Die Inszenierung der Reichsparteitage war das Meisterstück der Nazi-Propagandisten. Man zeichnete hier das Idealbild einer Bewegung, die so nur einmal im Jahr existierte. Am Morgen des 9. September 1934 lag beim Appell von SA und SS eine besondere Spannung über der Luitpoldarena im Südosten von Nürnberg. Gut zwei Monate zuvor waren SA-Stabschef Ernst Röhm und mindestens 85 SA-Führer und Regime-Gegner von der SS ermordet worden. In Verdrehung der wahren Begebenheiten war bald vom Röhm-Putsch die Rede. Nun stand der „Führer“ beim „Treuegelöbnis“ vor rund 100.000 SA- und SS-Männern, die auf seine Worte warteten.
Und Hitler sprach: „SA- und SS-Männer! Vor wenigen Monaten hat sich über die Bewegung ein schwarzer Schatten erhoben. Die SA hat so wenig wie als irgendeine andere Institution der Partei mit diesem Schatten etwas zu tun. Nein, meine Kameraden, wir stehen fest zusammen für unser Deutschland, und wir müssen fest zusammenstehen für dieses Deutschland. In den Zeiten hinter uns, da habt ihr mir die Treue tausendfältig bewiesen. In der Zeit vor uns kann es nicht anders sein, und es wird auch nicht anders sein!“ Mit einem hunderttausendfachen „Sieg Heil“ antworteten die Braunhemden und die SS-Männer. Unter die „Schatten der Vergangenheit“ sollte ein Schlussstrich gezogen werden. Anderntags hatte erstmals bei einem Parteitag die Reichswehr einen eigenen Auftritt.
Ab dem folgenden Tag sollte sich der „Tag der Großdeutschen Wehrmacht“ zum eigentlichen Höhepunkt des Parteitreffens entwickeln. Die SA hatte ihre Bedeutung im Nazi-Regime verloren. Zehn Mal veranstaltete die NSDAP in den 1920-er und 1930-er Jahren Reichsparteitage. In der Weimarer Republik fand der erste 1923 in München – der späteren „Hauptstadt der Bewegung“ -, der zweite 1926 in Weimar statt. 1927 und 1929 folgten in Nürnberg, der „roten Arbeiterstadt“, die nächsten Treffen dieser Art. Vor allem pragmatische Gründe spielten für die Wahl eine Rolle, unter anderem: Die zentral im Reich gelegene Stadt war gut mit der Reichsbahn – dem wichtigsten Massenverkehrsmittel dieser Zeit – erreichbar.
Der Luitpoldhain – seit einer Landesausstellung im Jahre 1906 ein Park – bot eine Freifläche für große Versammlungen. Überdies stand vor Ort eine eine starke NSDAP-Formation um den antisemitischen Hetzer und Gauleiter Julius Streicher für die Vorbereitungen zur Verfügung. Schließlich konnte sich die Nazi-Partei des Schutzes der staatlichen Polizei sicher sein. Erst später stellten Hitlers PR-Strategen die reiche Vergangenheit der Stadt in den Dienst der Partei, schlugen einen vermeintlichen Traditionsbogen von der „Stadt der Reichstage“ des mittelalterlich-kaiserlichen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation zur „Stadt der Reichsparteitage“.
Nach der „Machtergreifung“ im Januar 1933 veranstaltete die NSDAP wie selbstverständlich alle weiteren Parteitage bis 1938 alljährlich in der ersten Septemberwoche in Nürnberg. Hitler bestimmte die Kommune zur „Stadt der Reichsparteitage“. Auch wenn der Parteitag von 1934 ähnlich wie der von 1933 noch einen Übergang zwischen den Parteifeiern in der „Kampfzeit“ und den Parteitagen im etablierten Nazi-Regime darstellte, war er doch von bleibenden Neuerungen geprägt. Mit der Verlängerung der Feiern von vier auf sieben Tage hatte der Parteitag von 1934 eine neue Dimension erreicht. Neben dem Militär war auch zum ersten Mal der Reichsarbeitsdienst vertreten.
Der Ablauf der Parteitagswoche wurde nun weitgehend festgeschrieben: Empfang im Nürnberger Rathaus, „Proklamation des Führers“, Tag des Arbeitsdienstes, Tag der Hitlerjugend, Hitler vor den Politischen Leitern, Appell von SA und SS, Parade der Reichswehr. Dazwischen Parteikongress und „Sondertagungen“. Jede Gliederung des Regimes bekam ihren „Feier-Tag“ zugewiesen. Kongenial setzte Leni Riefenstahl mit ihrem Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ die Intentionen der Parteitagsregie in Bilder um und schuf so auch einen „Musterparteitag“. Die vormals reinen Parteifeiern rückten zunehmend in den Rang von Staatsakten. Rund eine Million Menschen, Uniformierte und Zivile, Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, Teilnehmer und Zuschauer aus dem gesamten Deutschen Reich kamen in den späteren Jahren zu den „Tagen von Nürnberg“ mit Reden, Aufmärschen, Totenehrungen, stundenlangen Vorbeimärschen vor Hitler am Hauptmarkt; – ab 1933 umbenannt in Adolf-Hitler-Platz!
Im Jahre 1937 wurden die Feiern noch um einen „Tag der Gemeinschaft“ erweitert und damit das Unterhaltungsprogramm ausgebaut. Nur um diese von Jahr zu Jahr immer mehr ritualisierten Veranstaltungen in Szene setzen zu können, ließ sich der „Führer“ von seinem Hofarchitekten Albert Speer auf einer elf Quadratkilometer großen Fläche im Südosten der Stadt gigantische Versammlungs- und Aufmarschplätze entwerfen; die Luitpoldarena für bis zu 150.000 Teilnehmer, das Zeppelinfeld für 200.000 Menschen, die Große Straße, das Deutsche Stadion für über 400.000 Zuschauer, das Märzfeld für Schaugefechte der Wehrmacht, die Kongresshalle für 50.000 Personen.
Der größte Teil des Wahn-Projekts, Albert Speer hatte die Kosten für diese Übertrumpfungs- und Einschüchterungsarchitektur einmal auf 700 bis 800 Millionen Reichsmark geschätzt, ist nie fertiggestellt worden. Allein die Luitpoldarena (1934/35) und das Zeppelinfeld mit großen Tribünenanlagen (1935/36) sind von den Nazis geschaffen und tatsächlich während der Parteitage genutzt worden. Beim Parteitag 1934 standen die Zuschauer am Zeppelinfeld noch auf provisorischen Holztribünen. „All mein Hoffen, Wünschen und Sehnen ging nach dieser Stadt, denn dort kam der Führer hin, der Mann, den uns Gott gesandt hat, um unser armes gequältes Vaterland zu retten, zu retten aus Schmach und Schande, aus Not und Verzweiflung!“
Die Begeisterung sprach aus jeder Zeile dieses Erlebnisberichtes, den eine Nationalsozialistin nach dem Besuch eines Nürnberger Parteitages geschrieben hatte. Der „Führer“ stand stets im Mittelpunkt. Auf ihn waren die Inszenierungen zugeschnitten. Die Parteitage wiederum entpuppten sich als wahre „Adolf-Hitler-Festspiele“, bei denen „Führer und Gefolgschaft“ vereint werden sollten. Es ging um Schauspiele mit pseudosakralem Anstrich, um „Feldgottesdienste“ zu Ehren des „politischen Messias“ Adolf Hitler. Albert Speer unterstützte den Kult um den Diktator mit modernen Lichtinszenierungen unter nächtlichem Himmel; – dem „Lichtdom“. Der Verstand sollte ausgeschaltet werden. Die Organisatoren weckten mit spektakulärer Show die Emotionen.
Die postulierte „Volksgemeinschaft“ wurde einmal im Jahr inszenierte Wirklichkeit. Der Einzelne ging in der Masse auf. Nürnberg war der Schauplatz der größten Propagandafeste im nationalsozialistischen Feierjahr. Die NSDAP wollte damit Aufsehen erregen, ihre Macht nach innen und außen demonstrieren. Die höchste Sinnerfüllung erfuhren die Parteitage in der Ausrichtung auf das letzte Ziel: die Vorbereitung und Einstimmung auf einen Krieg. Die Totenehrungen in der Luitpoldarena waren unverzichtbare Bestandteile. Wie „Rituale der Mobilmachung“ wirkten die permanenten militärischen Übungen der verschiedenen Gliederungen: Handgranaten-Weitwurf bei den „NS-Kampfspielen“, Marschieren, Lagerleben in den Zeltstädten oder Schaugefechte am „Tag der Wehrmacht“ auf dem Zeppelinfeld – Felddienst auf Probe, Training für den Krieg, Einstimmung auf Kampf und Tod.
Die Reichsparteitage trugen mit dazu bei, von den wahren Zielen des Regimes abzulenken. Selten brüllte Hitler so oft vom Frieden wie bei den Feiern in Nürnberg. So erfüllte selbst der „Parteitag des Friedens“, der am 2. September 1939 hätte beginnen sollen, noch seinen Zweck der politischen Täuschung. Die Vorbereitungen liefen bereits seit langem, als wenige Tage vor dem geplanten Auftakt der Beginn „vorerst“ abgesagt wurde. Am 1. September überfiel Hitlers Wehrmacht das Nachbarland Polen und begann damit den Zweiten Weltkrieg. Und so fand nie mehr ein Reichsparteitag der NSDAP statt.
Von Rolf von Ameln
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