Der Aufstand in Warschau von August bis Oktober des Jahres 1944 – nicht zu verwechseln mit dem Ghettoaufstand von 1943 – war die größte Widerstandsaktion gegen Nazi-Deutschland. Polens Hauptstadt wollte sich selbst befreien, noch bevor die Rote Armee eintraf. Die Organisatoren gingen ein immenses Risiko ein, mussten sie doch fürchten, dass die deutschen Besatzer mit brutalster Gewalt reagieren.
Warschau, 5. August 1944: Der Aufstand der polnischen Untergrundbewegung gegen die deutschen Besatzer in Warschau dauerte nun schon den fünften Tag an. Inzwischen sind SS-Verbände in der polnischen Hauptstadt eingetroffen. Sie haben Weisung erhalten, jeden angetroffenen Einwohner zu ermorden. In den Stadtteilen Wolo und Ochota, vor allem von Arbeitern bewohnt, durchkämmen SS- und Polizeieinheiten nun Haus für Haus und treiben die Bewohner auf die Straße, egal ob Männer, Frauen oder Kinder. Die Anwohner werden in Gruppen, mit erhobenen Händen, auf die Hauptstraße getrieben, von dort in die Hinterhöfe. Dann erschießen die SS-Schergen alle Opfer mit Maschinenpistolen und holen die nächste Gruppe.
Allein an diesem Tag sterben etwa 20.000 Einwohner der Stadt; die meisten von ihnen hatten sich gar nicht am Aufstand beteiligt. Dieses Verbrechen, eine der schlimmsten Untaten überhaupt, ist in heutigen Tagen weitgehend vergessen. Geblieben ist dagegen die Erinnerung an die heroische Auflehnung einer ganzen Stadt gegen die Nazi-Gewaltherrschaft, die im heutigen Polen einen enormen Stellenwert hat. Als Polen von den Deutschen besetzt war, entwickelte sich dort eine der größten und einflussreichsten Untergrundbewegungen in Europa. Während die polnische Exilregierung nach London flüchten musste, wurde vor allem ab dem Jahr 1942 die Heimatarmee – Armia Krajowa – immer weiter ausgebaut.
Es gelang ihr, einen funktionierenden Untergrundstaat zu organisieren, mit eigener Verwaltung, der sogenannten Delegatur, Untergrundgruppen, Widerstands-Publikationen und geheimen Bildungseinrichtungen. Doch im Gegensatz zur kleinen, von Moskau aus betriebenen kommunistischen Untergrundbewegung lehnte die Führung der Heimatarmee einen bewaffneten Kampf gegen die Nazi-Besatzer vorläufig ab. Zu groß wären die Opfer unter der Zivilbevölkerung gewesen, zu gering die Aussicht auf eine Besserung der Lage. Vielmehr entwickelten die Führer des Untergrundes das „Sturm“-Konzept, das einen Aufstand in den Städten genau in dem Augenblick vorsah, in dem die deutsche Schreckensherrschaft durch die militärische Lage entscheidend geschwächt sein würde.
In einer anderen Lage befanden sich die drei Millionen Juden in Polen. Sie waren spätestens 1942 von der totalen Vernichtung bedroht. Deshalb leisteten sie in mehreren Ghettos Widerstand gegen den Massenmord, seit Herbst 1942 in zahlreichen ostpolnischen Kleinstädten, im Januar 1943 dann erstmals auch in Warschau. Als SS und Polizei im April 1943 das Warschauer Ghetto völlig auflösen wollten, schlug ihnen bewaffneter Widerstand entgegen. In mehrere Wochen andauernden Auseinandersetzungen kämpften kleine bewaffnete Gruppen trotz ihrer aussichtslosen Lage. Nur wenigen gelang es, nach der Niederschlagung des Ghettoaufstandes unterzutauchen.
Die Juden Polens waren Ende 1943 weitestgehend ausgerottet worden. Erst im Februar 1944 erreichte die Rote Armee die polnische Ostgrenze. Als die Heimatarmee in einigen größeren Städten wie Lemberg und Wilna den „Burza“-Aufstand („Sturm“-Aufstand) auslöste, zeigten die sowjetischen „Befreier“ ihr wahres Gesicht. Die Aufständischen wurden kurzerhand festgenommen. Die geplante Revolte in Warschau richtete sich nämlich nicht nur gegen die deutsche Besatzungsmacht, sondern auch gegen den Expansionswillen Stalins. Die polnische Hauptstadt sollte sich aus eigener Kraft befreien, um zu zeigen, dass sich die Polen selbst regieren würden. Als die Rote Armee in ihrer Sommeroffensive 1944 immer näher an die Weichsel vorrückte, löste die Führung des Untergrundes in den letzten Julitagen überstürzt die Revolte aus.
Ab dem 1. August traten bewaffnete Aufständische in der Stadt auf. Die deutsche Garnison war schwach und so überrascht, dass es der Heimatarmee gelang, sofort weite Bereiche der Innenstadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Doch schon nach wenigen Tagen wendete sich das Blatt: Hitler ließ mehrere SS-Verbände nach Warschau entsenden und er oder SS-Chef Himmler gaben die Weisung aus, die Einwohner in den Aufstandsvierteln systematisch zu ermorden. Zum Leiter dieser Aktion wurde der SS-Obergruppenführer Erich von dem Bach ernannt, der bisher den brutalen Anti-Partisanenkampf in der Sowjetunion und in Jugoslawien geleitet hatte. Insbesondere die Warschauer Sicherheitspolizei, aber auch die neu herangeführten SS-Verbände Dirlewanger und RONA, letztere mit russischen Freiwilligen, waren für die Massaker verantwortlich.
Freilich war der deutschen Führung schnell klar geworden, dass sie den Widerstand eher nocht anfachte, wenn sie damit begann, die Warschauer Bevölkerung umzubringen. Die Kämpfe tobten annähernd zwei Monate lang. Die Heimatarmee konnte rund 25.000 bewaffnete Kämpfer aufbieten, hinzu kamen kleine kommunistische Gruppen und rechtsorientierte Einheiten, die sich nicht der Heimatarmee angeschlossen hatten. Erbittert wurde um jeden Straßenzug gekämpft. Doch schon bald bekamen die zahlenmäßig immer stärker werdenden deutschen Verbände die Oberhand. Die Aufständischen zogen sich mehr und mehr in das Kanalisationssystems Warschaus zurück, das für viele zur Falle wurde, aus der es kein Entrinnen gab.
Viele Zivilisten kamen den polnischen Kämpfern zu Hilfe. Doch der Großteil der Bevölkerung, der auf eine baldige Befreiung gehofft hatte, sah sich nun in einer fatalen lebensgefährlichen Lage. Je mehr die Heimatarmee in die Defensive geriet,, desto mehr hoffte sie auf alliierte Hilfe. Tatsächlich gelang es der britischen Royal Air Force, einige Hilfslieferungen über der Stadt abzuwerfen. Am ehesten jedoch wäre die Hilfe von der Roten Armee zu erwarten gewesen, die bereits am Ostufer der Weichsel stand. Doch die Revolte war ja auch gegen Stalin gerichtet., und dieser war wenig geneigt, den Aufständischen zu helfen. So konnte er bedenkenlos zusehen, wie die deutschen Besatzer die Reste der polnischen Elite auslöschten, die auch Stalin ein Dorn im Auge waren.
Zudem waren die Verbände der Roten Armee nach einem langen Vormarsch im Juni/Juli 1944 erschöpft zum Halt gekommen. Dennoch ist Stalins Verhalten bis heute Gegenstand heftiger Kontroversen. Der Aufstand endete am 2. Oktober mit der Kapitulation der Heimatarmee unter General Tadeusz Komorowski, genannt „Bor“. Etwa 16.000 Kämpfer und 150.000 Zivilisten waren getötet worden, dazu auf deutscher Seite knapp 2.000 Mann. Zwar wurde den Aufständischen nun plötzlich der Status von Kriegsgefangenen zugesprochen, in Wahrheit aber kamen etwa 70.000 Warschauer in Konzentrationslager und die gesamte restliche Bevölkerung wurde zunächst in ein Durchgangslager, dann in andere Gebiete vertrieben oder zur Zwangsarbeit ins Reich deportiert.
Die polnische Hauptstadt war nun nahezu menschenleer, sie glich einem einzigen Trümmerhaufen. Auch unter kommunistischer Herrschaft blieb der Warschauer Aufstand ein zentraler Bezugspunkt der Polen, selbst wenn seine offizielle Darstellung unter starker Verzerrung litt. Erst nach dem Fall des Kommunismus war es möglich, ein angemessenes offizielles Gedenken zu finden, wie beispielsweise im großen Rahmen im Jahre 2004. Vier Jahre später konnte das große Museum des Warschauer Aufstandes eröffnet werden, das die Erinnerung auch der jungen Generation, die sich zusehends weniger für Geschichte interessiert, nahe bringen soll.
Auch die in Deutschland lebende Jugend zeigt kein wirkliches Interesse an der unrühmlichen deutschen Vergangenheit.
Von Rolf von Ameln
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