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Die Deutschen im Zweiten Weltkrieg: 1944 Kriegsmüdigkeit, Fatalismus und illusionäres hoffen

Nur noch eine Minderheit der Deutschen glaubte im Jahre 1944 noch an einen „Endsieg“. Trotz der sich jedoch stetig verschlechternden Stimmung brach die Kampfbereitschaft von Hitlers Wehrmacht nicht zusammen, und auch an der „Heimatfront“ hielten sich noch so gar manche Illusionen über die angeblich kommenden „Wunderwaffen“. Im Frühjahr 1944 berichteten die Schweizer Konsuln Hans Zurlinden und Franz-Rudolf von Weiss, die den Konsulaten in Köln und München vorstanden, der Regierung in Bern über die Stimmung der deutschen Bevölkerung im Kriegsjahr 1944. Zurlindens Bericht, der mit „Bevorstehende Kriegsniederlage 1944“ betitelt war, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Konsuln fest mit einem Sieg der Alliierten rechneten.

Aachen 1944: US-Truppen erobern die Stadt, die am 21. Oktober kapitulierte. Foto: Archiv

Ihrer Einschätzung nach klafften die offiziellen Verlautbarungen der NS-Führung, die unverdrossen einen „Endsieg“ und eine deutsche Führungsrolle in der Welt proklamierten, und die Einstellung der zunehmend kriegsmüden Bevölkerung immer weiter auseinander. Zurlinden resümierte: „Wenn so die Führung bei aller Aussichtslosigkeit bewusst und unerbittlich an ihrer theoretischen Konstruktion festhält, um ihr im schlimmsten Falle für spätere Generationen die Gloriole heldenhafter Bewährung selbst in der Katastrophe zu sichern, ist umgekehrt bei der Durchschnittsmasse festzustellen, dass ihr die Größenwahn-Ideen allmählich vergangen sind.“

Franz-Rudolf von Weiss bezeichnete die Haltung der deutschen Soldaten in seinem Bericht als „kriegsmüde“ und „gleichgültig“, auch wenn keinerlei Anzeichen einer Rebellion auszumachen seien und Befehle „korrekt durchgeführt“ würden. Er sei erstaunt, dass Soldaten „abfällige Urteile über Einrichtungen des Staates, der Partei und auch des Militärs“ äußerten und sich bei „ihrem Schimpfen keinerlei Zurückhaltung auferlegten“, aber dennoch keineswegs auf einen Untergang des „Dritten Reiches“ und eine Kriegsniederlage hofften: „Das ist genau wie bei der Zivilbevölkerung darauf zurückzuführen, dass sich die Soldaten die Frage vorlegen, wer ihnen nach einem verlorenen Krieg den Ersatz für Fliegerschäden leisten würde. Sie warten eben einfach ab und hoffen auf irgendeine günstige Wendung.“

Deutlich beschönigender, aber doch mit ähnlicher Tendenz beschrieben 1944 die internen Lageberichte des Nazi-Regimes das Phänomen einer „stabilen Haltung bei mieser Stimmung.“ Zwar griffen Fatalismus und Kriegsmüdigkeit immer mehr um sich, doch hegten viele in der deutschen Bevölkerung immer noch Illusionen über eine plötzliche Wendung des Krieges. Mal verknüpften sich diese Hoffnungen mit einer erfolgreichen Abwehr einer alliierten „Invasion“ in Frankreich, mal mit dem Einsatz der „Vergeltungswaffen“. Dies führte im Juni 1944 zeitweise zu einer eigentümlichen Hochstimmung der Bevölkerung, die jedoch nach kurzer Zeit wieder zusammenbrach.

Bereits am 7. Juli 1944 berichtete der Sicherheitsdienst der SS: „Heute ist stimmungsmäßig schon fast wieder jene niedrige Stufe erreicht, die vor Beginn der Invasion vorherrschend war“. Auch in der Folgezeit berichteten die regimeinternen Lageberichte immer wieder über abstruse Gerüchte bezüglich der „Wunderwaffen“, die einerseits noch immer bestehende Siegeshoffnungen andeuteten, andererseits auf einen gewissen Realitätsverlust schließen ließen: „Wir würden alsbald neuartige Riesenpanzer und ferngesteuerte Flugzeuge sowie kleine Maschinen einsetzen, die katapultartig von Flugzeugen aus auf die feindlichen Führermaschinen gesteuert würden.“

Das Nazi-Regime mobilisierte unterdessen alle verfügbaren Reserven, die allerdings personell immer mehr dem „letzen Aufgebot“ glichen. In der Industrie wurde 1944 meistens 72 Wochenstunden gearbeitet. Symptome körperlicher Erschöpfung griffen immer weiter um sich, zumal der alliierte Bombenkrieg und die permanenten Luftalarme den Bewohnern vieler Städte auch noch die Nachtruhe raubten und überdies die alliierte Überlegenheit an Menschen, Waffen und Material eindrucksvoll demonstrierten. Unter diesen Bedingungen erfüllten die meisten Deutschen zwar äußerlich das, was sie für ihre „Pflicht“ hielten, konzentrierten sich jedoch immer stärker auf das eigene Überleben.

Aufruf von Josef Goebbels aus dem Herbst 1944. Foto: Archiv/RvAmeln

In der Wehrmacht schwand unterdes der Siegesglaube, auch wenn die Kampfbereitschaft der deutschen Truppen keineswegs zusammenbrach. Als die Alliierten nach der Landung in der Normandie ihre deutschen Gefangenen eindringlich begutachteten, wunderten sie sich über die personelle Zusammensetzung der deutschen Truppen. Sie zeichnete sich durch ein „merkliches Fehlen von Männern zwischen 20 und 30 Jahren“ aus. Stattdessen trafen sie oft auf ältere Jahrgänge – einer der Kriegsgefangenen war sogar 78 Jahre alt – oder 18-, 19-Jährige, die kaum über Kampferfahrung verfügten. Manche Einheiten glichen deshalb bereits dem erst im Oktober 1944 ins Leben gerufene „Volkssturm“. Ganze Truppenteile an der Westfront bestanden zudem aus Polen, ominösen „Volksdeutschen“ aus Osteuropa, Ukrainern und sonstigen ehemaligen Bürgern der Sowjetunion, die zum Dienst in der verpflichtet worden waren.

Die dennoch anhaltende, wenn auch schwächere Kampfbereitschaft der Wehrmacht wurzelte den alliierten Analysen zufolge nicht in nationalsozialistischen Grundüberzeugungen. Allenfalls 15 Prozent der deutschen Soldaten galten als ideologisch überzeugte Fanatiker, unter ihnen allerdings viele junge Offiziere, die in der Hitler-Jugend sozialisiert worden waren und in den Einheiten beträchtlichen Einfluss ausübten. Als Scharfmacher betätigte sich auch die Militär-Justiz, die mit immer drakonischeren Strafen gegen vermeintliche „Drückeberger“ vorging. Die Mehrheit der Soldaten jedoch kämpfte vor allem aus Loyalität gegenüber ihren Kameraden weiter, und selbst ausgesprochene Gegner des Nationalsozialismus unter den Soldaten hielten auch noch 1944 an dem Ziel fest, dass Deutschland den Krieg nicht verlieren dürfe.

So kam es zu dem vermeintlichen Paradox, dass sowohl große Teile der Wehrmacht als auch der Zivilbevölkerung immer noch im Sinne des Nazi-Regimes funktionierten, obgleich sie kriegsmüde waren und nicht primär nationalsozialistischen Überzeugungen folgten. Sowohl unter den gefangen genommenen deutschen Soldaten als auch unter den Zivilisten im äußersten Westen des Reiches, die seit Herbst 1944 unter alliierte Verwaltung gerieten, gab es nur sehr wenige, die sich zu ihrem Engagement für den Nationalsozialismus bekannten. Niemand war dabei gewesen und keiner hatte etwas gewusst – diese Redewendungen hörten die Alliierten bei ihren Befragungen am häufigsten.

Auch dabei stießen die Alliierten auf ein merkwürdiges Paradox: Die Deutschen inszenierten sich ihnen gegenüber als Opfer, um vor allem ihr schlechtes Gewissen zu verbergen und das eigene Leid implizit gegen jenes Leid aufzurechnen, das sie über andere gebracht hatten. Ein amerikanischer Bericht vom November 1944 konstatierte unter den Deutschen ein „eigentümliches Schuldgefühl“ gegenüber Juden und eine „angst vor Rache“. Auch die grassierende „Russenphobie“ deuteten sie vor allem als „Ausdruck der Furcht vor Vergeltung“ – denn noch hatte die Rote Armee die Reichsgrenze nur an wenigen Stellen überhaupt erreicht, geschweige denn überschritten: „Deutsche wissen offenbar sehr viel mehr von dem, was in Russland passiert ist, als sie zugeben, und sie verstecken ihre Angst und ihr schlechtes Gewissen, indem sie die Russen voller Verachtung als <unzivilisiert, barbarisch und dreckig> bezeichnen.“

Nur vereinzelt deuteten sich 1944 jene Auflösungserscheinungen an, die sich unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung erst im Frühjahr 1945 offen zeigen sollten. So empörte sich Ende September 1944 die Gestapo-Außenstelle Trier über Amtsträger, die sich heimlich bereits auf die künftige amerikanische Herrschaft einstellten: „So wurde zum Beispiel ein ehemals zerstörter Judenfriedhof wieder in Ordnung gebracht, braune Hosen von Amtsträgern umgefärbt oder Führerbilder ohne ernsthaften Anlass vernichtet..!“ Und in vielen Großstädten hatte sich bereits 1944 ein bewaffneter Untergrund aus entflohenen Zwangsarbeitern und aus sonstigen Gründen Untergetauchten gebildet – so beispielsweise in der Trümmerwüste von Köln, wo sich die Polizei mit jenen Gruppen regelrechte Scharmützel lieferte und die Festgenommenen öffentlich exekutierte; – ein grausiges Schauspiel, das noch einmal das Nazi-Gewaltregime widerspiegelte, ohne dessen Zusammenbruch aufhalten zu können.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 30/03/2017. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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