Der spätere Luxemburger Erzbischof, Jean Hengen (1912-2005), war 1944 als junger Priester in Rom nach dem Zufallsprinzip von der Gestapo in einer Straßenbahn aufgegriffen worden, um den 335 Geiseln kurz vor ihrer Hinrichtung am 25. Marz 1944 das Sakrament der Versöhnung zu spenden. Dies hatte er zu Lebzeiten seinem Generalvikar Mathias Schiltz anvertraut, der dieses Vermächtnis anlässlich des Papstbesuches in den Grotten am 2. November in einem Leserbrief im Luxemburger WORT lüftete.
Am 23. März 1944 ließen italienische Widerstandskämpfer eine mächtige Bombe auf der Via Rasella in Rom explodieren, als gerade Soldaten der SS-Einheit Bozen vorbeifuhren. Dabei wurden 33 deutsche, zumeist aus Südtirol stammende Soldaten, und zwei Italiener getötet. Am nächsten Tag gab das deutsche Oberkommando in Berlin im Namen Hitlers den Befehl, für jeden getöteten Deutschen zehn Italiener hinrichten zu lassen. Der Mann, der damit beauftragt wurde, war SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, Chef der Gestapo in Rom, der bereits am 16. Oktober 1943 für die Deportation von 1022 römischen Juden verantwortlich war, obwohl er dem römischen Oberrabbiner Zolli zuvor versichert hatte diese zu verschonen, falls die jüdische Gemeinde 50 kg Gold aushändige. Mit der Unterstützung von Pietro Caruso, dem Chef der italienischen Polizei, trieb Kappler im Laufe einer Razzia 335 Italiener zusammen, d.h. fünf Geiseln mehr als erforderlich. Sie wurden in das Hinterland von Rom geführt, in die Ardeatinischen Grotten, wo sie am 25. März 1944 von 73 SS-Offizieren in Fünfer-Gruppen ermordet wurden. Die Opfer, darunter 75 Juden, waren zwischen 15 und 75 Jahre alt, wahllos Aufgegriffene, ehemalige Soldaten und Widerstandskämpfer, zwölf davon sind bis heute unbekannt. Wahrscheinlich hatte kein Einziger von ihnen etwas mit dem Bombenanschlag zu tun. Die Grotten waren Stollen eines ehemaligen Steinbruches in der Nähe der Via Appia Antica im Süden von Rom. Nach dem Massaker sprengte die SS die Grotten, um den Zugang zum Tatort zu versperren. Nach der Befreiung Italiens, wenige Monate später, wurden die Leichen entdeckt und begraben und eine Gedenkstätte errichtet.
Während Pietro Caruso noch 1944 von einem italienischen Militärgericht zum Tode verurteilt worden war und erschossen wurde, konnten die deutschen verantwortlichen SS Kommandeure Kappler und Priebke zunächst entkommen. Kappler stellte sich jedoch den italienischen Behörden und wurde in mehreren Verfahren zu lebenslanger Haft verurteilt, kurz vor seinem Tod 1977 gelang ihm aus einem römischen Krankenhaus heraus noch die Flucht nach Deutschland, wo er einige Monate später starb. Priebke konnte 1948 wie Adolf Eichmann und Josef Mengele mit Hilfe der so genannten „Rattenlinie“ des slowakischen Kurienbischofs Alois Hudal, nach Argentinien entkommen, er wurde erst 1993 dort von Ermittlern des jüdischen Simon Wiesenthal Center aufgestöbert und nach Deutschland ausgeliefert. 1995 wurde er nach Italien überstellt, wo ihm mehrere Prozesse gemacht wurden. 1998 wurde er von einem italienischen Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt, die er jedoch angesichts seines Alters größtenteils im Hausarrest in der Wohnung seines Rechtsanwalts in Rom verbringen konnte. Im Alter von 100 Jahren starb er 2013. Das schillernde Schicksal dieser beiden Hauptverantwortlichen hatte das Massaker in den Ardeatinischen Grotten in Deutschland wie in Italien immer wieder wach gerufen und öfters auch zu Verstimmungen im deutsch-italienischen Verhältnis geführt. Leiter der Erschießungskommandos in den Ardeatinischen Grotten war SS-Hauptsturmführer Carl-Theodor Schütz (1907-1985) aus Mayen in der Eifel, der von 1935-1940 Referatsleiter bei der Staatspolizeistelle Trier (Stapo) war und in dieser Funktion sicher auch mit vielen Luxemburgern zu tun gehabt hatte. Er wurde 1950 von einer Spruchkammer als Mitläufer eingestuft und 1952 in die „Organisation Gehlen“, dem späteren Bundesnachrichtendienst, BND, übernommen.
Unter den Opfern der Ardeatinischen Grotten war auch ein Priester, Don Pietro Pappagallo, Vizedirektor der Lateran-Basilika und Priester an der Kirche Santa Maria Maggiore. Auch der Vater des Kardinals Andrea Cordero Lanza di Montezemolo (1925-2017), der wenige Tage nach dem Besuch des Papstes in den Grotten am 17.November ebenfalls in Rom verstorben ist, Giuseppe, war eines der Opfer des Massakers gewesen. Der spätere Kardinal war damals 19 Jahre alt. Sein Vater, der aus einem berühmten norditalienischen Adelsgeschlecht stammte, hatte die sogenannte Untergrundfrontarmee gegründet, seine Mutter und seine drei Schwestern waren in einem Kloster in Rom versteckt. Der spätere Kardinal konnte sich in dem ukrainischen Priesterkolleg St. Josafat auf dem Gianicolo-Hügel verstecken. Während seines Aufenthalts in diesem ukrainischen Kolleg schrieb er sich an der Päpstlichen Universität Gregoriana ein, und wurde Priester. Im Jahre 1990 wurde Kardinal Lanza die Montezemolo Apostolischer Delegat für Jerusalem und Palästina. Im Jahre 1993 wurde er erster diplomatischer Vertreter des Heiligen Stuhls in Israel und baute die diplomatischen Beziehungen zu Israel auf.
Der spätere Luxemburger Erzbischof Jean Hengen war Zeuge des Massakers
Am 2. November hatte Papst Franziskus die Gedenkstätte bei den Ardeatinischen Grotten bei den Kallistus Katakomben in Rom besucht. Der ehemalige Generalvikar von Luxemburg, Mathias Schiltz, hatte zum Anlass des Papst Besuches in der Gedenkstätte in einem Leserbrief an das Luxemburger WORT bekannt gegeben, dass der junge Luxemburger Priester Jean Hengen (1912-2005) aus Düdelingen damals den zum Tode verurteilten in den Ardeatinischen Grotten das Sakrament der Versöhnung, auch letzte Ölung genannt, gespendet hatte. Jean Hengen, der seit 1935 in Rom studierte, war im Oktober 1940 dort zum Priester geweiht worden und konnte wegen des Krieges nicht nach Luxemburg zurückkehren. In Rom war er Hausseelsorger von Ordensgemeinschaften und Adelsfamilien. Ein Kommando der Gestapo hatte ihn am Morgen des 24. März 1944 zufällig in Priesterkleidung in einer Tram gesehen und ihn mitgenommen mit dem Befehl den zum Tode verurteilten Geiseln beizustehen. Nach der brutalen Hinrichtung dieser Menschen, die mitten aus dem Leben gerissen worden waren, wurde Jean Hengen entlassen mit dem Verbot je über diese Hinrichtungen zu berichten. Sein ganzes Leben lang hat Jean Hengen, der seit 1971 zunächst Bischof und seit dem Papstbesuch in Luxemburg 1985 bis 1991 erster Erzbischof von Luxemburg war, sich offenbar daran gehalten. Dies ersparte ihm wohl Vorladungen als Zeuge zu den diversen Prozessen in Italien und Deutschland. Lediglich mit seinem Generalvikar Mathias Schiltz, mit dem er ein sehr enges und vertrautes Verhältnis hatte, hatte der Luxemburger Oberhirte, der sich in seiner Amtszeit sehr für den christlich jüdischen Dialog und einen Neuanfang mit Deutschland einsetzte, zweimal vertraulich über diese schlimmen Erlebnisse gesprochen, die ihn offenbar sein ganzes Leben lang begleiteten. Der ehemalige Generalvikar glaubte jetzt, zwölf Jahre nach dem Tode des Erzbischofs, dass die Zeit reif geworden sei, darüber die Öffentlichkeit zu unterrichten.
Von Bodo Bost
Herr Bost ist freier Journalist und Mitarbeiter der Israel-Nachrichten, er lebt und arbeitet in Luxemburg.
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