Nach dem Jahre 1933 unternahmen das Nazi-Regime erhebliche Anstrengungen, um Städte in ihrem Sinne umzugestalten. Dabei verbanden sich rüstungswirtschaftliche Motive mit Fragen der Herrschaftspräsentation und megalomanischen Gestaltungswünschen Adolf Hitlers. Hamburg jedoch passte aufgrund seiner wirtschaftlichen Ausrichtung nicht in dieses Konzept. Damals ging eine Eingemeindungswelle über das Reich hinweg, und manche Städte wie Salzgitter oder Wolfsburg, die „Stadt des KdF-Wagens“, wurden neu errichtet; andere wie Wilhelmshaven als „Stadt der 500.000“ in gigantischem Rahmen neu projektiert.
In den Gauhauptstädten sollten „Gauforen“ entstehen – mit Gasthaus, Aufmarschplatz, „Halle des Volkes“ und Glockenturm – und ein neues Stadtzentrum bilden; anderen „Neugestaltungsstädten“ stellte man ebenfalls Monumentalbauten in Aussicht, viele Städte erhielten Ehrentitel verliehen. So wurde Leipzig „Reichsmessestadt“, Goslar „Reichsbauernstadt“ oder Stuttgart „Stadt der Auslandsdeutschen“, um sich innerhalb des Reichs funktional zu positionieren. Berlin, Hamburg, München, Nürnberg und Linz sollten als „Führerstädte“ besonders aufgewertet und grundlegend neu gestaltet werden. In der Stadt Hamburg, die Anfang 1937 per Reichsgesetz erheblich vergrößert wurde und als „Führerstadt“ die USA architektonisch herausfordern sollte, bündelten sich diese Entwicklungen wie in einem Brennglas.
Nach dem Jahre 1933 gehörte die Stadt an der Elbe, ein typisches Kind der Globalisierung und des internationalen Handels, zunächst keineswegs zu den „Hätschelkindern“, sondern zu den eindeutigen Verlierern des „Dritten Reiches“. Hamburgs wirtschaftliche Orientierung als Hafen- und Handelsstadt passte nämlich gar nicht zu den wirtschaftlichen Prioritäten der NS-Machthaber, die nicht den internationalen Handel bevorzugten, sondern die Weichen in Richtung Rüstungswirtschaft und Autarkie stellten. Dementsprechend belebte sich die Hamburger Wirtschaft nach 1933 kaum. Der Hafen erreichte zu keinem Zeitpunkt mehr die Umschlagszahlen von 1929, dem Jahr vor der Weltwirtschaftskrise.
Unter diesen Umständen verzeichnete Hamburg nach 1933 unter allen Großstädten den geringsten Rückgang der Arbeitslosenzahlen, sodass im August 1934 sogar eine Zuzugssperre über die Stadt verhängt wurde, um den Arbeitsmarkt nicht weiter zu belasten. Stattdessen zogen die Hamburger in Scharen fort – bis Ende 1936 büßte die Hansestadt mehr als 35.000 Einwohner ein, während die jungen Industriestädte im mitteldeutschen Raum wie Rostock, Dessau und Jena vom Rüstungsboom stark profitierten und teilweise binnen kürzester Zeit zu Großstädten aufstiegen. Ende des Jahres 1934 schlug schließlich der Hamburger NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann Alarm: Bei der Volksabstimmung vom 19. August 1934 hatten in Hamburg mehr als 23 Prozent der Wähler dem Nazi-Regime die Zustimmung verweigert und diesem damit das reichsweit schlechteste Wahlergebnis beschert.
Der Anteil der Nein-Stimmen lag in Hamburg mehr als doppelt so hoch wie ich Reichsdruchschnitt, weshalb der Gauleiter das Abstimmungsergebnis als „die tiefste Enttäuschung meiner langjährigen Tätigkeit in der Partei“ bezeichnete. Am 2. November 1934 trat gar die Reichsregierung unter dem Vorsitz Hitlers zusammen, um die Notlage Hamburgs zu erörtern. Zwar kam für Hitler eine grundsätzliche Änderung der für Hamburg so ungünstigen Reichspolitik nicht in Frage, doch sah der „Führer“ ein, dass Deutschlands „Tor zur Welt“ sich dem Ausland nicht dauerhaft als krisengeschütteltes Notstandsgebiet und Hort öffentlicher Unzufriedenheit präsentieren konnte.
Die Stadt musste deshalb vom Handelszentrum zur Rüstungsschmiede umgebaut werden. Da Freiflächen für die Ansiedlung von Rüstungsindustrie fehlten, lag die Eingemeindung der umliegenden preußischen Industriestädte Altona, Wandsbeck und Harburg-Wilhelmsburg nahe, die jedoch am Widerstand Preußens stets gescheitert war, das seine florierenden Städte im „Speckgürtel“ der Hansestadt nicht verlieren wollte. Neben den industriellen und rüstungswirtschaftlichen Belangen spielte jedoch ein zweites Argument den Vertretern der Hansestadt in die Hände: Hitler wollte nämlich aus Hamburg ein monumentales „Wahrzeichen des Dritten Reiches“ machen, eine Art Manhatten im Norden – unter anderem mit einer gigantischen Hängebrücke über die Elbe, die an 180 Meter hohen Pfeilern befestigt werden sollte, einem neuen „Gauhaus“, das als 250 Meter hoher Wolkenkratzer konzipiert war, einer „Volkshalle“ für 150.000 Zuschauer und einer 700 Meter langen Fahrgastanlage, an der künftig KdF-Erholungsdampfer festmachen sollten.
Bei soviel Gigantomanie spielten für den Diktator Stadtgrenzen keinerlei Rolle, denn als der Hamburger Bürgermeister Carl Vincent Krogman den „Führer“ darauf hinwies, dass die geplante Fahrgastanlage im Stadtgebiet Altonas liege, über das man nicht verfügen könne, entgegnete Hitler ungehalten: „Altona, das ist ja ein Unsinn, das dürfen wir heute nicht mehr denken, da genügt ja ein Federstrich.“ Dennoch wollte Hitler keine Eingemeindung über den Kopf des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring hinweg anordnen. Göring war jedoch den Vertretern Hamburgs wohlgesonnen. Als Beauftragter für den Vierjahresplan strebte er eine bessere Koordination der Rüstungsanstrengungen in der Elberegion an.
Zudem war er seit 1935 mit der Hamburger Schauspielerin Emmy Sonnemann verheiratet – ein Umstand, den die Vertreter der Hansestadt umgehend zu ihren Gunsten auszunutzen wussten, hatte doch der Hamburger Bürgermeister in einer Tischrede zu Görings Hochzeit diesem scherzend-vorwurfsvoll vorgehalten, mit der Schauspielerin ein „wertvolles Stück Hamburgs enteignet“ zu haben – und eine Kompensation durch Preußen angemahnt. Solche personalen Bindungen waren im Nazi-Herrschaftssystem, in dem keine demokratische Öffentlichkeit, aber auch keine funktionierende Gewaltenteilung existierte, von zentraler Bedeutung.
Die entscheidenden Weichen für das „Groß-Hamburg-Gesetz“ wurden im November des Jahres 1936 gestellt: Anlässlich der Beisetzung seines Schwiegervaters stattete Göring den Spitzen der Stadt Hamburg einen Besuch im Rathaus ab. Beschwingt durch den Genuss mehrerer Flaschen „Lübecker Rotspons“, sprach sich Göring eindeutig für ein Groß-Hamburg aus und bekannte, er „fühle sich schon lange nicht mehr als preußischer Minister-Präsident“. Solche banalen Hintergründe des „Groß-Hamburg-Gesetzes“ blieben der Öffentlichkeit verborgen, der das Bild einer wohldurchdachten, sorgfältig geplanten Maßnahme präsentiert wurde.
Als die Reichsregierung am 26. Januar per Gesetz das neue „Groß-Hamburg“ aus der Taufe hob, konnte sich die Stadt durch die Eingemeindung von Altona, Wandsbeck und Harburg-Wilhelmsburg über einen Gebietszuwachs von 80 Prozent und zusätzliche 500.000 Einwohner freuen. Abtreten musste sie im Gegenzug lediglich Cuxhaven sowie die Enklaven Geesthacht und Großhansdorf, um die Gauleiter Telschow – Ost-Hannover – und Lohse – Schleswig Holstein – symbolisch zu entschädigen, wobei letzterer als Trostpflaster auch noch die Stadt Lübeck erhielt. Hermann Göring durfte sich über die Ernennung zum Hamburger Ehrenbürger freuen.
Städtische und kommunale Angelegenheiten spielten bei der Eingemeindungspolitik keine Rolle. Es zählten alleine die Belange des Reiches, vor allem die rüstungswirtschaftlichen Erfordernisse des Vierjahresplans und Hitlers Planungen für die „Führerstädte“. Das neue „Groß-Hamburg“ verwandelte sich verfassungsrechtlich umgehend in einen „Reichsgau“, der zahlreiche Direktiven aus Berlin entgegen nehmen musste und nur noch rudimär an jenes selbständige Land erinnerte, das die Freie- und Hansestadt Hamburg einmal gewesen war.
Und auch dieser Spuk war nach den Großangriffen der alliierten Bomberstaffeln sehr schnell Vergangenheit.
Von Rolf von Ameln
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie uns bitte mit einer Spende, oder werden Sie Mitglied der Israel-Nachrichten.
Durch einen technischen Fehler, ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet!
Leserkommentare geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wie in einer Demokratie ueblich achten wir die Freiheit der Rede behalten uns aber vor, Kommentare nicht, gekuerzt oder in Auszuegen zu veroeffentlichen. Anonyme Zuschriften werden nicht beruecksichtigt.