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Zeitgeschichte in den Israel Nachrichten: Presse- und Alltagsleben im Reich der Nationalsozialisten

Die Alltagsgeschichte im „Dritten Reich“ war über eine lange Zeit hinweg ein Stiefkind in der Geschichtsforschung. Dabei bergen doch gerade alte Zeitungen viele Informationen über das tägliche Leben der Menschen: Abseits der politischen Tagesmeldungen erfährt der Leser, dass die Deutschen weiterhin ins Kino oder ins Theater gingen, auf der Suche nach der „großen Liebe“ waren, ihr Glück an der Börse versuchten oder damit beschäftigt waren, trotz Rationierung ein normales Leben zu führen, wie dies im Kriegsjahr 1940 für große Teile der deutschen Bevölkerung noch möglich war. Am 5. Januar 1940 beispielsweise gab es keine Sensationen von der Kriegsfront zu vermelden, die Bösen in dieser Auseinandersetzung waren eh´ die Engländer, die deutschen Eiskunstlaufmeisterschaften fanden in Wien statt, über die Weihnachtsfeiertage wurden 65.000 Fahrkarten der Deutschen Reichsbahn verkauft worden und das dänische Nationalmuseum hat aufgrund der Ausstellung eines 3000 Jahre alten, in Marmor versteinerten Mädchens Besucherrekorde verzeichnen können.

Das war der Alltag im Reich Adolf Hitlers, von dem zwei Blätter ausführlich berichteten. Meldung des Tages aber war, dass Göring am Vortag die Leitung der gesamten deutschen Kriegswirtschaft übernommen hatte. Über die wirkliche wirtschaftliche Lage im Reich und die Finanzierung des Krieges konnte man jedoch in den von den Nazi-Bonzen, insbesondere Goebbels tat sich ja hervor, kontrollierten und zensierten Zeitungen nichts finden, ebenso wenig wie über die brutalen Konsequenzen von Görings Wirtschaftspolitik. Dieser hatte nach dem Angriff auf Polen am 1. September 1939 nicht nur befohlen, die gesamte polnische Industrie in das großdeutsche Wirtschaftssystem einzugliedern.

Diese „Eingliederung“ bedeutete auch die Enteignung der polnischen Juden und die Einziehung einer großen Anzahl an polnischen Zivilisten in die deutsche Rüstungsindustrie. Die Nazi-Führung wussten jedoch längst, dass die wirtschaftliche Lage „Großdeutschlands“ einem Mehrfrontenkrieg nicht standhalten konnte. Die späteren „Blitzkriege“ sollten natürlich auch der Versorgung mit Rohstoffen und Arbeitskräften dienen. Damals erschien „Der Alemanne“: Welche politische Intention diese im Raum Freiburg im Breisgau erschienene Blatt vom Beginn seines Erscheinens im Jahre 1931 an verfolgte, verriet bereits sein Untertitel: „Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbaden“.

Der Bericht über den Karrieresprung Görings war mit Superlativen gespickt. Eingeleitet wurde der Text mit einem Auszug aus einem quasi „wissenschaftlichen“ Kommentar, verfasst von Staatssekretär Körner für die Zeitschrift „Der Vierjahresplan“. Paul Körner war nicht nur Görings rechte Hand, sondern in der Praxis auch der Leiter der Vierjahresplan-Behörde. Mit der Zentralisierung aller wirtschaftlichen Belange in einer Hand wurde ausschließlich den Anforderungen des Krieges entsprochen. Göring wurde den Deutschen als „starker Mann“ präsentiert, der eine schwere Aufgabe dynamisch zu lösen versprach.

Die gleiche Meldung wird in der „Frankfurter Zeitung“ ziemlich langweilig und nüchtern eingeleitet. Ein Großteil des Textes über die „hochentwickelte deutsche Wirtschaft“ war ein einziges, über eineinhalb Spalten reichendes Zitat aus der Zeitschrift „Der Vierjahresplan“, ebenfalls von Paul Körner verfasst. Das Zitat jedoch war ein „Kunstgriff“: Die Vorgaben des Propagandaministeriums wurden damit erfüllt, die Aussagen mussten so aber nicht von den Schriftleitern getroffen werden.

Konzepte der Nazi-Propaganda: Um analysieren zu können, welche Vorgaben die Propaganda gemacht hatte und ob und wie diese Anweisungen umgesetzt worden sind, kann man unterschiedliche Quellen zu Rate ziehen. Eine davon sind die Protokolle der geheimen Ministerkonferenzen im Propagandaministerium, die ab 1939 abgehalten wurden. Görings Ernennung zum Verantwortlichen für die gesamte deutsche Kriegswirtschaft kommt hier nicht vor. Rund um den Jahreswechsel 1939/1940 befassen sich aber einige Anweisungen mit der wirtschaftlichen Situation Deutschlands und damit indirekt mit den Ursachen für den rasanten Aufstieg Görings, so zum Beispiel am 22. Dezember 1939: „Der Herr Minister (damit meinte man Goebbels, Anm.d.Verf.) gibt Herrn Gutterer und Herrn Wächter den Auftrag, mit aller Energie die Kohleversorgung Berlins voranzutreiben. Er wünscht, daß täglich nachgefaßt wird und daß nach Möglichkeit und je nach der gebotenen Notwendigkeit durch die Presse Mitteilung an die Bevölkerung gemacht wird.“

Und dazu weiter am 9. Januar 1940: „Die Kohlenfrage erweist sich der gesamten Lage nach als schwieriges Problem, das den Gegebenheiten nach, wie Herr Gutterer erklärt, kaum vollständig zu lösen sein wird. Der Minister vertritt die Auffassung, daß nur mit diktatorischen Vollmachten die Katastrophe verhindert werden kann. Der Minister erhebt allerstärkste Bedenken gegen den Vorschlag, Schulen, Kinos und Theater zu schließen.“ Eine weitere Quelle, aus der sich herauslesen lässt, ob und wie die Propaganda bei der Bevölkerung angekommen ist, sind die „Meldungen aus dem Reich“. Diese Meldungen des Sicherheitsdienstes der SS, des Inlandgeheimdienstes, sollten der Nazi-Führung ab 1939 die Reaktionen der Bevölkerung auf politische und militärische Ereignisse näher bringen. Da heißt es etwa wenige Tage nach Görings Ernennung: „Kohlenmangel beeinflußt stark die Stimmung der Bevölkerung.

Die neuesten, zum Teil alarmierenden Meldungen aus dem gesamten Reichsgebiet lassen erkennen, daß bei weiterem Anhalten der derzeitigen Versorgungsschwierigkeiten Unruhen größeren Ausmaßes auftreten werden. Die Stimmung in der Bevölkerung, namentlich in den Großstädten, in denen der Mangel besonders empfindlich ist, wird in den vorliegenden Berichten außerordentlich gespannt dargestellt. Unter anderem wurden Bemerkungen laut, wie ´daß man nicht wieder hungern und frieren wolle wie im Weltkriege. Damals habe man erst im dritten Kriegsjahr frieren müssen, jetzt sei es schon nach einem Vierteljahr ebenso schlimm.

Man habe eben einen Krieg ohne genügende Vorbereitungen angefangen..`“. Betrachtet man hingegen den Kommentar „Die oberste Instanz“ in der „Frankfurter Zeitung“, so wird die Wirtschaftsleistung Nazi-Deutschlands über den grünen Klee hervorgehoben, die Umstellung auf Kriegswirtschaft habe „reibungslos“ funktioniert, die „schweren“ zu bewältigenden Aufgaben seien ohne „Vorbild“, das System aber habe große „Anpassungsfähigkeit“ bewiesen – und vor allem „Überlegenheit“ gegenüber den Briten. Vergleicht man beide Zeitungen, so findet man kaum Unterschiede; – sie waren eben auch „gleichgeschaltet“; – dennoch war die „Frankfurter Zeitung“ bemüht, etwas liberaler zu berichten. Von 1933 bis zum endgültigen Verbot der „FZ“ war Rudolf Kircher Hauptschriftleiter.

Er war nach dem Kriege weiterhin publizistisch tätig als Herausgeber und Gründer von „Der Standpunkt“ in Meran, ab dem Jahre 1951 als Mitarbeiter der „Deutschen Zeitung“ und der „Wirtschaftszeitung“ in Stuttgart. Stellvertretender Hauptschriftleiter war Dr. Erich Welter, der seit 1935 bei der „FZ“ arbeitete, deren Wirtschaftsteil er bis zur Schließung des Blattes im Jahre 1943 leitete. Als einer der Gründer der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sollte er gemeinsam mit Hans Baumgarten, Erich Dombrowski, Karl Korn und Paul Sethe auch die Presselandschaft der Bundesrepublik Deutschland prägen.

Überschriften wie „Im Zuchthaus kein Radio!“ würde man in der „Frankfurter Zeitung“ vergeblich suchen. „Der Alemanne“ aber berichtet über die Verurteilung eines Hamburger Gastwirtes, der – alleine und in Gegenwart dritter Personen – ausländische Radiosender gehört hatte und deshalb zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Im Brustton der Überzeugung geht der Schreiber dieses Artikels davon aus, dass seine Leserschaft derartiges Verhalten keinesfalls billigen würde. Regional gestaltet sich auch die Seite fünf der Zeitung, mit Meldungen von Vereinen, dem Radioprogramm und kleineren Chronik-Meldungen, ebenso der Anzeigenteil auf Seite sechs. Hier findet man „heiratswillige“ Mädel, Läuferschweine zu kaufen und eine junge Dame, nur flüchtig bekannt von einem gemeinsamen Heimweg wird gesucht. Beim „Alemannen“ ist alles nationalsozialistisch durchtränkt, hier gibt es keinerlei leise Zwischentöne wie bei der „FZ“, Gut und Böse sind entsprechend der NS-Politik eindeutig voneinander getrennt. Die Leserschaft darf gar nicht erst auf die Idee kommen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Aus diesem Grunde musste man sich beim regelmäßigen Lesen einer derartigen Zeitung damit abfinden, ausschließlich stereotype Propagandameinungen eingehämmert zu bekommen.

Zigtausende haben diesen Blättern alles, aber auch alles abgenommen, was die Propaganda ihnen vorgegaukelt hatte; – und das bis zum bitteren Ende.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 06/11/2016. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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