Meine Seite

Abonnieren

  • Subscribe via Email
  • Facebook
  • Twitter

Jüdisches Nachrichtenblatt am 16. Dezember 1938: Ansiedlung von 600.000 Juden in Erez-Israel

Verzweifelte Versuche der Rettung

Auf der Titelseite dieser Ausgabe beschäftigt man sich weiterhin mit der „jüdischen Wanderung“ und gibt Tipps, in welche Länder man eventuell n o c h ausreisen könne. Erachtenswert erscheint ein Beitrag mit dem Titel „Ansiedlung von 600.000 Juden in Erez Israel, ein Vorschlag Josuah Hankins.

Aus Jerusalem kommt die Meldung, daß Josuah Hankin, eine der bekanntesten Persönlichkeiten, die sich in erster Linie mit der Erlösung des Bodens in Erez Israel beschäftigt, einen großzügigen Plan für eine Massenansiedlung von Juden in Palästina im Verlauf eines Deszenniums ausgearbeitet hat. Dieses Projekt, das Hankin dieser Tage veröffentlicht hat und im Jischuw lebhaft besprochen wird, sieht folgendermaßen aus: Der Inhalt des Planes: In den nächsten zehn Jahren sollen 600.000 Juden nach Erez Israel gebracht und dort seßhaft gemacht werden. 120.000 von diesen Neueinwanderern sollen ausschließlich zu landwirtschaftlicher Tätigkeit herangezogen werden. Nach den Berechnungen Hankins benötigt man zur Durchführung des Projektes ein Gebiet von 480.000 Dunam und 153 Millionen Pfund. Diese gewaltige Summe wird aber nicht bloß für die Ansiedlung der 600.000 Juden, das heißt für den Ankauf von Boden und für die Errichtung von Behausungen sowie für die Beschaffung von Geräten benötigt, sondern auch für die Urbarmachung des Landes, für Straßenbau, Erziehung, Gesundheitsdienst und Verteidigungszwecke. Die Siedler selbst sollen zu diesem Betrag 41 Millionen Pfund beisteuern, also nicht ganz 70 Pfund pro Kopf. Der Rest, 112 Millionen, soll von den nationalen Fonds und durch nationale Anleihen aufgebracht werden.

Auf Seite zwei geht es um die „Planmäßige Ansiedlung des jüdischen Mittelstandes“

Der Sinn der jüdischen Palästina-Wanderung ist es nicht nur, die Menschen in ein neues Land, in ihr Land zu bringen, sondern auch ihnen ein neues Leben der Arbeit zu erschließen. Diese Zielsetzung ist nicht nur ein nationales Ideal, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit gerade für diejenige Schicht, die in der Einwanderung der letzten Jahre eine besonders große Rolle spielt, für den Mittelstand. Die Aufgabe war und bleibt, für tausende jüdische Kaufleute und Akademiker neue Existenzmöglichkeiten zu schaffen. Bereits vor fünf Jahren haben die nationalen Instanzen insbesondere jene, die für die Einwanderung aus Deutschland verantwortlich waren, erkannt, daß es gilt, für dieses Arbeitsgebiet ein unter nationaler Kontrolle stehendes Instrument zu schaffen, das die Ansiedlung mittelständischer Elemente auf dem Land, sei es in der Form der Vollsiedlung oder der Hilfswirtschaft, sei es auf Privatboden oder auf National-Fonds-Boden, übernimmt und laufend und systematisch durchführt. So entstand die „Rassco“ – Rural and Surburban Settlement Comp. Ltd.

Die landwirtschaftlichen Mittelstandssiedlungen in Palästina: Von den drei landwirtschaftlichen Mittelstandssiedlungen, welche diese Gesellschaft in den knapp drei Jahren ihrer praktischen Arbeit aufgebaut hat, ist Kfar Schmarjahu bei Herzlia die älteste und fortgeschrittenste. Erst während der Unruhen wurde das Werk begonnen und durchgeführt. Aber das junge Dorf ist doch schon weit genug entwickelt, um als Probe auf das Exempel der neuen Siedlungsmethode gelten zu können. Schon ist auch die zweite Siedlung, Sdeh Warbug bei Gan Chajim auf Nationalfondboden über das erste Stadium des Aufbaus hinaus, und viele der Feststellungen, die sich nachfolgend auf Kfar Schmarjahu beziehen, treffen auf diese zweite Siedlung zu. Anders liegt es bei der jüngsten Schöpfung der „Rassco“m Shave Zion zwischen Akko und Naharia, in der der Versuch unternommen worden ist, eine Gruppe in der Landwirtschaft erfahrener, durch Familien- und Freundschaftsbeziehungen verbundener Einwanderer aus Deutschland in genossenschaftlicher Form anzusiedeln.

Wo vor zwei Jahren noch Brachland war, steht heute das blühende Dorf Kfar Schmarjahu mit mehr als zweihundert Einwohnern – überwiegend Einwanderer aus Deutschland – und mehr als sechzig geräumigen Steinhäusern mit rotem Ziegeldach. Zwar sind die Obstbäumchen noch klein, aber die Gemüsefelder haben schon sechs und teilweise noch mehr Ernten geliefert. Milch und Eier aus Kfar Schmarjahu sind schon in beachtlichen Quantitäten auf dem Markt und die ersten Bananenpflanzungen beginnen Früchte zu tragen. Kfar Schmarjahu hat auch sogenannte Hilfswirtschaften von wenigen Dunam, auf denen in begrenzter Zahl Handwerker und Fachleute bestimmter Berufe angesiedelt wurden. Sei Gepräge aber erhält der Ort durch die etwa vierzig Vollwirtschaften von je zehn bis zwölf Dunam mit Geflügel und Kuhstall. Auf dieser immerhin noch begrenzten Bodenfläche, enthält jede einzelne Wirtschaft ein erstaunlich vielseitiges Produktionsprogramm, um den Siedler möglichts widerstandsfähig gegen Konjunkturschwankungen oder Mißernten auf einzelnen Marktgebieten zu machen.

So wie jeder Siedler einige Dunam schweren Boden erhielt, so ist auch eine gewisse Mischung zwischen leichter und schwerer Arbeit angestrebt worden. So kann im Normalfall eine drei- bis vierköpfige Familie den höchstmöglichen Nutzeffekt aus ihrer Wirtschaft herausholen, ohne fremde Arbeitskräfte in Anspruch nehmen zu müssen. Nur in einem Punkt sind die Siedler noch stark auf fremde Mitwirkung angewiesen, in der Instruktion. Für alle Gebiete stehen den Siedlern alterfahrene Instruktoren jederzeit zur Verfügung, die ihnen die nötigen Anleitungen geben, nicht nur über die technische, sondern auch über die wirtschaftliche Seite der Arbeit. So wurde zum Beispiel darauf geachtet, daß im Gemüsebau die einzelnen Produkte möglichst – soweit Boden und Klima es gestatten – zu der Zeit auf den Markt gebracht werden, in der gerade in diesem Produkt kein Überangebot besteht. Das für die palästinensische Landwirtschaft so wichtige Problem des Saisonausgleichs wurde damit praktisch in Angriff genommen.

Ein sehr wesentlicher Anpassungs- und Erziehungsfaktor war auch. daß viele Siedler mit eigenen Händen am Aufbau ihrer Gebäude oder an der Vorbereitung ihres Feldes mitgearbeitet haben, manche sogar, um sich während des Aufbaus ihren Lebensunterhalt als Lohnarbeiter der „Rassco“ bei den ersten allgemeinen Erschließungen zu verdienen. Am bedeutsamsten für die Einordnung und Umschichtung dieses meist nicht mehr jungen Menschenmaterials ist, daß die „Rassco“ dem Siedler das schwerste Risiko der Unerfahrenheit nicht nur abnimmt, sondern ihm sogar verbietet, dieses Risiko auf eigene Kappe zu nehmen, selbst wenn er es gerne möchte. Mit dem „Rassco“-Siedler wird vielmehr von vornherein ein dem Siedlungsprogramm der „Rassco“ entsprechender Siedlungs- und Bauplan mit dem dazugehörigen Budget vereinbart wobei die „Rassco“ sich heute schon auf eigenes Erfahrungsmaterial stützen kann. Nicht nur der Anlageplan für den ganzen Ort, sondern der Bauplan für das einzelne Haus und der Bestellungsplan für das einzelne Feld werden von vornherein festgelegt.

Um die Einhaltung dieses Aufbauplanes zu sichern und um gleichzeitig durch gemeinsame Vergebung der Arbeiten die Investitionskosten möglichst niedrig zu halten, verlangt die „Rassco“, daß der Siedler ihr den genannten Betrag, der nach dem Voranschlag zu investieren ist, zu treuen Händen übergibt und nur im Einverständnis mit ihr verwendet, wobei die „Rassco“ von Fall zu Fall den Aufbau für den Siedler treuhänderisch übernimmt. Diese Sicherstellung erstreckt sich nicht nur auf die eigentlichen Investitionen, die Baulichkeiten mit lebendem und totem Inventar, sondern auch auf ein gewisses Reservekapital für unvorhergesehene Ausgaben sowie die Unterhalts- und Betriebskosten der Anlaufzeit. Ist der Betrieb erst eingespielt und haben „Rassco“ und Siedler ihre gegenseitigen Verpflichtungen erfüllt, so bestehen, rechtlich gesehen, keinerlei Verpflichtungen mehr; der Siedler ist freier Bauer auf freier Scholle.

Der Gesamtbetrag der erforderlichen Investitionen einschließlich Boden, Haus- und Reservekapital, beträgt für eine Vollsiedlung in Kfar Schmarjahu etwa 1650 Pfund, in den „Rassco“-Siedlungen. Sdeh Warburg und Shave Zion, die auf Keren-Kajemeth-Boden erbaut sind, wegen des Fortfalls des Bodenpreises entsprechend weniger. Der Nettobetrag einer voll laufenden Wirtschaft in Kfar Schmarjahu wird im Monatsdurchschnitt auf etwa zehn Pfund veranschlagt. Die Eierproduktion von Kfar Schmarjahu wird zur Zeit gemeinsam mit der Kooperative von Ramoth Haschawim auf den Markt gebracht. Die Gemüseproduktion wird von der Kooperative Kfar Schmarjahu in eigenen Autos nach Tel Aviv und Jerusalem geliefert, und die guten Preise, die bisher erzielt worden sind, sprechen für die Zweckmäßigkeit der Organisation; der Siedler braucht sich nicht um den Absatz zu kümmern; wenn er sein Feld abgeerntet und das Gemüse sortiert hat, stellt er den Gemüsekorb mit dem Abrechnungszettel vor die Tür, die Kooperation holt ihn ab und erledigt alles weitere. Ein sehr wesentlicher Anteil des Ertrages, der zu der Einnahme aus dem Verkauf hinzukommt, besteht in den Naturlalleistungen die der Siedler aus seiner Wirtschaft herauszieht. Er wohnt im eigenen Haus – also mietfrei – und kann seinen Bedarf an Milch, Eiern, Geflügel und Obst aus eigener Produktion decken. Der Wert dieser Natural-Entnahme wird auf weitere fünf bis sechs Pfund im Monat veranschlagt, doch würde man in der Stadt wesentlich mehr bezahlen müssen, wenn man ebenso essen und wohnen wollte. Schließlich kommt ein dritter Ertragsfaktor hinzu, der seelische. So schwer gerade heute Landwirtschaft und Landarbeit in Palästina sind, so findet doch der Städter immer wieder mit Überraschung eine völlig andere Atmosphäre auf dem Land vor. Die körperliche Arbeit und die stete Konzentration auf die nächsten Aufgaben des Tages schafft eine Ausgeglichenheit, eine Stimmung des „realistischen Optimismus“ eine Überlegenheit gegenüber dem mancherlei bitteren Problemen des jüdisch-palästinensischen Lebens, die Neid erwecken kann. Das Leben der neuen Bauern ist nicht leicht und nicht frei von Sorge und trotzdem sieht man andere Gesichter als in der Stadt. Auf dem Land gibt es selbst bei schlechter Konjunktur immer voll ausfüllende Arbeit; das Haus steht und – die Eier sind für den siedler nicht weniger nahrhaft, auch wenn sie einmal schlechte Preise bringen.

Und dann gab es da noch das sogenannte „Rhodesien-Projekt“: Die Frage der Ansiedlung von Juden aus Mitteleuropa in Rhodesien (Südafrika) steht schon seit langer Zeit im Mittelpunkt der Erörterungen, die sich auf das jüdische Emigrationsproblem beziehen. Diese Diskussionen haben jetzt einen besonders lebhaften Charakter angenommen, da in England der Plan vorgelegt worden ist, in Rhodesien ein ausgesprochen jüdisches Territorium zu schaffen. Es ist bereits wiederholt festgestellt worden, daß es dort weite Gebiete gibt, die klimatisch durchaus geeignet sind, um eine Massenansiedlung von Juden aus Europa zu bewerkstelligen. Selbstverständlich handelt es sich hier in erster Linie um landwirtschaftliche Siedlungen, so daß zunächst bloß Menschen in Betracht kommen, die als Landwirte arbeiten wollen und können. Der Plan, nach dem viele zehntausende Emigranten ein neues, brauchbares Heim finden können, ist allerdings über das Stadium der Erwägungen noch nicht hinausgelangt, doch wird versichert, daß das britische Kolonialministerium ihm günstig gesinnt ist und seine Verwirklichung fördern würde, wenn die finanziellen Voraussetzungen befriedigend gelöst werden könnten!

So machte man den europäischen Juden im Jahre 1938 noch Hoffnung auf ein besseres Leben in Würde, aber anstatt 600.000 jüdische Bürger in Erez-Israel ansiedeln zu können, gingen sechs Millionen !! den Weg durch die Hölle des Nazi-Regimes und wurde vernichtet.

Für all´ die geschrieben, die den Holocaust überlebt und den Weg in die Heimat gefunden hatten; – trotz allem!

Von Rolf von Ameln

 

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie uns bitte mit einer Spende, oder werden Sie Mitglied der Israel-Nachrichten.

Von am 20/11/2016. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

Durch einen technischen Fehler, ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet!

Leserkommentare geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wie in einer Demokratie ueblich achten wir die Freiheit der Rede behalten uns aber vor, Kommentare nicht, gekuerzt oder in Auszuegen zu veroeffentlichen. Anonyme Zuschriften werden nicht beruecksichtigt.