Theodor Fontane beschreibt in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ auch Oranienburg, das kleine Städtchen im Havelland. „Die prächtige Havel, mit jener Fülle von Seen, die sie namentlich um Potsdam herum aufreiht, ist auf weite Strecken hin, wie ein Spiegel unserer königlichen Schlösser, deren Schönheit sie verdoppelt“. Mit dieser schönen Beschreibung beginnt das Kapitel. Kurfürstin Henriette, eine geborene Prinzessin von Oranien, gab diesem Städtchen einst den Namen.
Vierzig Jahre nach Fontanes zauberhafter Beschreibung, im Jahr 1933, errichteten die Nationalsozialisten in diesem kleinen idyllischen Havelstädtchen das erste Konzentrationslager. Politische Häftlinge wurden in dieses Lager verschleppt, so Erich Kurt Mühsam aus Lübeck. Ein humanistisches Gymnasium besuchte er, auf dem Monte Verita oberhalb Asconas im Tessin traf er sich mit Künstlern, Aussteigern, Pazifisten zum Erproben eines neuen Lebensbildes. In München gründete er mit anderen zusammen den sozialistischen Bund, war Anführer der Münchener Räterepublik und befreundet mit bekannten Schriftstellern. 1934 wurde er in „Schutzhaft“ genommen, nach Oranienburg gebracht und kurz darauf dort von der SS ermordet. Ein kurzer Vermerk in der Zeitung von damals: „Der Jude Erich Mühsam hat sich in der Schutzhaft erhängt“.
Kurz nach Mühsams Ermordung wurde in dem Havelstädtchen das KZ aufgelöst. Im Jahr 1936 bauten die Nationalsozialisten am Rande des Ortes im Straßendorf Sachsenhausen ein neues, größeres, funktionaleres Konzentrationslager, zur Ausbildung von KZ-Kommandanten. „Ein Musterlager“ sollte es werden, von Zwangsarbeitern und Häftlingen erbaut. 200.000 politische Gefangene wurden zu Beginn interniert, später kamen „rassisch minderwertige“ Gruppen, Juden, Homosexuelle, Sinti, Roma, Zeugen Jehovas, u.a., hinzu. 1941 erschoss die SS in diesem Lager ungefähr 18.000 sowjetische Gefangene. In einer „Fälscherwerkstatt“ des KZs wurden Millionen von englischen Pfund gedruckt. Für viele der Inhaftierten war Sachsenhausen ein Übergangslager bis zur Deportation nach Auschwitz.
Der Sowjetische Geheimdienst errichtete 1945 ein Speziallager Nr. 7, wo erneut zehntausende von Menschen ihr Leben ließen, auch der Schauspieler Heinrich George.
Am 21. April 1945 räumte die SS das KZ und der Todesmarsch für die entkräfteten, noch überlebenden 35.000 Häftlinge begann in Richtung Ostsee. Auf diesen Märschen starben wiederum tausende von ihnen. In der Nähe von Schwerin wurden sie von der Amerikanischen Armee in Empfang genommen und befreit.
Unter ihnen befand sich damals der 17jährige Helmut Steinitz aus Posen. Mehrere KZs hatte er überlebt, den Todesmarsch aufgrund seiner Jugend, seines Willens, geschafft. Von den Amerikanern wurde er nach Schleswig Holstein in ein Sammellager gebracht und sein Wunsch, nach Palästina zu gehen, ging in Erfüllung. Bereits 1946 betrat er das „Gelobte Land“ im Hafen von Haifa.
Vor Jahren lernte ich Zwi Helmut Steinitz im Abgeordnetenhaus in Berlin kennen als er moderiert von Avi Primor, dem ehemaligen Israelischen Botschafter in Bonn, aus seinem Leben erzählte. Stumm und tief atmend erlebte ich die Erzählung von Zwi Helmut Steinitz. Seitdem wird er, inzwischen auch mit Regina Steinitz, seiner Frau, geb. 1930 in Berlin, sehr häufig nach Deutschland zu Gesprächen eingeladen. Vor allem in Schulen spricht er gerne, vermittelt den jungen Menschen die Zeit von damals, nicht anklagend, nur wach zu bleiben, zu beobachten. Eine bessere und informativere Geschichtsstunde gibt es kaum für diese Schüler. Ins Land der Vorväter kommt das Ehepaar inzwischen oft, beide erzählen hier und dort ihre Erlebnisse, schreiben Bücher und viele Mails.
Im Auditorium der schlichten Architektur, der Topographie des Terrors in Berlin, gab es vor sieben Jahren ein Film- und Erzählereignis. „Die blonde Provinz“, ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 2009 von Jacek Kubiak, Poznan, und Klaus Salge, Deutschland, wurde gezeigt. Eine Uraufführung sollte es werden. Die Gründung des „Ostimperiums“ fand statt, der Überfall auf Polen 1939 und 1941 der Überfall auf die Sowjetunion. Weitere Überfälle auf andere Länder Europas erliegen dem Größenwahn des Hitler-Regimes. Der Kriegsbeginn 1939 ist gewollt. Der Untergang des Abendlandes beginnt!
Tausende von Polen trieben sie in den Osten des Landes, in den Tod. Polnische Geistliche, Lehrer, Journalisten, Schriftsteller, Wissenschaftler werden kurzerhand ermordet, die Juden kamen in Vernichtungslager. Volksdeutsche aus dem Baltikum wurden „Heim ins Reich“ geholt, wohnten seitdem in den verlassenen Wohnungen und Häusern der vertriebenen christlichen und jüdischen Polen in Poznan/Posen. Die Nazis schufen in Windeseile das „Reichsgau Wartheland“. „Eine blonde Provinz, so Heinrich Himmler, ein Experiment zur Züchtung einer germanischen Herrenrasse“, sollte entstehen.
Die Protagonisten des Films sind drei Männer, die damals noch Kinder waren. Alle drei hatten einen Bezug zu Poznan. Dieter Bielenstein, wurde in Lettland geboren, seine Familie 1940 als Volksdeutsche in den neu geschaffenen „Warthegau“ übergesiedelt. Henryk Jaszcz suchte nach dem Überfall der Deutschen seine Eltern vergeblich in Poznan, schloss sich dem Widerstand an. Helmut Steinitz, seine Eltern und sein Bruder wurden als Juden ins Lager nach Krakau geschafft und weiter nach Belzec, wo die Eltern und der Bruder ermordet wurden. Er selbst wurde weiter in die Lager Plaszow, Auschwitz, Buchenwald und zuletzt nach Sachsenhausen gebracht. Im April 1945 befreiten ihn die Amerikaner bei Schwerin und Zwi Steinitz war klar, nicht in diesem Land zu bleiben. Palästina sollte es sein und wurde es. 1946 kam er mit dem Schiff nach Palästina. Seitdem lebt er in Tel Aviv.
Das Filmteam begleitete Zwi Helmut Steinitz, geb. 1927 in Posen/Poznan, bis in das Vernichtungslager Belzec in der Nähe Lublins, kurz vor der ukrainischen Grenze. Über 600.000 Menschen jüdischer Abstammung aus Polen, Deutschland und der Tschechoslowakei wurden hier ermordet. Überlebende gab es keine! Siebzig Jahre nach der Ermordung der Eltern und des Bruders kam Zwi Helmut Steinitz zum ersten Mal nach dort, konnte ihnen, seinen liebsten und wichtigsten Angehörigen, endlich nach so vielen Jahren die letzte Ehre erweisen! Begleitet wurde Zwi Helmut Steinitz von seiner Frau Regina und dem Sohn Ami-Chai. Herzzerreißend war der Film. Das Publikum weinte.
Sechs Bücher hat Zwi Steinitz sich von der Seele geschrieben, die Professor Dr. Erhard Roy Wiehn im Laufe der Jahre im Hartung-Gorre Verlag in Konstanz herausgegeben hat.
Die Bundesrepublik Deutschland ehrte Zwi Helmut Steinitz für seine wichtige Erzähl- und Aufklärungsarbeit in Deutschen Schulen mit dem Bundesverdienstkreuz.
In einem Interview des Deutschlandfunks betonte der fast neunzigjährige Überlebende Zwi Steinitz:…Und ich persönlich werde nach Deutschland kommen, solange meine Gesundheit mir das erlaubt, weil ich das als eine heilige Pflicht als Überlebender sehe, im Namen der Menschen zu sprechen, die nicht das Recht hatten zu leben.
Von Christel Wollmann-Fiedler
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