Auch in heutigen Tagen tauchen immer noch Fragen auf: Waren die deutschen Unternehmer skrupellose Opportunisten und Profiteure? Beeinflusste die Wirtschaft die Politik der Nazis oder die Politik die Wirtschaft? Wollte man seine Unternehmungen fortsetzen, so führte oftmals kein Weg an einer Kooperation vorbei. Der Nationalsozialismus schuf in jedem Fall die Möglichkeiten, ohne großes Risiko höchste Gewinne einzufahren.
Der Vierjahresplan, den Göring vorstellte, schuf mit seiner Vermischung staatlich gelenkter und privatwirtschaftlicher Produktion Möglichkeiten, vergleichsweise risikolos Gewinne erzielen zu können. Diese Aussicht trug maßgeblich dazu bei, dass viele Unternehmer, die zu Beginn dem Nazi-Regime vor allem wegen dessen Autarkiepolitik ablehnend gegenübergestanden hatten, zur Zusammenarbeit übergingen. Die Auseinandersetzung um das Verhältnis zwischen Industrie und Nationalsozialismus war lange Zeit von zwei gegensätzlichen Positionen geprägt: Von einem „Primat der Politik“ sprachen jene, die überzeugt waren, dass die Wirtschaft unter dem Diktat des Nazi-Regimes gestanden habe und den Unternehmern kein nennenswerter Handlungsspielraum verblieben sei.
Hingegen war vom „Primat der Wirtschaft“ vor allem im linken politischen Lager die Rede: Die Nationalsozialisten seien, überspitzt formuliert, „Handlanger des Monopolkapitalismus“ gewesen. Seit Mitte der 1980er-Jahre hat sich das Interesse, nicht zuletzt dank der schrittweisen Öffnung verschiedener Firmenarchive, stärker auf einzelne Unternehmen konzentriert. Auf dieser Grundlage lassen sich mehrere Unternehmen unterscheiden: Auf der einen Seite standen die im „Dritten Reich“ die neue Elite der „Parteibuch-Industriellen“ – wie etwa Paul Pleiger und Walter Rohland -, „Funktionärs-Unternehmer“ wie Karl Krauch von IG-Farben sowie „Technik-Unternehmer“ wie Ernst Heinkel oder Ferdinand Porsche; diesem neuen Typus stand die „alte“ Industriellen-Elite gegenüber.
Das Bild, das diese neuen Studien zeichneten, fiel also wesentlich differenzierter, aber deswegen keinesfalls schmeichelhafter aus. Das Spektrum unternehmerischer Verhaltensweisen reichte demnach von „zwangsläufiger Verstrickung“ über „professionelle Selbstmobilisierung“ und „opportunistische Anpassung“ bis zu einer „verantwortungslosen Nutznießerschaft“. Erstaunlich schnell, so der Befund, hätten sich Großunternehmer und Interessenverbände mit den braunen Machthabern arrangiert und auf ihre unternehmerischen Freiheiten verzichtet. Der israelische Wissenschaftshistoriker Avraham Barkai schlug zur Kennzeichnung dieses Verhaltens den Begriff „stille Teilhaberschaft“ vor.
Die Hauptkritik entzündete sich deshalb nicht mehr an eventuellen nationalsozialistischer Überzeugungen einzelner Unternehmer, sondern an deren Bereitschaft, ihr persönliches Verhalten und die Politik ihres Unternehmens einer moralisch indifferenten, ausschließlich ökonomischen Rationalität unterzuordnen. Ein Paradebeispiel dieser engen Verflechtung von Industrie und Nazi-Regime war die „Interessengemeinschaft Farbenindustrie A.G.“, kurz IG Farben. Im Jahre 1925 hatten sich die bedeutendsten deutschen Chemiekonzerne zu diesem Verbund zusammengeschlossen. Hatte sich die IG-Farben-Spitze in der Endphase der Weimarer Republik gegen jede Einschränkung des Außenhandels gewandt, so bemühte sie sich nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Adolf Hitler um einen pragmatischen, auf Anpassung bedachten Kurs.
Recht bald erkannte man, dass der Kurswechsel der Außenwirtschaftspolitik in Richtung Autarkie auch Vorteile barg. Kostspielige Projekte wie die Gewinnung von synthetischem Treibstoff aus Kohle ließen sich jetzt als eigener Beitrag zur Überwindung der Abhängigkeit Deutschlands von Rohstoffimporten „verkaufen“. Dies traf auch auf das zweite verlustreiche Projekt des Unternehmens zu: die Herstellung von Gummi aus heimischer Kohle. Das Autarkieprogramm der Reichsregierung bot die Chance, die bislang erlittenen Verluste zumindest teilweise wieder wettzumachen. Als das Nazi-Regime mit dem Aufbau der Vierjahresplan-Organisation die Autarkiepolitik auch institutionell abzusichern begann, bemühte sich die IG-Farben erfolgreich darum, einflussreiche Positionen in dem neuen Apparat zu besetzen.
Carl Krauch, Mitglied des IG-Vorstandes, wurde zum Leiter der Abteilung „Forschung und Entwicklung“ ernannt, die dem wichtigen „Amt für deutsche Roh- und Wertstoffe“, dem eigentlichen Zentrum der Vierjahresplanbehörde, unterstellt war. Außerdem wurden mehrere Angestellte des Konzerns in Krauchs Dienststelle versetzt. Eine Verschiebung des industriellen Kräfteverhältnisses zugunsten der Chemieindustrie, wie von manchen Forschern behauptet, blieb dennoch aus, da auch die anderen rüstungswirtschaftlich wichtigen Branchen die Bürokratie des Vierjahresplans personell „infiltrierten“. Nach dem Jahre 1936 erfolgte also, wie der amerikanische Wirtschaftshistoriker Peter Hayes feststellte, „keine Farbenisierung“ der deutschen Wirtschaftspolitik, sondern vielmehr eine „Militarisierung des Großkonzerns“ mit dem Ergebnis, dass der Anteil der Konsumgüter am Gesamtumsatz der IG-Farben von 71 % im Jahre 1933 auf etwa 30 % im Jahre 1943 sank, während sich der Anteil kriegswichtiger Güter umgekehrt entwickelte.
Der Tiefpunkt der Verwicklung der IG-Farben in die verbrecherische Politik des Regimes war schließlich im Jahre 1941 erreicht, als der Konzern einen Industriekomplex in Auschwitz errichtete und Arbeitskräfte aus der Vernichtungsfabrik einsetzte. Die rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge und die Nazi-Strategie der „Vernichtung durch Arbeit“ gingen dort Hand in Hand. Die IG-Farben versorgte die SS überdies mit Impfstoffen für Versuche an Menschen sowie, über eine von ihr abhängige Gesellschaft, mit dem zur Massentötung in den Todeslagern eingesetzten Giftgas Zyklon B. Sieht man von einigen wenigen Staatsunternehmen wie den „Vereinigten Industrieunternehmungen AG (VIAG)“ oder den „Reichswerken Hermann Göring“, einem in Salzgitter gegen den Widerstand der Ruhrindustriellen zur Verhüttung der dortigen Eisenerze errichteten Stahlkonzern ab, blieb, so lässt sich zusammenfassend konstatieren, das Privateigentum an Produktionsmitteln grundsätzlich gewahrt.
Allerdings wurde die Verfügungsgewalt der Eigentümer durch Eingriffe des Staates und anderer Lenkungsinstanzen mehr und mehr eingeschränkt. Von einer „Zentralverwaltungswirtschaft“ kommunistischer Provenienz unterschied sich das Nazi-Wirtschaftssystem indessen dadurch, dass unternehmerisches Gewinnstreben – ein wesentliches Merkmal einer privatwirtschaftlichen Ordnung – von Seiten des Regimes nicht nur gebilligt, sondern ausdrücklich ermuntert wurde. Gewinnversprechen der Regierung bildeten denn auch ein, wenn nicht das wichtigste wirtschaftspolitische Steuerungsinstrument.
Staatlicher Zwang war nur in Ausnahmefällen nötig. Indem die Unternehmen ihren Gewinninteressen folgten, dienten sie zugleich den Zielen des Nazi-Regimes. Den Unternehmen eröffneten sich aus diesem Zusammenspiel Möglichkeiten, ihrerseits staatliche Stellen für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Dieses „Geschäft auf Gegenseitigkeit“ endete erst kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, als viele Unternehmer aus wohlverstandenem Eigeninteresse die von Hitler befohlene bzw. in einem sinnlosen „Endkampf“ zu befürchtende Zerstörung der Industrieanlagen zu verhindern suchten. Mit Widerstand im eigentlichen Sinne hatte dieses Verhalten jedoch nichts zu tun.
Nach Kriegsende wurde vertuscht, vergessen und abgestritten; – das war die bittere Erfahrung, die Überlebende machen mussten.
Von Rolf von Ameln
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