Uhr begab sich General Guisan in die Bundesratssitzung. Daß die erneute Generalmobilmachung angeordnet werde, hatte man diesen Vormittag in der Bundesstadt nach der Lage der Dinge allgemein erwartet. Der Bundesrat weiß sich mit dem Schweizer Volk einig in der Bereitschaft zum äußersten Widerstand gegen jede Bedrohung unseres Landes. Dem Selbstbehauptungswillen der Eidgenossenschaft wird der Bundespräsident auch jetzt wieder, wie bei der Generalmobilmachung Ende August 1939, in einer Radioansprache Ausdruck verleihen.
Weitere Kurzmeldungen bringen den Überfall des Nazi-Reiches zum Ausdruck.
Bombenabwurf im Berner Jura, Bern, 10. Mai. Der Armeestab teilt mit: Heute morgen um 5 Uhr 20 hat ein Flugzeug unbekannter Nationalität vier Bomben auf die Eisenbahnlinie Delsberg-Moutier in der Nähe von Courrendlin abgeworfen. Eine Untersuchung ist im Gange. Weiters teilt der Armeestab mit, daß auf die Eisenbahnlinie bei Courrendlin 17 Bomben abgeworfen wurden.
Paris, 10. Mai: Der belgischen Botschaft in Paris wurde telephonisch bekanntgegeben, daß 37 deutsche Flugzeuge Antwerpen bombardiert und das dortige Militärspital zerstört hätten.
Brüssel, 10. Mai: Meldung der „United Press“: Bei der Bombardierung des Flugplatzes von Brüssel, die heute morgen erfolgte, wurden zahlreiche Gebäude zerstört und eine unbekannt Anzahl von Personen getötet.
Und weiter geht es auf der Titelseite: Deutsche Fallschirmspringer in alliierten und holländischen Uniformen, Hilversum, 10. Mai: Durch den holländischen Rundfunk wurde ein Aufruf an die Bevölkerung erlassen, worin es heißt, daß deutsche Fallschirmabspringer zum Teil in alliierten und holländischen Uniformen auf niederländischem Boden niedergegangen seien. Der Bevölkerung wurde äußerste Vorsicht und Wachsamkeit eingeschärft.
Amsterdam, 10. Mai, Meldung der „United Press“: Eine große Zahl von deutschen Fallschirmtruppen wurde von deutschen Maschinen in der Nähe von Leiden, Flugplatz Waalhaven, gelandet. Weitere Fallschirmabteilungen wurden bei Hooge Zwaluwe abgesetzt. Auf der Maas sind deutsche Flugzeuge in der Nähe der deutschen Grenze niedergegangen und haben eine beträchtliche Anzahl von Truppen in Gummibooten ausgesetzt, die an Land ruderten. Nach bisher unbestätigten Meldungen sollen deutsche Truppen auch bei Roermond die holländische Grenze überschritten haben. Ueber Strijen wurden hundert deutsche Maschinen gesichtet, fünfzig Heinckel-Bomber erschienen über Gliedrecht und Den Haag in dreihundert Meter Höhe. An verschiedenen Stellen wurden Fallschirmtruppen abgesetzt, so rund hundert Mann in der Nähe von Dordrecht und andere Abteilungen in der Nähe von Delf bei Gliedrecht und Naarden.
Deutsche Flugzeuge über Schweden, Abschuß eines Transportflugzeuges. Göteborg, 10. Mai: Ein deutsches Transportflugzeug vom Typ Junkers „Ju 52“ wurde gestern um 18 Uhr 5 von der schwedischen Flugabwehr abgeschossen. Die Zahl der Todesopfer ist nicht bekannt.
Strömstad, 10. Mai: Deutsche Jagdflugzeuge, die am Mittwoch schwedisches Gebiet überflogen haben, sind, wie berichtet wird, durch das Feuer der schwedischen Flak-Batterien vertrieben worden. Gestern morgen erschien ein deutsches Bombenflugzeug in geringer Höhe über Talsund. Als die Maschine von der Abwehr unter Feuer genommen wurde, drehte sie ab und entfernte sich über die norwegische Grenze. Wie berichtet wird, seien die Nazi-Hoheitszeichen auf den Flügeln deutlich zu sehen gewesen.
Von deutscher Seite ist zu hören: Deutscher Angriff im Westen „auf breitester Front“. Berlin, 10. Mai, Deutsches Nachrichten Büro: Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: Angesichts der unmittelbar bevorstehenden feindlichen Kriegsausweitung auf belgisches und holländisches Gebiet und der damit verbundenen Bedrohung des Ruhrgebietes ist das deutsche Westheer am 10. Mai bei Morgengrauen zum Angriff über die deutsche Westgrenze auf breitester Front angetreten. Gleichzeitig hat die Luftwaffe mit großem Erfolg die feindlichen Flugplätze angegriffen und mit starken Verbänden zur Unterstützung des Heeres in den Erdkampf eingegriffen. Um die Gesamtoperationen der Wehrmacht zu leiten, hat sich der Führer und oberste Befehlshaber an die Front begeben.
Unter einer Flut von Beschuldigungen gegen Belgien und Holland, denen alle nur denkbaren Verfehlungen und Verstöße gegen die Neutralität bis weit zurück in die Vergangenheit vorgeworfen wurden, und unter der Fiktion, dass hinter dem irreführenden Schleier britischer Kriegsausweitungspläne in Südosteuropa plötzlich und in letzter Stunde der eigentliche Angriffsplan der Alliierten gegen das Ruhrgebiet offenbar geworden sei, entfesselte Nazi-Deutschland eine seit langem geplante und im Lauf der letzten Monate 1939/40 bis in alle Einzelheiten vorbereitete Aktion. Darunter verstand man auch die Vernichtung der Juden nach dem Sieg.
Von Rolf von Ameln
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