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Zeitgeschichte in den Israel Nachrichten: Die Nationalsozialisten und der Fall Gelb

Am 10. Mai 1940 begann die „Großdeutsche Wehrmacht“ mit dem Überfall auf die westlichen Nachbarn des Deutschen Reiches, aber anders als im Ersten Weltkrieg führte die Offensive diesmal schnell zum Erfolg. England und Frankreich hatten Polen, für den Fall, dass es von Nazi-Deutschland angegriffen würde, militärische Hilfe zugesagt. In der Tat hatten beide dem Deutschen Reich am 3. September 1939 den Krieg erklärt. Viel geschehen war danach allerdings nicht; den Sieg der deutschen und sowjetischen Angreifer über Polen hatten die beiden Westmächte nicht verhindern können. Den winter 1939/40 hindurch hatte es an der deutsch-französischen Grenze zwischen Luxemburg und der Schweiz einen „Sitzkrieg“ gegeben; „drole de guerre“, den „seltsamen Krieg“ hatten ihn die Franzosen genannt.

Jedem war klar gewesen, dass es im Frühjahr zu ernstlichen Kampfhandlungen kommen würde, und jetzt, am 10. Mai 1940, war es soweit. Auf beiden Seiten wurden Erinnerungen an das Jahr 1914 wach. Wie damals griffen deutsche Truppen durch Belgien hindurch an, um die starken französischen Befestigungen zwischen Mosel und Rhein sowie weiter südlich entlang des Oberrheins im Norden zu umgehen. Dass es aber um mehr ging als nur um eine operativ günstige Angriffsposition gegen den „Erzfeind“ Frankreich war schon daran zu erkennen, dass anders als 1914 Deutschland nun auch die Niederlande in den Krieg einbezog. Der gleichzeitige Angriff auf den nördlichen Nachbarn Belgien band zusätzliche Kräfte, ohne die Operation gegen Frankreich zu beeinflussen – zum Angriff auf Frankreich leistete er keinen militärischen Beitrag, sein Zweck bestand allein im Geländegewinn für Adolf Hitlers Imperium.

Foto: Archiv/RvAmeln

Auch der Generalstab des Heeres hatte zunächst bis in den Winter hinein eine Wiederholung des Angriffsplans von 1914 im Sinn gehabt, also einen deutschen Angriff von Norden, durch Belgien hindurch. Dann aber verschob sich der Schwerpunkt in den deutschen Planungen immer weiter nach Süden. Der Stoß nach Belgien und in die Niederlande hinein war zwar politisch nach wie vor gewünscht, operativ dagegen war er vor allem ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver. All die Siege, die in den deutschen Zeitungen Mitte Mai 1940 lautstark gefeiert wurden, täuschten darüber hinweg, dass der Krieg woanders entschieden wurde. Dabei waren die Erfolge, für sich betrachtet, ja spektakulär genug. Die große belgische Festungsstadt Lüttich, um die 1914 lange gekämpft worden war, fiel innerhalb von wenigen Tagen.

Die in der Zwischenkriegszeit erbaute riesige unterirdische Betonfestung Eben Emael mit ihrer Besatzung von fast 1.100 Soldaten, die den wichtigen Ablertkanal kontrollierte, fiel der Luftlandung von knapp 80 deutschen Fallschirmjägern zum Opfer. Dinant, Ort eines deutschen Kriegsverbrechens im Ersten Weltkrieg, fiel ebenfalls nach kürzester Zeit. Die deutsche Propaganda setzte bereits nach wenigen Tagen auf die normative Kraft des Faktischen und stellte die militärischen Erfolge der Wehrmacht heraus. Erstaunlich war die aus der „Neuen Züricher Zeitung“ herauszulesende große Ruhe der Bevölkerung in der Schweiz. Immerhin hatte Deutschland zuerst die Neutralität Dänemarks und Norwegens missachtet, dann die der Benelux-Staaten.

Unter ein militärischen Gesichtspunkten mochte es für Deutschland lohnend erscheinen, die französische Maginotlinie im Süden unter Verletzung der Schweizer Neutralität zu umgehen; – moralische oder juristische Bedenken hätten Hitler jedenfalls nicht abgeschreckt. Dass den Eidgenossen in der Schweiz nicht das gleiche Schicksal bevorstand wie Holland, Belgien und Luxemburg war keinesfalls sicher. Die holländischen Behörden waren sehr wohl über die deutschen Angriffspläne informiert. Entsetzt über den beabsichtigen Neutralitätsbruch hatte der im „Amt Ausland Abwehr“ tätige Oberst Hans Oster, der zum militärischen Widerstand gegen das Nazi-Regime gehörte, den holländischen Militärattache Oberst Bert Sas über die bevorstehende Offensive informiert.

Allerdings hatte Hitler den Termin zum Angriff wiederholt verschoben. Oster hatte über Sas fast jedes Mal den neuen Termin nach Den Haag weitergegeben, und darunter hatte die Glaubwürdigkeit seiner Informationen auf Dauer gelitten. So wurde das holländische Militär überrascht und überrollt, obgleich es nicht im Schwerpunkt des deutschen Vorstoßes lag. Lediglich eine der zehn im Westen eingesetzten deutschen Panzerdivisionen griff hier an. Allerdings kam die von Göring propagandaträchtig aufgebauschte deutsche Luftwaffe zum Einsatz. Am 14. Mai legte ein groß angelegter deutscher Luftangriff weite Teile der Stadt Rotterdam in Schutt und Asche.

Daraufhin kapitulierten die niederländischen Truppen, die Königin und die Regierung gingen nach London ins Exil. Als am 28. Mai auch die belgische Armee kapitulierte, entschloss sich König Leopold, im Land zu bleiben. Die eigentliche Meldung stand in „Ostfriesischen Tageszeitung“, etwas versteckt in der linken Spalte auf der Titelseite: „Deutsche Truppen sind in Sedan eingerückt.“ Sedan war der Schauplatz des entscheidenden deutschen Sieges im Krieg gegen Frankreich 1870/71, jede größere deutsche Stadt hatte ihre Sedan Straße, und bis 1918 war der Sedan-Tag öffentlicher Feiertag gewesen. Jetzt standen erneut deutsche Truppen in Sedan, unterstützt von erheblichen Luftwaffenkräften, die laut „Ostfriesischer Tageszeitung“ bis zu 70 französische Flugzeuge abgeschossen haben sollen.

Die von der deutschen Zensur kontrollierte Zeitung berichtete an diesem 15. Mai auch noch immer nicht die wahren, zumindest nicht die aktuellen Sachverhalte. Die deutschen Spitzen hatten die Stadt Sedan und die Maas bereits am 12. Mai erreicht, am 13. gelang es Kräften der deutschen Infanterie, einen Übergang über die Maas zu schaffen sowie den Durchbruch durch die Befestigungsanlagen auf dem linken Ufer. Damit war die verlängerte Maginotlinie an einer entscheidenden Stelle überwunden. Verzweifelt, aber vergeblich versuchten französische und britische Bomber, die bei Sedan über die Maas geschlagenen Kriegsbrücken zu zerstören und so wenigstens das Nachziehen größerer deutscher Panzerverbände auf das Westufer zu verhindern – das war die Gelegenheit für die deutschen Jäger, viele gegnerische Flugzeuge abzuschießen.

Am 14. Mai brachen die deutschen Panzerverbände dann aus ihren auf dem linken Maasufer entstandenen Brückenköpfen aus. Warum aber, so stellte sich die Frage, erwähnte die deutsche Propaganda das alles nicht? Deutsche Soldaten im Raum Sedan, die im Rundfunk die Siegesmeldungen hörten, wunderten sich, dass ihr Vorstoß so wenig erwähnt wurde. Die französischen Truppen, die wie seit Langem geplant dem deutschen Vorstoß in Belgien und den Niederlanden entgegengingen, liefen in Wahrheit in eine strategische Falle: Der Schwerpunkt des deutschen Angriffs lag in den belgischen Ardennen und bei Sedan. In den folgenden Tagen stießen die sieben Panzerdivisionen, die erstmals zu einer echten Panzerarmee zusammengefasst operierten, durch Nordfrankreich bis zur Kanalküste vor; alle Kräfte der Alliierten, die nach Belgien vorgerückt waren, waren damit abgeschnitten und mussten letztendlich bei Dünkirchen kapitulieren, sofern sie nicht über den Kanal nach Großbritannien in Sicherheit gebracht wurden. Diese Falle aber konnte nur zuschnappen, wenn sich der französische Generalstab möglichst lange über die wahren deutschen Angriffsabsichten täuschen ließ. Die Schlagzeilen in der „Ostfriesischen Tageszeitung“ und auch den anderen deutschen Blättern belogen so nicht nur das deutsche Volk über die angeblichen Kriegsvorbereitungen der überfallenen neutralen Staaten, sie täuschten auch den Gegner über den Einsatz der deutschen Kräfte.

Die „Ostfriesische Tageszeitung“ war auch ein Blatt der NSDAP im Gau Weser-Ems. Gründer und Verleger war der Landwirt Jaques Bauermann-Groeneveld, der später etliche Parteiämter bekleiden sollte. Die Zeitung war das wichtigste Propagandaorgan auf der ostfriesischen Halbinsel und maßgeblich an der Audgrenzung der Juden beteiligt. Während auf der Titelseite der „Ostfriesischen Tageszeitung“ die siegreichen deutschen Soldaten pathetisch bejubelt werden, erhalten die Leser auf der vierten Seite eine Ahnung von der nüchternen Realität des Krieges: Die ersten Todesanzeigen von Gefallenen.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 28/03/2018. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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