Angelehnt an den Werbeslogan einer Schweizer Kräuterbonbon Werbung sei auch hier die Frage nach dem wirklichen Ursprung von HACCP (Hazard Analysis and Critical Control Points) gestattet.
De Jure sind diese Hygienerichtlinien sicher der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA zuzuordnen (siehe auch Artikel Esther Scheiner in IN 19.03.18 „koscher…“), de Facto aber basiert dies auf jüdischen Wurzeln der koscheren Küche.
Die strengen Regeln der koscheren Küche sind so alt, wie das Judentum selbst und haben sich in den über 2000 Jahren der direkten jüdischen Geschichte stetig weiterentwickelt, ebenso wie die Erkenntnisse zu den einzelnen Lebensmitteln und technischen Hilfsmittel in der Küche bzw. der Lebensmittelverarbeitung.
Vom Erdbackofen zum Konvektomaten, von der Kühlung mit Natureis über Kunsteis zu modernen elektrisch betriebenen Kühlhäusern und Kühlschränken, vom Kochen über offenem Feuer zu modernsten computergesteuerten Induktionsherden usw. Der technische Fortschritt hat auch vor der koscheren Küche nicht Halt gemacht, sie hat es aber vermieden, die positive Entwicklung mit Bürokratie zu ersticken.
Vermutlich war es der NASA zu despektierlich zu verlangen und auch so zu kommunizieren, dass die Astronauten mit koscher hergestellter Nahrung versorgt werden.
Das HACCP Gesetz entspricht exakt US-amerikanischer Management-Denkweise und somit wurde ein weiteres Bürokratie- und Kontrollmonster entwickelt. Die tiefere Ursache liegt wohl in der inhomogenen US-amerikanischen Restaurant- und Küchenlandschaft einschließlich Cateringbetrieben. Wenige Top-Küchen in Restaurants und Hotels stehen sehr viele unterschiedliche, kleine Küchen ohne verbindliche Standards für Hygiene und Küchenproduktion gegenüber. Hinzu kommt, dass kleinere Küchen nahezu durchgängig technisch schlechter ausgestattet sind und zudem das Personal geringer qualifiziert ist. Es wurden also verlässliche Standards in der Küche gebraucht ohne den Gedanken der Marktwirtschaft zu vernachlässigen.
Kein Wunder, dass dieses Gesetz in Großbritannien mit einer ähnlichen Restaurant-Struktur als erstes auf dem europäischen Kontinent Fuß fasste und dann quer über den ganzen westlichen Kontinent Gesetzeskraft erlangte, obwohl das Thema Hygiene insbesondere in deutschen, österreichischen und schweizerischen Hotelfachschulen schon immer Teil der Ausbildung von Hotel-Restaurant- und Küchenmeistern meistern war. Mit dem Fall des Eisernen Vorhanges wurde es in kürzester Zeit für ganz Europa bzw. der EU verbindlicher Küchen-Standard.
Rückblickend auf meine langjährige Tätigkeit als Food & Beverage Manager und Hoteldirektor in der Bonner First Class- und Luxushotellerie kann ich aus eigenem Erleben berichten, dass dieses Bürokratiemonster Fluch und Segen zu gleich ist.
Die Behörden, mehrheitlich die Veterinärämter, kontrollieren auf der Grundlage des HACCP Gesetzes akribisch dessen Umsetzung, wenngleich auch je nach Größe des Unternehmens mit unterschiedlicher Intensität. Die deutsche und europäische Hotellerie und Gastronomie ist mehrheitlich kleinteilig strukturiert, mit einem überwiegenden Anteil privater Kleinbetriebe. Umsatz- und Ertragseitig liegen aber die nationalen und internationalen Hotelketten und Großbetriebe deutlich vorn. Der Irrglaube mancher Ämter ist, dass die großen Hotelbetriebe intensiver kontrolliert werden müssen, als kleinere Unternehmen. Umgekehrt wäre es deutlich besser, weil dies dem Ausbildungs- und Qualifikationsgrad der Mitarbeiter und der verfügbaren technischen Ausstattung eher entsprechen würde. In größeren Hotels und Restaurants, insbesondere im 4*- und 5*-Hotelsegment und der mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Küchen wird die Küchenarbeit in einzelne Posten geteilt, wie etwa Saucier, Entremetier, Passionier, Grillier, Gardemanger, Patissier etc. was dem Küchenchef dann die Kontrolle erleichtert, egal ob er es selbst macht oder an die Postenchefs delegiert.
Hingegen bei Kleinbetrieben teilt sich die Komplexität der Arbeit auf meist nur ein bis zwei Köche die dann alle Posten abdecken müssen. Schichtarbeit, ausreichende Freizeit und Erholung, intensive Schulungen und Weiterbildung sind dann eher Fremdwörter. Reparaturen, Reinvestitionen und buchstabengenaue Umsetzung des HACCP Gesetzes bleiben dort oft auf der Strecke, trotz ausgehängter Reinigungspläne. Unerheblich ist für alle Küchen, ob Frischware oder Convenience Food in der Verarbeitung von Lebensmitteln Eingang finden.
Als hilfreich für die Verantwortlichen im Food und Beverage-Bereich kann man das HACCP-Gesetz gleichermaßen sehen, es gibt ihnen zugleich ein Mittel anhand, notwendige Ersatzbeschaffungen, Reparaturen und Reinvestitionen zeitnah ausführen zu lassen. Mittel für Investitionen und Reparaturen sind begrenzt und das Management muss daher oft Prioritäten setzen -Zimmer- und Gastbereiche oder Küche, Buffet und Bar?
Dass Hygiene-Gesetze und Qualifikationen alleine in der Küche nicht ausreichen, hat unlängst Jami Oliver, der bekannte TV-Koche aus GB, erlebt. Gravierende Hygienemängel in seinen Londoner Restaurants führten dazu, dass seit geraumer Zeit sein Stern im Beleibtheitsranking der Gäste sehr schnell sinkt. Der Markt reagiert höchst sensibel auf Hygieneprobleme in Küchen. Interessant ist aber, dass exakt das gleiche Klientele was zu Hause penibel auf Sauberkeit Wert legt, auf Urlaubsreisen in die Karibik und einigen Destinationen in Nordafrika und Asien sehr großzügig mit diesem Thema umgeht.
Eine hohe Qualifikation muss also stetig mit realer Kontrolle einhergehen und darf sich nicht auf das Abheften von Reinigungsplänen oder delegieren von Verantwortung beschränken.
Auch diese Notwendigkeit macht die koschere Küche seit ewiger Zeit ohne größeres Aufheben. Als Fazit bleibt, dass HACCP in der Welt sicher notwendig und richtig ist, die koschere Küche aber immer noch qualitative und vor allem zwischenmenschliche Vorteile hat.
Von Gerhard Werner Schlicke
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