„Die Zeitung“, ein Exilblatt, das in London erschien, titelt am Freitag, den 12. Juni 1942: Warum Heydrich getötet wurde. Nazi-Komplott mit tschechischen Quislings durchkreuzt – Die torpedierte „Befriedung“.
Aus Berichten, die der Zeitung zugegangen sind, ist es möglich, ein klares Bild der politischen Vorgänge zu gewinnen, die am 27. Mai 1942 zur Erschiessung Heydrichs in Prag geführt haben. Diese Erschiessung war nicht nur ein Akt der Volksjustiz für die rund 500 Morde, die Heydrich nach nazi-offiziellem Eingeständnis in der Tschechoslowakei verübt hat. Sie waren zugleich ein politisches Ereignis von grosser Bedeutung. Sie verhinderte die Durchführung eines weitreichenden Abkommens, das Heydrich soeben mit tschechischen Quislingen getroffen hatte, und torpedierte in einem entscheidenden Zeitpunkt die Pläne der Nazis zur Durchführung ihrer neuen „Befriedungs“-Politik in den Ländern der neuen Ordnung.
Diese Pläne richten sich darauf, die eroberten Länder durch Gewährung einer Scheinautonomie unter Quisling-Regierungen zu ködern, dann durch manipulierte Volksabstimmungen mit „überwältigenden Mehrheiten“ den Willen zur weiteren „Zusammenarbeit“ mit dem Deutschen Reich aussprechen zu lassen, und schliesslich, mit diesen „freiwilligen“ Anschlusserklärungen bewaffnet, eine Friedensoffensive grossen Stils zu beginnen. Die erste Warnung, dass eine grosse Aktion gegen das tschechische Volk vorbereitet werde, wurde merkwürdigerweise in der Welt kaum bemerkt. Am 11. Februar nämlich – knapp drei Wochen nach der Umbildung der „Protektorats-Regierung“ – berichtete das Prager „Ceske Sloro“ über eine Rundfunkrede, die der Quisling Emanuel Moravec gehalten hatte.
Er hatte davon gesrpchen, dass „die kommende Volksabstimmung im Protektorat“ den Beweis dafür erbringen würde, dass 70 bis 90 Prozent des tschechischen Volkes die Politik des Dritten Reiches unterstützten. Diese Rede des tschechischen Quislings hatte selbstverständlich die Nazi-Zensur passieren müssen, und diese Zensur hätte die Rede nicht durchgelassen, wenn eine solche Volksabstimmung nicht von den Nazis im Verein mit der Hacha-Regierung geplant gewesen wäre. Diese „Volksabstimmung“, über deren Ausgang ebensowenig ein Zweifel bestehen konnte wie seinerzeit bei der Volksabstimmung nach Hitlers Einmarsch in Österreich, sollte das Schlusskapitel von Verhandlungen bilden, die zwischen der Hacha-Regierung und dem Amt des stellvertretenden Reichsprotektors Heydrich geführt wurden.
Verhandlungsreform: Die Verhandlungen zogen sich lange hin. Ende Mai aber wurden die Dinge spruchreif. Der „Neue Tag“, das offizielle Organ der Prager Nazis, berichtete in der Ausgabe vom 27. Mai, wenige Stunden vor der Erschiessung Heydrichs: „Am 26. Mai empfing Heydrich das Protektoratskabinett und informierte es über die Prinzipien der Verwaltungsreform, die, gemäss dem Erlass des Führers vom 7. Mai 1942 innerhalb der nächsten Wochen eingeführt werden wird. Bei einer nachfolgenden Pressekonferenz enthüllte Heydrich, dass die autonome Verwaltung um ein Drittel der Bezirkshauptmannschaften verringert werden würde; dass die Kontrolle gewisser Materien von den Ministerien auf die Provinzpräsidenten übertragen werden würde, und gewisse Aufgaben der Provinzpräsidenten auf die Bezirkshauptleute“.
Die Bezirkshauptleute sind Tschechen. Wenn auch die Bezirkshauptmannschaften zahlenmässig um ein Drittel reduziert werden sollten, so wurde doch der Wirkungskreis der verbleibenden Bezirkshauptleute durch die Übernahme von bisher den Provinzpräsidenten vorbehaltenen Aufgaben vergrössert. Die Warnung – und die Antwort: Also ein „Zugeständnis“. Aber wie es gemeint war, machte Heydrich in den letzten zwei Sätzen deutlich, die er in der Pressekonferenz ansprach. Er sagte: „Die wichtigste Reform ist die Übertragung zahlreicher Aufgaben von den deutschen Oberlandräten auf eine autonome Verwaltung, was jedermanns Pflicht einschliesst, dem Wohle des Reiches gemäss den Befehlen des Führers zu dienen“.
An diesem Satz schloss Heydrich noch eine Warnung davor, „diese Grosszügigkeit als ein Zeichen der Schwäche aufzufassen“. Die unterirdischen Organisationen der Tschechen – die bestfunktionierenden in Europa – haben die Warnung nicht missverstanden. Sie wussten, dass die Quislinge in der Protektoratsregierung mit diesem Akt den ersten Schritt zur Kompromittierung des tschechischen Widerstandes getan hatten und dass sie damit das Spiel der Nazis spielten. Die Erschiessung Heydrichs hat das feingesponnene Netz, in dem die Nazis die Tschechoslowakei zu fangen gedachten, zerrissen. Die Enttäuschung der Nazis drückt sich in ihren Massenmorden aus, die in der Ausmerzung eines ganzen Dorfes ihren furchtbaren Höhepunkt erreicht haben.
Panik im Quislinglager: Vollkommene Panik aber ist im Lager der Quislinge ausgebrochen. Sie versuchen, durch beispiellose Unterwürfigkeit gegen die Henker ihres Landes und Kriegserklärungen gegen das eigene Volk ihr zerstörtes Konzept doch noch zu retten. So erklärte der Quisling Moravec – dessen „Amt für Volksaufklärung“ am 26. Mai aus Heydrichs Händen den Rang eines Ministeriums erhalten hatte, nachdem er Pläne zur Reduktion des höheren Schulwesens auf Gewerbe- und Fachschulen verkündet hatte – am 31. Mai im Rundfunk: „Mit allen Mitgliedern des tschechischen Volkes, die ihrer legalen Regierung und ihren legalen Präsidenten nicht gehorchen, wird erbarmungslos verfahren werden.
Die tschechische Regierung wird dem Reich jede Hilfe in dem Kampf gegen dem Reich feindliche Elemente angedeihen lassen, um den Kampf gegen die Fünfte Kolonne in unserem Land zu beenden und Ordnung und friedliche Arbeit für das Reich wieder herzustellen.“ Dieses Versprechen des Quislings hat zwar noch nicht die Genehmigung Dalueges gefunden, der auf persönlichen Befehls Hitlers einstweilen selber die Mordaktionen in Böhmen durchführt. Aber die „Narodne Politika“ vom 7. Juni kündigte bereits an, dass tschechische Behörden und tschechische Polizei die Reinigungsaktion weiterführen würden, „bei der alle direkten und indirekten Feinde der Zusammenarbeit mit dem Reich der Vernichtung entgegengehen.“
Damit haben die Quislinge ihr Schicksal an das der Nazis gebunden – aber nichts daran ändern können, dass ihr Versuch, das Schicksal der Tschechoslowakei an das des Deutschen Reichs zu knüpfen, zunichte gemacht worden ist.
Von Rolf von Ameln
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie uns bitte mit einer Spende, oder werden Sie Mitglied der Israel-Nachrichten.
Durch einen technischen Fehler, ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet!
Leserkommentare geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wie in einer Demokratie ueblich achten wir die Freiheit der Rede behalten uns aber vor, Kommentare nicht, gekuerzt oder in Auszuegen zu veroeffentlichen. Anonyme Zuschriften werden nicht beruecksichtigt.