Mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 und der Kriegserklärung Englands und Frankreichs begann der Zweite Weltkrieg, und gleichzeitig warf hier der Vernichtungskrieg seine Schatten voraus, der in der Folge Millionen Menschen in Osteuropa das Leben kosten sollte. Hitlers Befehl zum Angriff auf Polen war kein gewöhnlicher Krieg. Zwar versuchte dieser Jahrhundertverbrecher ihn der Weltöffentlichkeit als „gerechtfertigte Reaktion“ auf polnische Provokationen und als Kompensation legitimer deutscher Gebietsansprüche zu verkaufen. In Wahrheit trug aber bereits dieser ebenso kurze wie heftige Militärschlag den Keim des Untergangs des „Dritten Reiches“ in sich: Zum Verhängnis wurde Hilter dabei nicht nur sein Größenwahn, sondern auch die Anwendung verbrecherischer Härte und der Bruch geltenden Rechts, der ihn international zum Paria stempelte.
Auftakt zur Vernichtung: Was sich, bereits Monate vor Angriffsbeginn kalkuliert und vorbereitet, in den ersten Wochen des Krieges auf polnischem Staatsgebiet abspielte, war der Auftakt des Vernichtungskrieges. Polizeiliche Spezialeinheiten, die sogenannten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, verhafteten und töteten zehntausende polnische Bürger, die der Elite zugerechnet und daher als gefährlich eingestuft wurden: Lehrer, Ärzte, Künstler, Priester, Männer, die patriotischen Verbänden angehörten oder adeliger Herkunft waren, gerieten ins Visier der Nazi-Truppen. Die Kriterien waren oftmals beliebig, die Vorgehensweise gnadenlos.
Polnische Juden waren dabei besonderer Verfolgung ausgesetzt, sie wurden allgemein für vogelfrei erklärt. Wer von ihnen noch gehofft hatte, es im deutsch besetzten Teil Polens besser getroffen zu haben als im gleichzeitig von der Sowjetunion besetzten Ostpolen, wurde bald eines Besseren – oder eher: Schlechteren – belehrt!
Tatkräftig unterstützt wurden die Todesschwadronen bei ihrem blutigen Handwerk vom sogenannten Volksdeutschen Selbstschutz, einer Miliz von Angehörigen der deutschen Minderheit, die sich zunächst spontan gebildet hatte und alsbald der SS unterstellt wurde. Das Epizentrum der Vernichtung lag dabei nicht zufällig in Westpreußen: Hier, vor allem im Raum Bromberg, hatten polnische Soldaten und Zivilisten zuvor Pogrome an der deutschen Minderheit verübt. Deutsche und polnische Historiker schätzen in heutigen Tagen die zahl ihrer Opfer auf rund 4.500 – Verluste durch deutsche Bombardements inbegriffen. Auf polnischer Seite wuchs die Zahl der Ermordeten bis Jahresende 1939 auf mehr als das zehnfache an.
Täter und Zuschauer: Die deutsche Wehrmacht sah diesem Treiben tatenlos und gleichgültig zu. Zwar reichten einige Offiziere Proteste an höherer Stelle ein, sie verhallten jedoch ungehört. Admiral Canaris, der Chef der militärischen Abwehr, – des Geheimdienstes der Wehrmacht – , bekam Mitte September 1939 auf seine Anfrage hin zu hören, „dass diese Sache bereits vom Führer entschieden sei, der dem Oberbefehlshaber des Heeres klargemacht habe, dass, wenn die Wehrmacht hiermit nichts zu tun haben wolle, sie es auch hinnehmen müsse, dass SS und Gestapo neben ihr in Erscheinung treten..!“ In Wahrheit jedoch verhielt sich die „Großdeutsche Wehrmacht“ aber kaum besser als die „Konkurrenz“ von Polizei und SS. Polnische Behörden ermittelten nach dem Krieg eine Mindestzahl von 714 Exekutionen, die von deutscher Seite zur Zeit der Militärverwaltung, vom 1. September bis zum 25. Oktober 1939, auf polnischem Boden durchgeführt wurden.
Über 16.000 Zivilisten wurden bei diesen Exekutionen hingerichtet, 75 Prozent von ihnen bereits im September 1939. Nur die Hälfte der Opfer wurde den paramilitärischen Verbänden zugeschrieben, die andere ging auf das Konto der Wehrmacht. Ein in der Truppe weit verbreiteter Antisemtismus, militärische Direktiven, die scharfes Vorgehen und Misstrauen gegen die Zivilbevölkerung geradezu zur soldatischen Pflicht erklärten, und eine Partisanenphobie, die keinerlei Entsprechung in der Wirklichkeit hatte, sorgte dafür, dass der Finger leicht am Abzug der Waffe saß, Handgranaten in Kellerräume flogen, in denen sich verängstigte polnische Familien zusammendrängten, Dörfer und Ortschaften in Flammen aufgingen.
Kriegsalltag: Die Parallelen zur deutschen Kriegsführung in der Sowjetunion ab dem 22. Juni 1941, die Historiker als Vernichtungsfeldzug bezeichneten, sind frappierend. Hinzu kommt, dass schon in Polen 1939 polnische und jüdische Kriegsgefangene wahllos erschossen wurden. Hierzu genügte oftmals, dass sie im Kampf zuvor starken Widerstand geleistet oder aus der Deckung heraus – in Wäldern oder Ortschaften – das Feuer auf deutsche Soldaten eröffnet hatten. Sie wurden dann kurzerhand zu Partisanen erklärt, da sie angeblich hinterhältig gekämpft hätten. Die deutsche Luftwaffe sorgte zudem mit Terror aus der Luft dafür, dass sich kein Zivilist im Land sicher vor Verfolgung fühlen konnte. Selbst die Trecks der Flüchtlinge wurden unter Beschuss genommen.
Die Rücksichtslosigkeit, mit der das Deutsche Reich 1939 seinen Krieg gegen Polen führte, versperrten allen Ansätzen einer friedlichen Koexistenz zwischen Besetzten und Besatzern von vornherein den Weg. Mit dem Ende der Kampfhandlungen entstanden die ersten bewaffneten Partisanenbewegungen.. Die polnische Gesellschaft organisierte sich im sogenannten Untergrundstaat – mit geheimen Schulen, Universitäten, Gerichtswesen und eigenen Streitkräften -, der als Oberhaupt nur die polnische Exilregierung in London anerkannte. Mit dem – gescheiterten – Warschauer Aufstand von 1944 hätte verhindert werden sollen, dass die deutschen Besatzungsbehörden, die sich nun nach fünf Jahren grausamer Herrschaft im Rückzug befanden, durch sowjetische Truppen ersetzt wurden.
Auf der Konferenz von Jalta wurde Polen der sowjetischen Einfluss-Sphäre zugesprochen – und stand somit erneut auf der Seite der Verlierer. Für die meisten Polen endete der Zweite Weltkrieg daher erst nach einem halben Jahrhundert, mit dem Wechsel des Systems im Jahre 1989. Die Bevölkerungsverluste, die Polen unter deutscher Besatzung erlitt, sind nicht genau zu bestimmen. Erste Schätzungen wurden bereits während des Krieges unternommen, nach 1989 verstärkten sich die Bemühungen von polnischer Seite um eine seriöse Annäherung an die kaum fassbaren Dimensionen des Völkermordes. Heute geht man von drei Millionen polnischer Juden aus, die unter der deutschen Terrorherrschaft ihr Leben ließen. Insgesamt verlor das Land, rechnet man die Opfer unter den ethnischen Polen, weißrussischen und ukrainischen Minderheiten ein, etwa fünf Millionen Menschen, somit zirka 15 Prozent seiner Vorkriegsbevölkerung. Polen zahlte damit von allen ehemals deutsch besetzten Ländern – gemessen an seiner Gesamtbevölkerung – den höchsten Preis an Menschenleben.
Es gab aber auch einen Generalmajor der Wehrmacht, Helmuth Stieff, der in einem Feldpostbrief an seine Frau datiert vom 21.. November 1939 schrieb: „Die blühendste Phantasie einer Gräuelpropaganda ist arm gegen die Dinge, die eine organisierte Mörder-, Räuber- und Plünderbande unter angeblich höchster Duldung dort verbricht… Diese Ausrottung ganzer Geschlechter mit Frauen und Kindern ist nur von einem Untermenschentum möglich, das den Namen Deutsch nicht mehr verdient. Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein!“
Und von diesen Stimmen gab es viel zu wenige. So konnte das Morden weiter stattfinden; – und niemand hat etwas gewusst!
Von Rolf von Ameln
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