Am 19. Oktober des Jahres 1934, als die Presse noch nicht „gleichgeschaltet“ war, konnte auch ein kommunistisches Blatt, die „Deutsche Volks Zeitung“ noch relativ offen berichten. Hier ein bunter Reigen aus dem Alltagsleben im Reich Adolf Hitlers aus deren Sicht.
Das Zentralkomitee der KPD an das werktätige Saarvolk. Mit der siegreichen Entscheidung an der Saar gegen Hitler rückt die Abrechnung in Deutschland näher. Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands veröffentlicht einen Aufruf an die werktätige Bevölkerung des Saargebietes. Der Aufruf charakterisiert in knappen Sätzen die Politik des Faschismus, die Deutschland in eine beispiellose Katastrophe treibt und weist auf die in Hitler-Deutschland sich immer mehr herausbildende Einheitsfront der kommunistischen, sozialdemokratischen und christlichen Arbeiter und Werktätigen und den steigenden Kampfeswillen hin. Dann heißt es: Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands erklärt vor der gesamten deutschen Arbeiterklasse und allen Werktätigen, daß die nächste Schlacht auf dem Wege zur Unterhöhlung und Schwächung, zur Niederringung der blutigen faschistischen Diktatur im Saargebiet geschlagen wird.
Diese Schlacht muß sich zu einer internationalen Schlacht gegen den Faschismus auswachsen. Von heute ab wird die ganze Kraft der deutschen Partei auf dieses Ziel im Lande selbst und allerwärts konzentriert. Hitler muß an der Saar eine vernichtende Niederlage erleiden. Das erfordern die Interessen der deutschen Arbeiter und Werktätigen: das erfordern die Interessen unserer deutschen Jugend, die eine gesicherte Zukunft will, die nicht im Kriegsgemetzel verröcheln soll: das erfordern die Interessen aller Werktätigen an der Saar, die von diesem Mord- und Terrorsystem behütet werden sollen; das erfordern die Interessen des internationalen Proletariats und aller Freunde des Friedens und der Freiheit. Es kann nur eine Lösung geben: Niemals darf das Saarvolk dem Blutregime Hitlers ausgeliefert werden.
Kein Zweifel, der Kampf an der Saar wird ein harter Kampf. Die Provokateure des Reichstagsbrandes und des Wiener Putsches und ihre Helfer an der Saar werden mit allen Mitteln, mit Fälschungen, mit Terror, mit Korruption, mit den tollsten demagogischen Versprechungen das Saarvolk zu irritieren und überrumpeln versuchen. Entgegen allen Verleumdungen, wir Anhänger des Status quo seien „Landesverräter!“ Ihr an der Saar, „Separatisten und Französlinge“ erklären wir: die Niederlage Hitlers an der Saar ist der nächstliegende Teilkampf für die Befreiung Deutschlands von der braunen Besatzung. Je vernichtender die Niederlage des deutschen Faschismus an der Saar ist, desto schneller werdet Ihr deutschen Saarländer mit uns in einem freien Deutschland vereinigt sein.
Wer ein freies Deutschland will, muß Hitlers Niederlage an der Saar wollen. Röchling nennt uns Landesverräter. Aber er, der den Raubkrieg schürt, verkauft zugleich Kriegsgeräte, Panzerplatten für blinkendes Gold an den sogenannten Erbfeind. Krupp, der uns Französlinge nennt, verkaufte noch während des Krieges über die Schweiz und Holland Haubitzen an die französische Armee. Wir Kommunisten sind die unversöhnlichen Feinde der deutschen wie der französischen Kapitalisten. Wir sind die unzertrennlichen Freunde der französischen Arbeiter, die unsere Klassenbrüder sind. Landesverräter sind die Mörder an jugendlichen Volksgenossen, sind die Kulturreaktionäre, sind die Ausbeuter und Volksausplünderer, die nur von gesetzlich erlaubtem Diebstahl leben, sind die Kriegstreiber, die das ganze deutsche Volk in die Katastrophe führen. Die Kommunistische Partei Deutschlands erklärt im vollen Einverständnis mit der kommunistischen Organisation an der Saar, in voller Uebereinstimmung mit der Kommunistischen Partei Frankreichs:
Unmittelbar nach dem Sturz der faschistischen Diktatur in Deutschland ist es eine Selbstverständlichkeit, daß sofort eine neue Volksabstimmung im Saargebiet zwecks Rückgliederung an Deutschland durchgeführt werden muß. Die Kommunistische Partei Deutschlands wird brüderlich vereint mit dem französischen Proletariat die Saarwerktätigen verstärkt unterstützen, die in der Zwischenzeit den Kampf weiterführen müssen gegen jegliche nationale Unterdrückung der Saarbevölkerung, für ihre forderungen nach demokratischen Freiheiten und Selbstbestimmung, für eine in geheimer und gleicher Wahl gewählte souveräne Volksvertretung im Saargebiet, für Koalitions-, Versammlungs- und Streikfreiheit, für die materielle Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter und Angestellten.
Mit der siegreichen Entscheidung an der Saar gegen Hitler rückt die Abrechnung in Deutschland näher. Mit leidenschaftlicher Anteilnahme kämpf die Arbeiterklasse im Reiche Seite an Seite mit Euch, um das gemeinsame Ziel, den Hitlerfaschismus an der Saar zu schlagen. Eine verlorene Schlacht Hitlers an der Saar soll zu einem neuen Nagel am Sarge Hitlers werden. Der Sieg der Arbeiter an der Saar wird die Millionenarmee antifaschistischer Kämpfer im ganzen Reiche zu neuen Vormärschen begeistern. Unter den Hämmern der Arbeiterfäuste wird das blutbesudelte, faschistische Barbarenregime zerbrechen – werden die Fahnen der Freiheit, der sozialistischen Rätemacht wehen. Nieder mit der Hitlerdiktatur! Nieder mit den faschistischen Kriegstreibern! Hoch die Freiheit, der Sozialismus! Die Kampfparole aller Saarländer heißt: für den Status quo! In diesem Sinne entbietet das Zentralkomitee der KPD allen Antifaschisten an der Saar brüderliche Kampfgrüße. Rot Front.
Auf der gleichen Seite folgt dann ein Beitrag von Theodor Balk: Geschichten aus dem Primstal.
Das Primstal liegt zwischen sanften und weichen Hügeln – östlich von Saarlois. Das milchige Licht des herbstlichen Nebels läßt die Landschaft noch milder erscheinen. Das Klimbim der Vizinalbahn gibt ihr den letzten idyllischen Strich. Doch das Bild trügt! Mit der verträumten Klimbimbahn fahren die Kumpels nach Velsen, sind 12 Stunden unterwegs. Und in den Stuben der versponnenen Dörfer wird hart über Status quo oder Rückgliederung diskutiert. Da habe ich folgendes gehört: Das Kind ist ehrlicher! Der Metzger führt uns in die Stube, dann muß er nach vorne bedienen. Die Metzgerin ist rund und rosig. Nein, wie sie abstimmen wird, das weiß sie noch nicht. Sie und ihr Mann sind in der Deutschen Front.
Schickte der Lehrer, der Ortsleiter der Deutschen Front ist, ein Kind mit der Beitrittserklärung zur Deutschen Front. Schickt die Metzgerin das Kind zurück: Nein, wir unterschreiben nichts. Schickt der Lehrer das Kind zurück: Was für Zeitung sie denn lesen! Nix, ist die lakonische Antwort. Schickt der Lehrer zum drittenmal das Kind: soll der Vater ein Glas Bier weniger trinken und die „Deutsche Front!“ abonnieren. Der langen und friedlichen Geschichte Ende war, daß der Metzger und die Metzgerin die Beitrittserklärung zur Deutschen Front unterschrieben. Aber wie sie am 13. Januar stimmen werden, das wollte die Metzgerin mir nicht verraten. Wir sind deutsch!
Der zweijährige Sohn hat mir während des ganzen Gesprächs eine Zündholzschachtel auf den Notizblock geschoben, er sah, daß er mich damit ärgerte. Sage ich dem Kleinen zum Abschied: Wenn du nicht brav bist, holt dich der Hitler. Sagt mir der zweite Bengel der Metzgerin, so an die acht Jahre mag er alt gewesen sein: Wir sind nix für Hitler. Lacht die Metzgerin, lacht und streichelt ihren Bengel mit dem Blick: Da haben Sie es, meint sie, die Kinder sind aufrichtiger als wir Aelteren.
In der nächsten Folge erscheinen weitere „kurzweilige“ Mitteilungen aus diesem Blatt, das seine Ziele auch nie verwirklichen konnte. Das Saargebiet kehrte „heim ins Reich!“, noch vor der Ostmark.
Von Rolf von Ameln
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